Speicher nicht nur für Treibhausgase: die Klima-Kippelemente der Pedosphäre
Der Erdboden ist die Lebensgrundlage für alles pflanzliche Wachstum. Und er speichert sogar weit mehr CO2, als die Pflanzen selbst – zumindest, solange er gefroren bleibt.
Die Pedosphäre, abgeleitet vom griechischen Pédon, der Boden, umfasst die Gesamtheit aller Böden der Erdoberfläche. Als Lebensgrundlage der terrestrischen Pflanzen sind die Böden für den Kohlenstoffkreislauf von großer Bedeutung: Von den borealen Waldgebieten der Nordhalbkugel bis zu den Regenwäldern der Südhalbkugel. Obwohl Pflanzen in direkter Wechselwirkung mit der Atmosphäre stehen, speichern Böden mehr als doppelt so viel Kohlenstoff als die oberirdischen Pflanzen selbst. Ändern sich die Bodeneigenschaften, wie es beim tiefreichenden Auftauen von Permafrostböden der Fall ist, kommt es durch die Freisetzung von CO2 und Methan in relativ kurzer Zeit zu erheblichen Änderungen im Gasaustausch mit der Atmosphäre.
Kern- und regionales Kippelement zugleich
Das Kippelement der Pedosphäre sind die borealen Permafrostböden in den kaltgemäßigten Zonen oberhalb des nördlichen Polarkreises. Yedoma-Böden werden diese dauerhaft gefrorenen Boden- oder Sedimentschichten auch genannt: Organisch reich und mit einem Eisanteil von 50 bis 90 Prozent ihres Volumens. Sie bilden die wichtigste Kohlenstoffsenke der Erde. Aufgrund ihrer Bedeutung definiert die internationale Klimaforschung boreale Permafrostböden sowohl als zentrales als auch als regionales Kippelement. Rund ein Sechstel der gesamten Böden der Erdoberfläche besteht aus Permafrost. Das bedeutet, dass der Boden dort mindestens zwei Jahre lang dauerhaft gefroren ist. Diese enorme Ausdehnung macht ein mögliches Auftauen so folgenreich für das gesamte Erd-Klimasystem.
Das Kernkippelement der borealen Permafrostböden erstreckt sich über weite Teile Sibiriens bis in den Nordwesten Chinas und bildet eine über zehn Millionen Quadratkilometer große, zusammenhängende Fläche, die bis zu mehreren hundert Metern dick ist. Der Kipppunkt wird bei einer anhaltenden Erderwärmung von 3,7 bis 6 Grad Celsius angenommen und würde die gesamte Permafrostregion Eurasiens betreffen.
Auf dem nordamerikanischen Kontinent liegt das regionale Kippelement der borealen Permafrostböden in den nördlichen Territorien Kanadas sowie in Alaska. Hier steht der Kipppunkt kurz bevor oder ist möglicherweise schon überschritten. Das regionale Kippelement grenzt an den klimatisch besonders sensiblen arktischen Raum. Die Permafrostböden hier sind in weiten Teilen diskontinuierlich, das heißt nicht zusammenhängend, und reichen stellenweise nur wenige Meter tief. Hier kommt es schon bei einer Erwärmung von 1,5 bis 2 Grad Celsius zu abrupten Auftauprozessen mit Auswirkungen auf die lokalen Klimabedingungen. Diese Permafrostböden sind somit ein regionales Kippelement. Ihr Auftauen beeinflusst dennoch das gesamte Erd-Klimasystem, da alle Klimasubsysteme in vielfältiger Weise miteinander verknüpft sind.
