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Weltklima

Dynamische Kaskadeneffekte und Rückkopplungen: Der Dominoeffekt

Bild: Cavan Images via Getty Images

Das Risiko für dynamischen Kaskadeneffekte zwischen einzelnen Klima-Kippelementen steigt ab einer Erderwärmung von 2 Grad Celsius. Doch was genau löst solche Kippkaskaden aus?

Auf der Erde sind alle Klimasubsysteme, die wir in vier Detailbeiträgen (s.u.) erläutert haben, eng miteinander verbunden und voneinander abhängig. Jedes Kippelement eines Klimasubsystems kann nach Erreichen seines Kipppunkts eine Reihe weiterer, großräumiger Ereignisse auslösen. Es kommt zu Kettenreaktionen mit weiteren Kipppunktüberschreitungen, so genannten dynamischen Kippkaskaden. Bei einer globalen Erwärmung zwischen 1,5 und 2 Grad Celsius sind sie möglich, aber eher unwahrscheinlich. Ab 2 Grad Celsius steigt die Gefahr, dass Kippkaskaden diejenigen Kippelemente umfassen, deren Kipppunkt unmittelbar bevorsteht oder möglicherweise schon erreicht ist: der westantarktische Eisschild, die atlantische Umwälzzirkulation und der Amazonas-Regenwald.

Kettenreaktionen mit fataler Wirkung

Über die einzelnen Kippelemente ist dank intensiver Forschung inzwischen viel bekannt. Wenn es jedoch um die Wechselwirkungen insbesondere zwischen den drei Hochrisiko-Kippelementen geht, stehen die Forschenden mit ihrem Wissen noch relativ am Anfang. Die meisten Kippelemente sind über Zirkulationssysteme im Ozean und in der Atmosphäre mit anderen Kippelementen verbunden. Das Kippen eines Elements kann das Kippen eines anderen auslösen und führt schließlich zu einem Dominoeffekt – der Kippkaskade. Rückkopplungen können diese Kaskadeneffekte verstärken.

Da Kippelemente über Zeiträume von Monaten bis zu Tausenden von Jahren interagieren, ist es schwierig, sie zu untersuchen und die Stärke und die möglichen Folgen abzuschätzen. Aber gerade hier sind gesicherte Erkenntnisse von existentieller Bedeutung.

Eine Analyse des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) zeigt, dass die Eisschilde Grönlands und vor allem der Westantarktis mögliche Ausgangspunkte für Kippkaskaden darstellen: Das Abschmelzen der Schnee- und Eismassen, die Verringerung der Oberflächenalbedo und die damit einhergehende, verstärkte Erwärmung der Atmosphäre stellen einen der wichtigsten positiven Rückkopplungseffekte im Klimasystem dar. Positiv bedeutet hier aber nicht gleichzeitig gut für das Erdklima - im Gegenteil, denn ein positiver Rückkopplungseffekt verstärkt den ursprünglichen Impuls, ein negativer schwächt ihn ab. Unter Rückkopplung versteht die Klimawissenschaft einen durch die Erderwärmung ausgelösten Prozess, der seinerseits zu einer weiteren Erwärmung führt.

Ähnlich fatal sind die Kaskadeneffekte, die ein auftauender Permafrostboden nach sich zieht: Die sogenannte Permafrost-Kohlenstoff-Rückkopplung, die wir im Beitrag zu den Kippelementen der Pedosphäre erläutert haben. Eine der Folgen des auftauenden Permafrostbodens ist die Zunahme der Baum- und Wasserbedeckung der borealen Böden, wodurch die Oberflächenalbedo abnimmt. Dunkle Oberflächen, wie Wald oder Wasser, reflektieren das Sonnenlicht schlechter, als helle, schnee- oder eisbedeckte. In der Folge erwärmt sich die Atmosphäre über dunklen Flächen stärker. Die vermehrte CO2-Aufnahme durch neu wachsende borealen Nadelwälder kann dem nicht ausreichend entgegenwirken.

Lediglich das Kippelement AMOC wirkt teilweise stabilisierend und führt zu einem negativen Rückkopplungseffekt: Schwächt sich die AMOC ab, wird weniger warmes Oberflächenwasser nach Norden transportiert, was das Abschmelzen des arktischen Wintermeereises und des Grönland-Eisschilds verlangsamt. Ansonsten trägt auch sie zur Destabilisierung bei und kann positive Rückkopplungen und Kaskadeneffekte begünstigen.

Unterwegs Richtung Warmklima

Solche dynamischen Kaskadeneffekte und positiven Rückkopplungen bergen die Gefahr, dass das heutige Erdklima unkontrollierbar und irreversibel in Richtung eines Warmklimas kippt. Zum Vergleich: Heute liegt die mittlere globale Erdoberflächentemperatur bei etwa 15 Grad Celsius. In den Warmklimaphasen der Erdgeschichte waren es 20 bis 25 Grad Celsius, in den heißesten Perioden des letzten Warmklimas sogar bis zu 30 Grad Celsius. Die mittlere Erdoberflächentemperatur könnte sich somit also verdoppeln.

Mehr Gewicht auf mögliche Wechselwirkungen legen

Im Dezember 2023 wurde der Global Tipping Points Report veröffentlicht, unter anderem initiiert vom PIK. Unter Leitung der Universität Exeter haben mehr als 200 Forschende aus aller Welt Belege aus Modellsimulationen, Beobachtungen und konzeptionelle Erkenntnisse sowie Beispiele aus Klimarekonstruktionen der erdgeschichtlichen Vergangenheit zusammengetragen. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass bei der Erforschung von Kippelementen und -punkten mehr Gewicht auf deren mögliche Wechselwirkungen gelegt werden sollte und nennen folgende Ansätze, die dabei unterstützen, die Risikobewertung für Kippkaskaden zu verbessern: 

  • Zeitreihenanalysen von Beobachtungen und Klimadaten aus der erdgeschichtlichen Vergangenheit
  • Erdsystemmodelle, die dafür ausgelegt sind, Wechselwirkungen zwischen Kippelementen darzustellen. Erdsystemmodelle bilden den Grundbaustein eines Klimavorhersagesystems. Sie beschreiben den Zustand der Atmosphäre, des Ozeans, des Meereises und der Landoberfläche auf einer globalen Skala. 
  • Risikoanalysen mittels Modellsimulationen. Neu entstandene Methoden des Maschinellen  Lernens bieten hier wertvolle Unterstützung.

Mit dem Global Tipping Points Report ist der bisher umfassendste Überblick über Kipppunkte im Erd-Klimasystem gelungen. Der Bericht warnt vor den potenziell katastrophalen Risiken, die mit dem Erreichen von Kipppunkten verbunden sind und beschreibt gleichzeitig, wie die dringend notwendigen Veränderungen zeitnah umgesetzt werden können.
 

Autorin: Alice Quack

Fachliche Ansprechpersonen:
Dipl.-Geogr. Catharina Fröhling
Koordinatorin des Fokusthemas „Herausforderung – Anpassung an den Klimawandel“
E-Mail: klimaanpassung@vdi.de

Dr. Jochen Theloke
Koordinator des Fokusthemas „Energie und Umwelt: das 1,5 Grad-Ziel“
E-Mail: theloke@vdi.de

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