Direkt zum Inhalt
VDI-Xpand - Anerkennungsberaterin Stefanie Schmoll im Interview

„Wir helfen durch den Dschungel“ - Der Weg ausländischer Ingenieure auf den Arbeitsmarkt

Bild: Ezra Bailey via Getty Images

Demografischer Wandel, Nachwuchsprobleme, Fachkräftemangel – die fehlenden Arbeitskräfte kosten die deutsche Wirtschaft Milliarden. Aufträge können nicht mehr angenommen werden, umworbenes Personal wird teurer oder Stellen bleiben lange Zeit unbesetzt. Das Problem zieht sich durch zahlreiche Branchen und spitzt sich weiter zu. Zeitgleich gibt es Arbeitskräfte aus dem Ausland, die gerne in Deutschland arbeiten möchten. Ob sie das auch können, hängt unter anderem von der Anerkennung ihres Berufsabschlusses ab. Wie die Anerkennungsprozess funktioniert, weiß Stefanie Schmoll.

Stefanie Schmoll arbeitet seit 2012 als Anerkennungs- und Qualifizierungsberaterin im Förderprogramm IQ – Integration durch Qualifizierung. Die IQ Anerkennungsberatung hat zwischen 2019 und Mitte 2022 mit 165.314 Interessierte rund 356.291 Beratungsgespräche geführt. Davon waren 9,3% Ingenieurinnen und Ingenieure. Schmoll begleitet Interessierte auf ihrem Weg zur Anerkennung. Im Interview erzählt sie von Chancen und Schwierigkeiten.

VDI: Was macht die Anerkennungsberatung?

Schmoll:
Wir helfen durch den Dschungel. Das heißt wir begleiten Ratsuchende ausländischer Herkunft hier in Deutschland auf ihrem Weg durch den Prozess ihrer beruflichen Anerkennung. Wir klären den Referenzberuf unter Berücksichtigung der individuellen Perspektive und informieren über das Anerkennungsverfahren, beraten zu den anfallenden Gebühren und zeigen Möglichkeiten der Kostenübernahme. Zudem helfen wir bei der Suche nach geeigneten Brücken- oder Weiterbildungsmaßnahmen.

VDI: Gibt es verschiedene Möglichkeiten der Anerkennung?

Schmoll: Ingenieur*in ist eine reglementierte Berufsbezeichnung in Deutschland. Ausländische Ingenieur*innen benötigen zwar grundsätzlich keine formale Anerkennung um zu arbeiten, ohne eine sogenannte Gleichwertigkeitsbescheinigung dürfen sie allerdings die Berufsbezeichnung Ingenieur*in nicht führen. Die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung Ingenieurin oder Ingenieur wird in NRW von der für den Wohnort zuständigen Bezirksregierung erteilt, wenn diese die Gleichwertigkeit feststellt.

Beispiel Bauingenieur*in 

Die Tätigkeit  unter der Bezeichnung "Ingenieur/in" oder "Beratende/r Ingenieur/in" ist gemäß landesrechtlicher Ingenieurkammergesetze reglementiert. Um auf dem deutschen Arbeitsmarkt tätig zu werden, ist für Ingenieure und Ingenieurinnen mit ausländischer Berufsqualifikation grundsätzlich keine berufliche Anerkennung erforderlich. Ohne Gleichwertigkeitsbescheinigung darf jedoch nicht die Berufsbezeichnung "Ingenieur/in" oder "Beratende/r Ingenieur/in" geführt werden.

Hierfür muss die Gleichwertigkeit der ausländischen Berufsqualifikationen mit dem deutschen Abschluss durch die zuständige Stelle festgestellt werden.

Generell gibt es für Ingenieurinnen und Ingenieure mit ausländischen Abschlüssen zwei Wege, die akademische Zeugnisbewertung und die berufliche Anerkennung. 

Lesen Sie mehr auf der Webseite der Bundesagentur für Arbeit Ingenieur/in - Bau.

