„Wir müssen davon wegkommen, Verkehr immer schneller, billiger und bequemer zu machen."
Die Verkehrswende stockt, und auch die Klimaschutzziele werden im Verkehr nicht erreicht. Dr. Florian Krummheuer, systemischer Berater für die Verkehrswende und Vorsitzender des VDI-Fachbeirats „Verkehr und Umfeld“, erklärt, warum es eine ganzheitliche Betrachtung braucht, um den Wandel weiter voranzutreiben.
VDI: Was macht Ihr Fachbeirat „Verkehr und Umfeld"?
Krummheuer: Unser Fachbeirat „Verkehr und Umfeld“ ist ein Exot in der VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik. Denn wir nehmen das Umfeld des technischen Verkehrssystems in den Fokus. Und dazu gehören nach unserem Verständnis vor allem die Gesellschaft und natürlich auch das Ökosystem. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, auf die Wechselwirkungen zwischen diesen Systemen hinzuweisen. Diese sind sehr komplex: Die Gesellschaft funktioniert vollkommen anders als Technologie, scheinbar weniger rational und berechenbar.
Wir leisten kulturelle Verständigungsarbeit
VDI: Und warum muss der Blick auf die Verkehrswende über den technischen Aspekt hinausgehen?
Denken Sie an die Dynamiken politischer Prozesse – an die emotionalen Diskussionen zum Tempolimit oder zum Verbrennerverbot. Oder auch an andere große gesellschaftliche Veränderungen zum Beispiel bei der Gleichberechtigung oder beim Stellenwert von Familienzeit. Alle diese Aspekte wirken auch auf Anforderungen an Fahrzeuge oder die Verkehrstechnik. Am anschaulichsten wird das bei der Frage nach Straßenraumgestaltung oder in der Stadtplanung.
Die Resultate politischer Meinungsbildung oder gesellschaftliche Wahrnehmungen entsprechen eher nicht der Effizienzlogik von Ingenieuren. Eine optimale Lösung lässt sich in vielen Fällen eben nicht scharf bestimmen. Insofern versuchen wir uns als interdisziplinäres Team in einer Art kultureller Verständigungsarbeit.
Das System Auto bleibt ressourcenzehrend
VDI: Warum sind wir eine Autonation?
Krummheuer: Puh, was für eine Frage. Da gibt es mindestens zwei Dimensionen: Erstens, weil viele Deutsche ein Auto haben und es tatsächlich auch zwingend brauchen. Zweitens: Weil die Autoindustrie für unsere Volkswirtschaft so wichtig ist. Das sind zwei banale Befunde.
Spannend sind die Zusammenhänge dazwischen. Wir sind auch deswegen eine Autonation, weil das Geschäftsmodell Deutschlands darauf beruht, aus billigen Rohstoffen mit billiger Energie unter anderem teure Autos für alle Welt zu bauen.
Gleichzeitig verlagern wir arbeitsintensive und dreckige Produktionsschritte nach Übersee. Das sorgte hierzulande zuverlässig für wachsenden Wohlstand. Autos toll finden und die Fahrzeugindustrie fördern – darauf konnten sich im Nachkriegsdeutschland alle einigen. Dieser Autofixierung verdanken wir auch unsere heutigen Siedlungsstrukturen; mit vielen, nur mit dem Auto erreichbaren Wohn-, Arbeits-, Freizeit und Konsumstandorten. Zugleich wurden Alternativen wie die Bahn abgespeckt oder Radwege nie in vernünftigem Umfang aufgebaut. Es ist sehr schwierig von diesem Status Quo wegzukommen.
Seit ein paar Jahren wird aber immer klarer, dass dieses Modell an seine Grenzen stößt. Global, weil es schlicht nicht nachhaltig ist, denn es ist abhängig von der Ausbeutung von Ressourcen, Naturräumen und Menschen. Am schwersten wiegt dabei sicherlich der Missbrauch der Atmosphäre als CO2-Deponie. Denn auch mit einer Umstellung auf erneuerbare Energieträger bleibt das System Auto schrecklich ressourcenzehrend.
