„Die Offenheit und Herzlichkeit hat mich tief beeindruckt"
Um in einem anderen Land Fuß zu fassen, gilt es viele Hürden zu nehmen. Von der Sprache über die Gepflogenheiten bis hin zu den Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt. Diese Erfahrung machte auch Abdul Sai, der nach seinem ingenieurwissenschaftlichen Studium in Syrien bereits als Ingenieur arbeitete, als er vom VDI-Xpand hörte. Ziel dieses Mentoring-Programms ist es, ausländische Ingenieurinnen und Ingenieure auf ihrem Weg in den deutschen Arbeitsmarkt zu unterstützen. Wie im das Programm geholfen hat, neue Wege einzuschlagen und Ziele für seine berufliche Zukunft zu definieren, erzählt Abdul im Interview.
VDI: Wie hast Du von VDI-Xpand erfahren und was war Deine Motivation teilzunehmen?
Abdul Sai: Ich suchte schon seit Längerem nach einem Mentoring-Programm, als ich von Xpand hörte, einem Projekt, um ausländische Ingenieure und Ingenieurinnen in Deutschland zu integrieren. Lange vor Beginn des Programms bekundete ich mein Interesse. Obwohl ich bereits Zeit berufstätig war, hatte ich viele Fragen und suchte Jemanden mit Erfahrung, der mir die richtigen Antworten geben konnte.
Ich wollte wissen, ob ich mich auf dem richtigen beruflichen Weg befand. Durch meine mangelnde Kenntnis des deutschen Arbeitsmarkts und meinen Möglichkeiten und Chancen, fiel es mir schwer, klar zu definieren, was ich eigentlich wollte.
Mit Blick auf die Zukunft habe ich konkrete Ziele: Ich möchte meine Fachkenntnisse im Bereich der Automatisierungstechnik vertiefen und strebe eine führende Position an, in der ich mein Wissen und meine Erfahrungen einbringen kann, um innovative Lösungen zu entwickeln und umzusetzen. Als syrisch-deutscher Staatsbürger in Dortmund lebend, bin ich bestrebt, sowohl in meiner Karriere als auch in meinem persönlichen Leben weiterhin Brücken zwischen den Kulturen zu bauen und einen positiven Beitrag zu meiner neuen Heimat zu leisten
"VDI-Xpand hat mein Vertrauen in meine Fähigkeiten gestärkt"
Welche Probleme hattest oder hast Du als Ingenieur mit internationalem Hintergrund auf dem deutschen Arbeitsmarkt?
Abdul Sai: Es gibt viele Hürden für einen ausländische Ingenieur in Deutschland. Das erste Problem war die deutsche Sprache, insbesondere die Fachsprache. Ein weiteres Hindernis war, meine mangelnde Kenntnis über verfügbaren Stellen in deutschen Unternehmen, denn ich wusste zum Teil nicht einmal, wie sie auf Deutsch genannt werden, beispielsweise war mir der Unterschied zwischen einem Anlagenbauer und einem Maschinenbauer nicht klar.
Ich war direkt nach dem Studium nach Deutschland gekommen und hatte keine Berufserfahrung. Darum war es nicht leicht, in den Arbeitsmarkt einzutreten. Die Konkurrenz ist groß – insbesondere für jemanden mit ausländischem Abschluss, mittleren Sprachkenntnissen und keiner Berufserfahrung. Demgegenüber stehen Absolventen deutscher Universitäten, ob deutsche oder nicht-deutsche, die bereits während ihres Studiums durch Praktika erste Erfahrungen in Unternehmen gesammelt haben.
Punkten konnte ich beim Thema Gehalt. Wie viele ausländische Ingenieure habe ich oft ein geringeres Gehalt gefordert, ohne zusätzliche Leistungen oder Boni, und war auch bereit, Positionen unterhalb des Ingenieursniveaus, wie etwa als Techniker, anzunehmen – einfach, um überhaupt eine Chance zu bekommen.
VDI: Was waren Deine Erwartungen und Wünsche?
Abdul Sai: Ich wünschte mir Unterstützung und Orientierung von einer erfahrenen Person, um eine feste und langfristige Anstellung in einem Konzern in der Nähe meines Wohnortes zu finden. Dabei war es mir wichtig eine Position zu finden, die meinem Studienabschluss entspricht. Ich wollte meine fachlichen als auch persönlichen Fähigkeiten verbessern, um meine beruflichen Perspektiven nachhaltig zu stärken.
Wie hat Dir das Mentoring und die Unterstützung durch VDI-Xpand geholfen?
Abdul Sai: Ich hatte großes Glück mit meinem Mentor. Er war nicht nur äußerst engagiert, sondern verfügte auch über langjährige Berufserfahrung in meinem speziellen Fachgebiet. Er nahm sich mehr Zeit für mich als geplant, und wir trafen uns trotz der großen Entfernung mehrmals persönlich.
Er hat nicht nur meine beruflichen Schwächen und Lücken analysiert, sondern mir auch geholfen, meine Stärken zu erkennen und gezielt zu nutzen.
Die Teilnahme an VDI-Xpand hat mein Vertrauen in meine Fähigkeiten gestärkt. Sie hat mir gezeigt, dass ich trotz begrenzter Berufserfahrung einen wertvollen Beitrag zu jedem Team leisten kann. Die fachlichen Grundlagen sind vorhanden; was mir fehlt, ist die passende Gelegenheit, um den Einstieg zu schaffen. Ich sehe nun klarer, wie ich meine beruflichen Ziele erreichen kann.