Akademische Zeugnisbewertung

Die ZAB stellt Zeugnisbewertungen für Hochschulabschlüsse aus allen Staaten der Welt aus. Für nicht abgeschlossene Hochschulausbildungen sowie für Ausbildungen, die nicht dem Hochschulbereich zuzuordnen sind, stellt die ZAB keine Bescheinigungen aus. Für jeden akademischen Abschluss, der an einer staatlich anerkannten Universität im Ausland erworben wurde, kann eine Zeugnisbewertung beantragt werden. Selbst dann, wenn es die entsprechende Studienrichtung (Beispiel: Bachelor in „Persische Malerei“ aus dem Iran) in Deutschland nicht gibt. 

Was ist eine Zeugnisbewertung?

Eine Zeugnisbewertung ist ein offizielles Dokument der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB), mit dem eine ausländische Hochschulqualifikation beschrieben und die sich daraus ableitenden beruflichen und akademischen Verwendungsmöglichkeiten bescheinigt werden.

Eine Zeugnisbewertung der ZAB soll den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt mit einer ausländischen Hochschulqualifikation erleichtern. Sie ist eine vergleichende Einstufung, nicht jedoch eine berufliche Anerkennung.

Lesen Sie mehr auf der Webseite Kultusminister Konferenz Zeugnisbewertung.

Welche Informationen enthält die Zeugnisbewertung? 

Die Zeugnisbewertung nennt die Ebene des deutschen Bildungsabschlusses, mit der der jeweilige ausländische Abschluss vergleichbar ist. Außerdem informiert sie über Möglichkeiten der Fortsetzung des Studiums, über die Rechtsgrundlagen der Gradführung und über die Verfahren zur beruflichen Anerkennung. Aus der Bescheinigung lassen sich keine Rechtsansprüche ableiten.

Eine Zeugnisbewertung kann auch dann hilfreich sein, wenn es in Deutschland keinen entsprechenden Abschluss gibt. Nicht zu jedem Studiengang im Ausland gibt es eine inländische Entsprechung, wie beim genannten Beispiel der „Persischen Malerei“. Bei Stellenausschreibungen wird manchmal ein akademischer Abschluss verlangt, der aber nicht auf eine Studienrichtung festgelegt ist. Hier ist der akademische Grad eine Einstiegsbedingung, die sich auf eine Reflexions- und Problemlösungskompetenz bei Akademikerinnen und Akademikern bezieht. 

Bei Ingenieursberufen ist hier aber weit eher eine Vergleichbarkeit gegeben, als in vielen anderen akademischen Studiengängen. 

Die Berufschancen für Ingenieurinnen und Ingenieure können dennoch sehr unterschiedlich sein. Ein Studienschwerpunkt in Erdöl- und Erdgastechnik bietet hier weniger direkte Berufsmöglichkeiten als im Elektro- und Maschinenbaubereich. Manchmal ist also der jeweilige akademische Grad eines Masters inhaltlich weniger erfolgversprechend für den Berufseinstieg als der Bachelor, der oft eine gut verwertbare grundlegende Qualifikation darstellt. In der Anerkennungsberatung wird daher meist empfohlen, zwei unabhängige Anträge zu stellen. Die Kosten für die Bewertung beider Abschlüsse sind überschaubar: Die erste Bewertung kostet 200 Euro, jedes weitere Verfahren zusätzlich lediglich 100 Euro.

VDI: Wann ist denn dann eine Anerkennung sinnvoll?

Schmoll: Die Anerkennung ist die Voraussetzung, um in reglementierten Berufen arbeiten zu können. Auch in anderen Fällen ist sie sinnvoll, denn die Anerkennung bescheinigt eine Gleichwertigkeit der beruflichen Qualifikation zum entsprechenden deutschen Anschluss. 

Die berufliche Anerkennung hat eine weitreichendere Bedeutung als die reine Bewertung. Mit einer vollständigen Anerkennung ist die formale Gleichstellung zu einem in Deutschland abgeschlossenem Ingenieurstudium erreicht. Damit sind alle formal zum jeweiligen Beruf gehörigen Tätigkeiten eingeschlossen.