Entweder Autonation oder Klima- und Ressourcenschutz
Oder auf lokaler Ebene: Die Bereitschaft schwindet, dem Auto so viel Raum zu gewähren. Privilegien beim Parken werden hinterfragt und die Lärm- und Luftverschmutzung werden nicht mehr akzeptiert. 'Freie Fahrt für freie Bürger‘ ist insgesamt keine Mehrheitsposition mehr – 2/3 der Deutschen befürworten das Tempolimit auf Autobahnen.
Ich fürchte, entweder schaffen wir eine Verkehrswende für den Klima- und Ressourcenschutz oder wir bleiben eine Autonation. Aber diese Industrie wird ihre heutige volkswirtschaftliche Bedeutung nicht halten können, wenn sie ihre Produkte wirklich nachhaltig gestaltet. Mit kleineren Flotten, leichteren, einfacheren Fahrzeugen, die länger halten, besser ausgelastet werden (Stichwort Sharing) und simplerer Antriebstechnologie werden sich nicht mehr die gewohnten Umsätze erzielen lassen. Ihre Bedeutung wird sinken.
Vor allem dürfte das die Autos von Morgen ein gutes Stück entemotionalisieren und ihnen ihre Eigenschaft als Distinktionsmerkmal nehmen. Die hohen Margen der Premiumhersteller werden schließlich nicht mit Technik, sondern mit Image verdient.
Stoppt Symbolpolitik!
VDI: Wie kann der Verkehr der Emissionsneutralität näherkommen?
Krummheuer: Es darf vor allem nicht nur um Emissionsneutralität gehen, sondern um ein ganzheitlicheres Verständnis von Nachhaltigkeit. Denn die Frage nach Platz, Versiegelung, Unfällen oder krankmachendem Verkehrslärm wird nicht durch eine Elektrifizierung gelöst. Und dann: Bitte stoppt mit den Symbolpolitiken!
Vertraut nicht auf noch nicht erfundene Technik, sondern richtet den Fokus auf die großen Hebel und die schnell umsetzbaren Maßnahmen. Wir haben kaum noch Zeit für diese fundamentale Transformation. Apps, Rufbusse, Streckenreaktivierungen und Ladesäulen haben ihre Berechtigung, aber es gibt wirksamere Hebel. Wir brauchen den politischen Mut auch ordnungs- und fiskalpolitisch und auch mit Push-Maßnahmen zu steuern.
Mut zu Push-Maßnahmen statt schneller, billiger, bequemer
VDI: Welches sind die zentralen Stellschrauben, die wir drehen müssen, um eine Verkehrswende zu schaffen?
Krummheuer: Wir müssen davon weg, Verkehr immer schneller, billiger und bequemer zu machen. Das wäre ein revolutionärer Ansatz! Denn er ist kontraintuitiv sowohl aus einer kapitalistisch-ökonomischen als auch aus einem technisch-optimierenden Perspektive. Da müssen Glaubensgrundsätze überwunden werden.
Dann aber würden wir erkennen: Es läuft gerade nach wie vor alles schief: Statt den Auto- und Flugverkehr teurer, langsamer und unbequemer zu machen, werden aktuell die etwas weniger umweltschädlichen Verkehrsmittel billiger gemacht. Stichwort 9-Euro-Ticket, E-Auto- oder Lastenradförderung. All das sind Pull-Anreize.
Was mir völlig fehlt sind Push-Maßnahmen: Tempolimits - etwa Tempo 30-Innerorts, Rückbauprogramme für Einfallstraßen, Parkplätze oder sogar Stadt-Autobahnen, entfernungs- und auslastungsabhängige Preise statt Flatrate-Tarifen, echte Parkraumbewirtschaftung statt Anwohnerparken und und und.
Ich finde übrigens auch nicht, dass der ÖPNV günstiger werden sollte. Billige und bequeme Mobilität hat uns zu hypermobilen Junkies gemacht. Das hat dazu geführt, dass wir ein wahnsinnig teures, platzfressendes und Arbeitskräfte bindendes Verkehrssystem erhalten müssen und unter Lärm, Schadstoffen und Versiegelung leiden.
Interview: Gudrun Huneke
Ansprechparter:
Dipl. Ing. Christoff Kerkhoff
VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik
E-Mail: kerkhoff@vdi.de