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Weltklima

Wo das Eis schmilzt: die Klima-Kippelemente der Kryosphäre

Bild: Ashley Cooper via Getty Images

Meer- und Gletschereis bedecken insgesamt circa 35 Prozent der Erdoberfläche; davon nur gut elf Prozent die Landmassen, der weitaus größere Teil das Meer. Aber egal wo, es schmilzt unaufhörlich. Hierzu ein Blick auf die Kippelemente der Kryosphäre.

In unserer Artikelreihe zu den Klima-Kippelementen stellen wir Kippelement allgemein und nacheinander dann einzelne Kippelemente vor, hier die Kryosphäre.

Die Eismassen, die als Gletscher- oder Meereis die Erde bedecken, werden unter dem Begriff Kryosphäre zusammengefasst. Der Wortbestandteil „kryo“ ist dem griechischen Wort für Kälte entlehnt. Gletschereis findet sich in Grönland, der Antarktis und in Gebirgen, Meereis vor allem in der Arktis. Diese Eismassen spielen im Klimasystem der Erde eine entscheidende Rolle: Das liegt an ihren enormen Ausmaßen, sowohl auf der Nord- als auch auf der Südhalbkugel. Klimaveränderungen wirken sich hier zum Teil schon sichtbar und irreversibel aus. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die meisten globalen und regionalen Klima-Kippelemente im Bereich der Kryosphäre definiert sind.

Schauen wir uns die einzelnen Kippelemente der Kryosphäre einmal genauer an. Zunächst die Kern-Kippelemente:

Dick, aber nicht dick genug: der Grönland-Eisschild

Grönland - altnordisch für Grünland - war zum letzten Mal vor rund 2,5 Millionen Jahren richtig grün. Heute sind rund 80 Prozent dieser größten Insel der Erde von einem dicken Eispanzer bedeckt, dem Grönland-Eisschild. Er ist teilweise über 3.000 Meter dick. Doch er war schon einmal dicker, denn steigende Temperaturen setzen dem Eisschild massiv zu: Durch das oberflächliche Abschmelzen bilden sich Seen, deren Wasser durch Gletscherspalten in die Tiefe bis auf den felsigen Untergrund der Insel gelangt. Die so entstehenden Flüsse unter dem Eis bewegen die Eismassen mit zunehmender Geschwindigkeit in Richtung Meer. Schon heute ist immer häufiger zu beobachten, dass meeresnahe Gletscherstücke abbrechen und zu Eisbergen zerfallen.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen derzeit davon aus, dass ein Temperaturanstieg von mehr als 1,9 Grad Celsius zu einem kontinuierlichen und vollständigen Abschmelzen des grönländischen Eisschilds führen wird.

Wenn die Erderwärmung nicht schnellstmöglich auf maximal 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau stabilisiert wird, besteht in den nächsten Jahrhunderten die Gefahr eines Meeresspiegelanstiegs von bis zu sieben Metern. Und das hat gewiss Konsequenzen.

Arktisches Wintermeereis: Ist der Kipppunkt schon überschritten?

Das Nordpolarmeer ist derzeit noch ganzjährig von schwimmendem Eis bedeckt, wenn auch im Jahresverlauf nicht gleichmäßig. Doch die Lücken werden immer größer. Der Weltklimarat (IPCC) fasst in seinem aktuellen, sechsten Sachstandsbericht zusammen, dass die Durchschnittstemperatur dort in den vergangenen 100 Jahren fast doppelt so schnell gestiegen ist, wie im globalen Mittel. In der Folge ist das arktische Meereis im Winter durchschnittlich um mehr als zwei Prozent pro Jahr geschrumpft, in den Sommermonaten sogar um rund sieben Prozent. Jedes Jahr schrumpft die Eisfläche um fast 90.000 Quadratkilometer, besonders betroffen ist die Nordpolarregion. Klimamodelle des IPCC kommen zu dem Ergebnis, dass in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts das arktische Meereis im Spätsommer fast vollständig verschwinden wird. Der Kipppunkt steht also kurz bevor oder ist bereits überschritten. Das arktische Wintermeereis – ein beunruhigender Favorit unter den sichtbaren Zeichen des Klimawandels.

Die Antarktis: eisige Superlativen rund um den Südpol

Im Gegensatz zur Arktis ist die Antarktis eine Landmasse, ein Kontinent, umgeben vom Südpolarmeer. Ihr Eisschild liegt zum größten Teil auf dem Boden dieser Landmasse auf und reicht im Westen bis zu drei Kilometer unter den Meeresspiegel. Insgesamt ist der antarktische Eisschild flächenmäßig neunmal so groß wie der Grönlands und fast doppelt so dick. Durch die hohe Albedo, also das Rückstahlvermögen eines Großteils der Sonnenstahlen durch die fast durchgehend weiße Oberfläche, bleibt das Eis der gesamten Antarktis kalt. Ein Abschmelzen oder Auftauen an der Oberfläche ist also vorerst nicht zu erwarten, zumal der Eisschild durch Niederschläge in Form von Schnee immer wieder zunimmt. 

Noch keine gesicherten Prognosen zum Westantarktischen Eisschild

Ein Kipppunkt könnte dennoch schon in diesem Jahrhundert erreicht werden: Besonders in der weit ins Meer herausragenden Westantarktis beobachten Forschende, dass immer häufiger große Eisteile ins Meer abgleiten. Neben natürlichen Ursachen ist dafür vor allem die durch die Erderwärmung gestiegene Wassertemperatur verantwortlich. Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen, könnte das Abschmelzen der Eisteile zu einem Anstieg des Meeresspiegels von mehr als einem Meter pro Jahrhundert führen – wahrscheinlicher sogar, als durch abschmelzendes Grönlandeis. Klimamodelle können dies jedoch noch nicht adäquat simulieren, entsprechende Prognosen sind daher vage.