Artikelreihe Klima-Kipppunkte
- Kippelemente – Kipppunkte: ein Überblick
- Wo das Eis schmilzt: die Klima-Kippelemente der Kryosphäre
- Meere vor dem Kipppunkt: die Hydrosphäre
- Speicher nicht nur für Treibhausgase: die Klima-Kippelemente der Pedosphäre
- Wälder: die Klima-Kippelemente der Biosphäre
- Dynamische Kaskadeneffekte und Rückkopplungen: Der Dominoeffekt
- Herausforderungen an die Klima- und Sicherheitspolitik
Permafrostböden: Die wichtigsten Kohlenstoffsenken der Erde
In einer Tiefe von drei bis mehreren hundert Metern speichern Permafrostböden schätzungsweise 1.500 Gigatonnen Kohlenstoff. Zum Vergleich: In der Atmosphäre befindet sich nur gut halb so viel Kohlenstoff. Doch wie gelangt der Kohlenstoff in den Boden? Die moorähnliche Vegetation, die im Frühjahr erblüht und sich ausbreitet, wenn die oberen Bodenschichten des borealen Permafrostbodens auftauen, nimmt durch Photosynthese CO2 aus der Atmosphäre auf. Stirbt die Vegetation nach einer kurzen Wachstumsphase wieder ab, zersetzen Mikroorganismen das organische Material: Es entsteht Humus und schließlich Torf, der langfristig Kohlenstoff speichert. Durch Zersetzungsprozesse bildet sich außerdem Methan. Seit der letzten Eiszeit wiederholt sich dieser Prozess jährlich. In rund 11.000 Jahren kommt da schon einiges an Treibhausgasen zusammen, die in den borealen Permafrostböden wie in einer Tiefkühltruhe eingeschlossen sind.
Wenn die Permafrostböden in den nördlichen Territorien Kanadas und Alaskas relativ plötzlich auftauen, dann geschieht das nicht nur von oben nach unten, sondern durch Aufbrechen. Dadurch tauen gleichzeitig auch tiefere Schichten. In kurzer Zeit werden große Mengen an Treibhausgasen freigesetzt: CO2 durch Oxidation von Kohlenstoff sowie Methan. Methan kommt zwar nur in geringer Konzentration vor, sein Erwärmungspotenzial ist jedoch 25 mal so hoch wie das von CO2. In der Folge tauen die Permafrostböden noch schneller auf - ein Teufelskreis. Sein Name: Permafrost-Kohlenstoff-Rückkopplung. So könnten die Treibhausgase aus auftauenden Permafrostböden die globale Temperatur bis zum Jahr 2100 um weitere 0,13 bis 0,27 Grad Celsius ansteigen lassen.
Im Boden schlummert noch weit mehr
Aber nicht nur Treibhausgase werden beim Auftauen freigesetzt, sondern auch alle anderen, bisher im Boden eingeschlossenen Schadstoffe, wie Schwermetalle und vereinzelt sogar radioaktives Material, das vor allem in Gewässer gelangen und schwere Umweltschäden verursachen kann.
Eine weitere Folge ist die abnehmende Tragfähigkeit des Bodens: Die borealen Permafrostböden finden sich bei weitem nicht nur in unbewohnten Gebieten. Mehrere tausend Industriestandorte sind sozusagen auf Eis gebaut, und wenn die Böden auftauen, kommt es zu Schäden an der darauf befindlichen Infrastruktur inklusive damit einhergehender Kontaminationsereignisse.
Für Mensch und Tier drohen aber noch ganz andere Gefahren: Tauende Permafrostböden bringen Krankheiten zurück, die lange Zeit als ausgerottet galten. Jahrhundertelang wurden Menschen, die an ansteckenden Krankheiten oder Seuchen starben, auch in Permafrostböden begraben, ganz zu schweigen von eingefrorenen Tierkadavern. Viren stellen hier keine große Gefahr dar, da ihre Infektiosität im Laufe der Jahre abnimmt. Problematischer sind Bakterien und Bakteriensporen, die wesentlich widerstandsfähiger und umweltstabiler sind. Sie überdauern im gefrorenen Boden und können nach dem Auftauen zu pandemischen Krankheitsverläufen führen. Ein Beispiel dafür sind Milzbrandbakterien, die 2016 auf der sibirischen Halbinsel Jamal ganze Rentierherden erkranken ließen und über den Verzehr von Fleisch auf den Menschen übergegangen waren. Mehr als 70 Infizierte mussten im Krankenhaus behandelt werden, ein Junge starb.
Die Wissenschaft sieht das größte Problem im Kontakt zwischen heutigen und nach langer Zeit aufgetauten Bakterien. Wenn sie ihr Erbgut austauschen, steigt die Gefahr, dass sie zu gefährlichen Krankheitserregern werden.
Autorin: Alice Quack
Fachliche Ansprechpersonen:
Dipl.-Geogr. Catharina Fröhling
Koordinatorin des Fokusthemas „Herausforderung – Anpassung an den Klimawandel“
Telefon: +49 211 6214-134
E-Mail: klimaanpassung@vdi.de
Dr. Jochen Theloke
Koordinator des Fokusthemas „Energie und Umwelt: das 1,5 Grad-Ziel“
Telefon: +49 211 6214-369
E-Mail: theloke@vdi.de