VDI-Xpand-Projekt zur Eingliederung ausländischer Fachkräfte
Um zugewanderte Fachkräfte bei der Integration in Arbeitswelt und Gesellschaft zu unterstützen, hat der VDI das Projekt VDI-Xpand initiiert. „Wir brauchen qualifizierte Fachkräfte, es kommen aber auch Menschen, die wir in die Arbeitswelt aber auch in die Gesellschaft integrieren müssen. Der VDI mit seinen regionalen Strukturen bietet beste Voraussetzungen, um Ingenieurinnen und Ingenieure mit Menschen zu vernetzen, die gleiche Interessen haben”, so VDI-Arbeitsmarktexperte und Projektleiter Ingo Rauhut. Im Zentrum von VDI-Xpand steht ein Mentoring-Programm, mit dem zugewanderten Ingenieurinnen und Ingenieuren ein berufserfahrenes VDI-Mitglied zur Seite gestellt wird.
Das überwiegend online durchgeführte Angebot wird ergänzt durch Netzwerkveranstaltungen vor Ort. Der mit Mitteln aus dem bundesweiten Förderprogramm „IQ - Integration durch Qualifizierung” geförderte Ansatz ist 2024 erfolgreich als Pilot in Nordrhein-Westfalen gestartet.
Lesen Sie auch im aktuellen VDI-/IW-Ingenieurmonitor wie ausländische Fachkräfte den deutschen Arbeitsmarkt bereichern.
Starker Kontrast zur fremdenfeindlichen Rhetorik
Kannst Du eine konkrete Erfahrung oder ein Ereignis nennen, das Dich während des Programms besonders geprägt hat?
Abdul Sai: Die regelmäßigen Workshops und Stammtische waren sehr hilfreich und behandelten viele wichtige Themen.
Besonders geprägt hat mich jedoch das erste Event, der Kick-Off von VDI-Xpand. Dort traf ich auf deutsche Ingenieure und Ingenieurinnen mit langjähriger Berufserfahrung, die voller Enthusiasmus waren, ausländische Ingenieure aus verschiedenen kulturellen und sozialen Hintergründen zu unterstützen. Die Offenheit und Herzlichkeit, mit der die Teilnehmenden uns Ausländer willkommen hießen, hat mich tief beeindruckt. Es stand in starkem Kontrast zu dem gängigen Klischee, dass die deutsche Gesellschaft gegenüber Ausländern reserviert sei. Dieses Erlebnis blieb mir stark im Gedächtnis, besonders in einer Zeit, in der der Ton der extremen Rechten und die fremdenfeindliche Rhetorik lauter geworden sind. Es erinnerte mich daran, dass es viele Menschen gibt, die Ausländern gegenüber aufgeschlossen sind und bereit sind, freiwillig einen Teil ihrer Zeit zu investieren, um ihnen den Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt zu erleichtern und somit ihre Integration in die deutsche Gesellschaft zu fördern.
Diese Begegnung hat meinen Stolz, Teil dieser Gesellschaft zu sein und die deutsche Staatsbürgerschaft zu besitzen, noch verstärkt.
Ein weiteres Highlight war der VDI Young Engineers Kongress 2024. Vier Tage voller Inspiration, Wissen und wertvoller Netzwerkmöglichkeiten.
Sprachkenntnisse und Netzwerke als Schlüssel zum Erfolg
Welche Tipps würdest Du anderen internationalen Ingenieuren geben, die sich ebenfalls in den deutschen Arbeitsmarkt integrieren möchten?
Abdul Sai: Die deutsche Sprache zu lernen. Gute Deutschkenntnisse sind entscheidend für eine erfolgreiche Kommunikation und Integration. Netzwerken spielt ebenfalls eine zentrale Rolle – knüpfe Kontakte sowohl innerhalb als auch außerhalb deiner Branche. Mir hat die Mitgliedschaft im VDI geholfen. Sie bietet dir Zugang zu einem großen Netzwerk von Fachleuten sowie zahlreiche Möglichkeiten zur Weiterbildung und zum Erfahrungsaustausch.
Zudem sind Geduld und Ausdauer unerlässlich, da der Arbeitsmarkt anspruchsvoll sein kann – aber es lohnt sich, dranzubleiben. Es hilft auch, flexibel zu sein. Die erste Position entspricht möglicherweise nicht exakt deinen Vorstellungen, kann jedoch eine wichtige Tür öffnen. Vertraue auf deine internationalen Erfahrungen und betone deine Vielseitigkeit sowie deine interkulturelle Kompetenz.
Zur Person
Abdul Sai, geboren 1987 in Latakia, Syrien, kam 2015 mit seiner Frau nach Deutschland und erlernte die deutsche Sprache auf eigene Kosten. Sein Studium der Ingenieurwissenschaften begann er in Syrien und setzte es an der TU Dortmund im Maschinenbau fort. Seit 2019 arbeitet er als Projektingenieur, unter anderem bei ThyssenKrupp, BEHORE Technology und Siemens Energy. Abdul ist im VDI aktiv, bildet sich kontinuierlich weiter und engagiert sich für interkulturellen Austausch. In seiner Freizeit findet er einen Ausgleich und Inspiration beim Schwimmen, Reisen und Lesen. Diese Aktivitäten helfen ihm, neue Energien zu tanken und neue Perspektiven zu entdecken und zu erforschen.
Interview: Gudrun Huneke
Fachlicher Ansprechpartner:
Ingo Rauhut
Geschäftsführer der Fachbeiräte Beruf & Arbeitsmarkt und Ingenieurausbildung
E-Mail: rauhut@vdi.de