Das Potenzial neuer Kleinfahrzeuge für Umwelt und Sicherheit
Mobilität ist ein menschliches Grundbedürfnis. Da aber jede Form der Mobilität die Umwelt unterschiedlich stark belastet, stehen wir in der Verantwortung, sie so zu gestalten, dass wir die Umweltbelastungen und Risiken minimieren. Die VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik arbeitet hier an Vorschlägen. Einen Beitrag könnte eine neue Mobilitätsklasse, die Klasse M0, leisten.
Nach wie vor ist eine Mehrheit mit dem Auto mobil (54%), gefolgt von Wegen zu Fuß (23%), mit dem Rad (10%) und dem ÖPNV (10%). Für die Wahl des Transportmittels sind Sicherheit, Strecke, Flexibilität, Kosten und Komfort entscheidend.
Es gilt nicht nur den Fuß-, Rad- und öffentlichen Verkehr attraktiver zu gestalten, großes Potenzial bietet auch die Optimierung des motorisierten Individualverkehrs. Denn je genauer wir das Verkehrsmittel an die persönlichen Bedürfnisse und Möglichkeiten anpassen können, desto nachhaltiger können wir uns bewegen.
Das meistgenutzte Verkehrsmittel ist und bleibt das Auto. In Deutschland sind das laut des Kraftfahrtbundesamtes 2023 etwa 48,7 Millionen PKW, gegenüber 6,5 Mio. Nutzfahrzeugen, 4,8 Mio. Motorrädern und 0,1 Mio. leichten vierrädrigen Kraftfahrzeugen.
Die PKW sind in größen- und funktionsbasierten Segmenten erfasst. Das kleinste Segment bilden dabei die „Minis“, mit einem Bestand von knapp 3,4 Mio. Fahrzeugen. Die häufigsten Modelle sind hier der Smart ForTwo, Fiat 500 und VW Up.
Ideal wäre es, wenn das Fahrzeug sich nah am tatsächlichen Bedarf orientierte. Denn der weit größte Teil aller Fahrten findet mit ein bis zwei Personen und wenig Gepäck statt, für diesen Alltagsbetrieb ist ein normaler PKW in der Regel deutlich überdimensioniert.
Die Rolle von Käuferverhalten und Gesetzgebung
Dafür sind im Wesentlichen zwei Aspekte verantwortlich:
Beim Fahrzeugkauf orientieren sich die Kaufenden oftmals am größten anzunehmenden Nutzungsfall – also maximale Mitfahrerzahl und maximales Gepäck, um „für alle Fälle“ gerüstet zu sein. Wenn wir das Nutzerverhalten verändern wollen, müssen wir attraktive und komfortable Angebote für alle Mobilitätsbedürfnisse ermöglichen und fördern. Wäre ein einfacher Zugang zu großen Fahrzeugen im Bedarfsfall einfach, steigt die Bereitschaft, den Alltag mit einem kleineren Fahrzeug zu absolvieren.
Zum anderen schränkt die europäische Gesetzgebung den Gestaltungsspielraum für kleine Fahrzeuge stark ein, wodurch die Attraktivität von Kleinfahrzeugen auf dem Markt begrenzt ist.
Während auf der einen Seite die Mini-PKW der Zulassungsklasse M1 selten weniger als eine Tonne wiegen, um alle gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen, sind auf der anderen Seite die Vierrädrigen Leichtfahrzeuge der Zulassungsklasse L7e im Gewicht und Breite eng limitiert, wodurch die Möglichkeiten für Sicherheit und Komfort deutlich einschränkt werden. Die gesetzlichen Forderungen zur Fahrzeugsicherheit sind in dieser Fahrzeugklasse marginal.
Viele Hersteller von Leichtfahrzeugen statten ihre Fahrzeuge allerdings freiwillig mit mehr Sicherheit aus, dennoch urteilt Euro NCAP (European New Car Assessment Programme) 2014 und 2016 in seinen Sicherheitsbewertungen: „Kritische strukturelle Schwächen und unzureichende Rückhaltesysteme summieren zu einem inakzeptabel hohen Risiko von schweren oder lebensgefährlichen Verletzungen – selbst bei beschränkten Testgeschwindigkeiten."
Daraus ergibt sich aus unserer Sicht der Bedarf einer neuen Klasse. Das primäre Ziel sollte die Einführung einer M0-Klasse für den urbanen und suburbanen Bereich sein, deren Fahrzeuge neben einer geringen Masse durch eine kleine Grundfläche Ballungsgebiete gezielt entlasten.
Geschlossene Leichtfahrzeuge werden in den Klassen L5e (dreirädriges Kraftfahrzeug) und L7e (Schweres Vierrädriges Kraftfahrzeug) nach EU Nr. 168/2013 zugelassen. Hier wird für die L7e-Klasse die maximale Masse fahrbereit 450kg ohne Traktionsbatterie definiert. Die L5e-Klasse lässt hier mit reduzierter Fahrstabilität durch drei Räder 1000kg zu. Hieran wird die maximale Masse der vorgeschlagenen Kleinfahrzeugklasse M0 orientiert – jedoch inklusive Traktionsbatterie. Damit sind Überschneidungen zur M1-Klasse gering und es ergibt sich eine ausreichende Differenzierung zu den L-Klassen.