Die Anerkennung erfolgt über die Überprüfung und Erteilung durch die nach Arbeits- bzw. Wohnort zugehöriger Bezirksregierung. Auch hier ist aus der Beratungspraxis eine vorherige akademische Zeugnisbewertung hilfreich. 
Die Kosten für eine Anerkennung liegen in NRW bei 200 Euro – die gleiche Gebührenhöhe wie bei der Zeugnisbewertung. 

Beide Verfahren sind sinnvoll als Nachweise der akademischen Qualifikation. Sie erleichtern eine qualifikationsadäquate Beschäftigung am Arbeitsmarkt. Auch für die Höhe der späteren Rente ist eine Anerkennung wichtig. Gleiches gilt auch für Nicht-Ingenieur*innen. Denn qualifizierte Fachkräfte werden gesucht. Für nicht akademische Berufe, bspw. ausländische Berufsabschlüsse von einer Sekundarschule, deren Referenzqualifikationen meist im Bereich der dualen Berufsausbildung liegen, sind andere Stellen zuständig. Hier sind die Handwerkskammern oder auch die IHK-FOSA (IHK Foreign Skills Approval) zu nennen.

VDI: Wo liegen aus Ihrer Erfahrung die Schwierigkeiten?

Schmoll: Die Herausforderungen liegen darin, den passenden Referenzberuf finden, die Verfahren mit allen formalen Voraussetzungen zu erklären und diese individuell zu begleiten. Schwierig wird es vor allem, wenn bspw. fluchtbedingt keine Zeugnisse oder Curricula vorliegen und diese auch nicht zu beschaffen sind. 

Ein wichtiges Thema für viele Ratsuchende ist auch die Finanzierung der Verfahren. Wir beraten hier zu Fördermöglichkeiten und unterstützen bei der Beantragung. Die Kosten für Zeugnisbewertung und Anerkennungsverfahren sowie Übersetzungen und Beglaubigungen können nach individueller Prüfung gefördert werden: über die Agentur für Arbeit bzw. das Jobcenter oder – einkommensabhängig – über den Anerkennungszuschuss des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Hohe Kosten können insbesondere durch vorzulegende beglaubigte Übersetzungen von umfangreichen Curricula bzw. Fächerübersichten und Diplomen entstehen. 

Die Beratungspraxis zeigt, dass der Prozess der akademischen Bewertung und der Anerkennung im Ingenieursberuf eine gute Prognose besitzt. Dennoch ist der Einstieg in den Arbeitsmarkt für Ingenieurinnen und Ingenieure nicht immer leicht. Daher empfehlen wir, parallel zum Anerkennungsprozess in die Bewerbungsphase einzusteigen, Kontakt zu knüpfen, Netzwerke aufzubauen und Programme, wie VDI-Xpand, zu nutzen.

Hier ist – wie in allen anderen Bereichen auch – neben der fachlichen Kompetenz, die Sprache wesentlich. Wer bereits gute Deutschkenntnisse besitzt (B2), wird erfahrungsgemäß wenig Schwierigkeiten haben, Arbeitgebende zu finden. Spezielle Brückenmaßnahmen in den Arbeitsmarkt sind darüber hinaus gut geeignet, den beruflichen Einstieg zu meistern.

Infokasten Zeugnisbewertung vs. Anerkennung für Ingenieure

 

Akademische Zeugnisbewertung

Anerkennung

Wo stelle ich einen Antrag?

Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB)

Bei der im jeweiligen Bundesland zuständigen Stelle, d.h. entweder der Bezirksregierung des Wohnorts oder den zuständigen Ingenieurkammern.

Für welche Abschlüsse?

Alle akademischen Abschlüsse möglich

Die Titelführung "Ingenieur*in" oder "Beratende*r Ingenieur*in" ist reglementiert, nicht die Tätigkeit im Ingenieurberuf.

Kosten?

200 Euro für die erste Bewertung, 100 Euro für jede weitere

~200 Euro

Dauer der Anerkennung?

~3 Monate

~3 Monate

Artikel teilen