Ostantarktischer Eisschild: die größte Süßwasserreserve

Der Ostantarktische Eisschild ist die mit Abstand größte Eismasse der Erde. Nahezu der gesamte Eisschild ruht auf Gestein oberhalb des Meeresspiegels. Dadurch gilt der Ostantarktische Eisschild als wesentlich stabiler im Vergleich zur restlichen Antarktis. Und das ist gut so, denn hier sind die größten Süßwasserreserven der Erde gespeichert. Würde das Eis komplett abschmelzen, stiege der Meeresspiegel um circa 50 Meter an. Das würde allerdings erst bei einer Erderwärmung von fünf bis zehn Grad Celsius passieren und mehr als 10.000 Jahre dauern. Anfällig für ein Abschmelzen ist der Ostantarktische Eisschild jedoch durch sein Schelfeis. Das ist die Summe der großen Eisplatten, die auf dem Meer schwimmen und nur mit den sie speisenden Gletschern oder Eisströmen verbunden sind, nicht aber mit der Landmasse der Antarktis. Entsprechend instabil ist das Schelfeis.

Von der Gefahr unter dem Eisschild

Eine weitere Gefahr für den Meeresspiegelanstieg, und zwar deutlich früher, schlummert in den subglazialen Einzugsgebieten der Ostantarktis: Schmelzwasser aus dem Ostantarktischen Eisschild fließt über mehrere hundert Kilometer lange Eisströme und Auslassgletscher ins Südpolarmeer. Dieses eiskalte Süßwasser ist leichter als das wärmere, salzhaltige Meerwasser. Da sich die Wasserschichten nicht vermischen, kann das kalte, leichte Schmelzwasser nicht absinken. Das warme, schwerere Salzwasser dringt weit unter das Schelfeis vor und schmilzt es von unten ab. Die Gefahr, dass dieses Kippelement aktiviert wird, steigt bei einer Erwärmung um drei Grad Celsius.

Regionale Kippelemente in Meer und Gebirge

Neben den genannten Kern-Kippelementen der Kryosphäre werden zwei weitere, regionale Kippelemente in dem von Eis bedeckten Teil der Erde definiert: das Barents Meereis östlich von Grönland im Nordpolarmeer und die weltweit verteilten Gebirgsgletscher.

Aber warum gerade das Barents Meereis? Was ist hier anders? Ganz klar: seine Lage. Sie macht es im Vergleich zum übrigen arktischen Meereis zu einem Sonderfall, denn es leidet am stärksten unter der „Atlantikisierung“. So bezeichnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den zunehmenden Einstrom warmer atlantischer Wassermassen Richtung Nordpolarmeer. Studien aus dem Jahr 2021, an denen unter anderem Meereisphysikerinnen und -physiker des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung beteiligt waren, belegen: Warme Wassermassen, die aus dem Nordatlantik in die europäischen Randmeere des Nordpolarmeeres einströmen, tragen insbesondere im Winter nicht nur zu einem Rückgang des Meereiswachstums bei, sondern verhindern auch, dass sich ausreichend neues Eis bildet.

Und wenn doch, dann ist es vergleichsweise dünner als früher und leitet daher Wärme besser als dickes Eis. Wissenschaftliche Modelle zeigen einen Verlust des Barents Meereises bei einer Erwärmung von 1,6 Grad Celsius über einen Zeitraum von etwa 25 Jahren: Barents- und Grönlandsee werden also um das Jahr 2050 mit hoher Wahrscheinlichkeit auch im Winter eisfrei sein – mit gravierenden Folgen für die Luftzirkulation, den Golfstrom (den wir im Beitrag zur Hydrosphäre erläutern) und damit für das europäische Klima.

Wo sich die meisten Gebirgsgletscher der Erde befinden

Die meisten Gebirgsgletscher der Erde befinden sich in den Hochgebirgen Zentralasiens mit der beeindruckenden Zahl von fast 55.000. Mitteleuropa liegt mit etwa 4.000 Gebirgsgletschern eher am unteren Ende der Skala. Gletscher binden riesige Süßwasserreserven, wobei jeder Gletscher seine eigene, spezifische und lokale Ausprägung hat. Das Schmelzwasser, das jedes Jahr zuverlässig und gleichmäßig anfällt, ist in vielen Regionen der Erde die einzige Süßwasserquelle. Verschwinden die Gletscher, fehlt dieses Schmelz- und damit Süßwasser – die Lebensgrundlage für Menschen, Tiere und Pflanzen versiegt.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass ein vollständiger Gletscherschwund in großen, räumlich zusammenhängenden Gebieten wie den skandinavischen Gebirgen oder dem Himalaya sogar gleichzeitig stattfindet. Nach heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen wird dies zwischen 50 und 1.000 Jahren dauern. Die europäischen Gletscher sind dabei am empfindlichsten, die zentralasiatischen Hochgebirgsgletscher vergleichsweise stabiler.

Der Kipppunkt liegt hier nach wissenschaftlichen Schätzungen bei einem Temperaturanstieg zwischen 1,5 und 3 Grad Celsius. Er steht also kurz bevor oder ist möglicherweise schon überschritten.

Autorin: Alice Quack

Fachliche Ansprechpersonen:
Dipl.-Geogr. Catharina Fröhling
Koordinatorin des Fokusthemas „Herausforderung – Anpassung an den Klimawandel“
E-Mail: klimaanpassung@vdi.de

Dr. Jochen Theloke
Koordinator des Fokusthemas „Energie und Umwelt: das 1,5 Grad-Ziel“
E-Mail: theloke@vdi.de

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