Die Abmessungen werden in erster Linie durch das Gewichtslimit eingeschränkt, so dass hier eine geringere Begrenzung der maximalen L5e-Abmessungen mit 4000mm Länge, 2000mm Breite und 2500mm nicht sinnvoll erscheint und diese Maximalmaße der Leichtfahrzeuge übernommen werden sollten.
Die L7e-Klasse ist auf 3700mm Länge und 1500mm Breite limitiert. Besonders die Breite schränkt die Produktgestaltung der L7e-Klasse im Sinne der Sicherheit und des Komforts deutlich ein. Hier könnte die M0-Klasse Vorteile bieten.
Leistung und Höchstgeschwindigkeit sind für L5e-Fahrzeuge unbegrenzt, für L7e-Fahrzeuge auf 15kW und 90 km/h begrenzt. Eine limitierte Höchstgeschwindigkeit vom 100 km/h würde eine flüssige Landstraßennutzung ermöglichen und zeitgleich den Umfang der erforderlichen Sicherheitseinrichtungen in Gewicht und Kosten gegenüber der M1-Klasse reduzieren.
Mitgliederbefragung zur Mobilität
Wir haben unsere Mitglieder befragt, wie sie die Zukunft der Mobilität in der Stadt sehen und wie ihr eigenes Mobilitätsverhalten aussieht:
So überrascht es wenig, dass man in der Stadt viel zu Fuß unterwegs ist, während auf dem Land das Auto die zentrale Rolle spielt.
Spannender wird es jedoch, wenn man sich die unterschiedlichen Anforderungen an Fahrzeuge ansieht; für alle ist Sicherheit ein zentraler Aspekt, aber bei Komfort und Kosten gibt es, je nach Alter nennenswerte Unterschiede.
Sicherheit
Die Anforderungen für die Sicherheit, die im Gewichts- und Kostenbereich realisierbar sind, streben ein zur M1-Klasse vergleichbares Sicherheitsniveau anstreben. Die Kleinfahrzeuge sind primär für den urbanen und suburbanen Einsatz im Kurzstreckenbereich vorgesehen, so dass hier eine differenzierte Häufigkeitsverteilung der einzelnen Unfallarten und Kollisionsgeschwindigkeiten eine Anpassung des Anforderungsprofils ermöglichen. Gemeinsam mit dem Einsatz moderner sicherheitsrelevanter Assistenzsysteme lässt sich das Ziel erreichen.
Die Verkehrsunfallforschung an der TU Dresden GmbH hat aus 41.272 rekonstruierten Verkehrsunfällen mit Personenschäden aus der GIDAS-Datenbank die beteiligten Fahrzeuge analysiert. Die Fahrzeuge wurden differenziert in eine Gruppe der M0-nahen Fahrzeuge (L5e, L6e, L7e sowie M1-Anteile, die M0-Nutzungsverhalten entsprechen) und den übrigen M1-Fahrzeugen. [Schöneburg/DIT2023] analysiert: Damit verschiebt sich die Ortslage der Unfälle sehr deutlich nach innerorts. Die Anteile der Unfalltypen für die M0-Gruppe sind im Längsverkehr deutlich geringer während die Abbiege- und Kreuzungsunfälle sowie Fußgänger und Radfahrer als Kollisionsgegner einen größeren Anteil bilden.
Daraus lässt sich die Wichtigkeit von Maßnahmen zum Schutz vulnerabler Verkehrsteilnehmer sowie ein Fokus auf Abbiege- und Kreuzungsassistenzsysteme ableiten. Die Längsverkehrsunfälle sind zwar deutlich seltener vertreten, aber mit einem Anteil von über 25% immer noch sehr relevant.
Die Kollisionsgeschwindigkeiten sind in der M0-Gruppe durchweg geringer. In der M0-Gruppe treten 88,2% der Frontalunfälle bis 50km/h gegenüber 86,4% bis 60km/h in der M1-Vergleichsgruppe auf. Gemeinsam mit Notbremsassistenten lassen sich die Kollisionsgeschwindigkeiten noch einmal deutlich reduzieren. Damit können Deformationsräume in der M0-Klasse sehr viel kleiner und gewichtssparender ausgelegt werden, ohne das Verletzungsrisiko zu erhöhen.
Seitliche Kollisionen treten in der M0-Gruppe in 82,9% der Fälle bis 40km/h gegenüber 83,6% bis 50km/h in der M1-Gruppe. Hier steigt jedoch die relative Häufigkeit der Kollisionen, so dass die Forderung nach Abbiege- und Kreuzungsassistenten noch einmal bekräftigt wird.
Breakout-Session zu "neuen Mobilität"
Wie eine solche „neue“ Mobilität aussehen könnte, war auch Teil der Breakout-Session „Kleinfahrzeuge“ auf dem DIT 2023. Als VDI-Mitglied können Sie sich die Session hier nochmals angucken.
DIT-Nachbericht auf Mein VDI
Prof. Jan Friedhoff ist Leiter der Abteilung Fahrzeugbau und Professor für Fahrzeugkonzepte und Design im Department Fahrzeugtechnik und Flugzeugbau an der HAW Hamburg und ist Mitglied im VDI-Fachbeirat Kraftfahrzeugtechnik in der VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik.
Fachlicher Ansprechpartner:
Dipl.-Ing. Christof Kerkhoff
VDI-Topthema Mobilität der Zukunft
Telefon: +49 211 6214-645
E-Mail: kerkhoff@vdi.de