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Weltklima

Meere vor dem Kipp-Punkt: die Hydrosphäre

Bild: Ultramarinfoto via Getty Images

Die Erdoberfläche besteht zu gut 70 Prozent aus Wasser  kein Wunder also, dass Wasser im Wechselspiel mit der Atmosphäre einen solch bedeutenden Einfluss auf unser Klima hat.

Wie im Beitrag über die Kippelemente der Kryosphäre geht es auch diesmal um Wasser, allerdings in flüssiger Form. „Hydrosphäre“ ist der Oberbegriff für alle Wasservorkommen der Erde: von den Weltmeeren über Seen und Flüsse, das Grundwasser bis hin zum Wasserdampf in der Atmosphäre. Mit einem Anteil von 70 Prozent nimmt die Hydrosphäre den größten Teil der Erdoberfläche ein. Beide Kern-Kippelemente der Hydrosphäre – die „Atlantic Meridional Overturning Circulation“ und das Labrador- und Irminger Meer – beeinflussen unser Klima in Europa.

AMOC – Meerwasserförderband der Superlative

Die atlantische Umwälzzirkulation, englisch „Atlantic Meridional Overturning Circulation“ (kurz: AMOC), ist, genau wie der Golfstrom, ein Teil des globalen Meerwasser-Förderbands. Die Wissenschaft bezeichnet dieses globale Förderband auch als thermohaline Zirkulation. 

Auf Grund ihrer Bedeutung für das Erdklimasystem ist die AMOC das wichtigste Kern-Kippelement der Hydrosphäre. Der deutsche Klimatologe und Abteilungsleiter Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK),

Professor Stefan Rahmstorf, geht sogar noch einen Schritt weiter: Ein Kippen der AMOC gefährde den Fortbestand der Zivilisation auf der gesamten Erde. Er hält die Wahrscheinlichkeit, den Kipppunkt vor dem Jahr 2100 zu überschreiten, für deutlich größer als 10 Prozent, auch wenn das nicht direkt überall spürbar sein werde. Statt falsch-beruhigende Aussagen zu treffen, sei hier dringendes Handeln geboten, betont er im März dieses Jahres in einem Erklär-Video zu Kipppunkten.

Temperaturausgleich und Nährstofftransport

Die AMOC transportiert im Atlantik warmes Wasser, Kohlenstoff und Nährstoffe entlang der Meeresoberfläche von Süden nach Norden. Mit einer Geschwindigkeit von knapp zwei Metern pro Sekunde strömen Wassermassen durch den Atlantik, die größer sind als alle Flüsse der Erde zusammen. Je weiter sie nach Norden vordringen, desto mehr Wasser verdunstet. Die Folge: Der Salzgehalt steigt und das Wasser kühlt sich durch die niedrigen Temperaturen an der Oberfläche ab. Beides macht es dichter und damit schwerer. In der Grönlandsee sinkt es schließlich ab und kehrt als kalte Tiefenströmung nach Süden zurück. Dort erwärmt es sich wieder, steigt auf und macht sich erneut auf den Weg nach Norden.

So werden auf ganz natürliche Weise riesige Energiemengen verteilt, das Erdklima reguliert und extreme Wetterereignisse wie Stürme, Hitze oder Starkregen verhindert. Aber auch für das Ökosystem des Nordatlantiks ist die AMOC unverzichtbar, zum einen, weil sie Nährstoffe transportiert, zum anderen, weil sich Meerestiere mit ihr fortbewegen. Seit dem Ende der letzten Eiszeit funktioniert das weitgehend stabil, doch seit den 1950er Jahren verlangsamt sich die AMOC. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sprechen sogar von bis zu 15 Prozent in den letzten Jahrzehnten.

Artikelreihe Klima-Kipppunkte

  1. Kippelemente – Kipppunkte: ein Überblick
  2. Wo das Eis schmilzt: die Klima-Kippelemente der Kryosphäre
  3. Meere vor dem Kipp-Punkt: die Hydrosphäre
  4. Speicher nicht nur für Treibhausgase: die Klima-Kippelemente der Pedosphäre
  5. Wälder: die Klima-Kippelemente der Biosphäre
  6. Dynamische Kaskadeneffekte und Rückkopplungen: Der Dominoeffekt
  7. Herausforderungen an die Klima- und Sicherheitspolitik

Süßwasser wirkt als Bremse

Ursache ist der erhöhte Süßwassereintrag in den Nordatlantik durch verstärkte Niederschläge und das temperaturbedingte Abschmelzen des Grönland-Eisschilds und des arktischen Meereises. Die AMOC reagiert besonders empfindlich auf den Süßwasserdruck des Meeres. Dieser ist abhängig vom Süßwasserabfluss an der Oberfläche (Niederschlag) und vom Süßwassereintrag durch Flussabfluss oder Eisschmelze. Hier kommt die Kryosphäre ins Spiel, denn alle Teile des Klimasystems der Erde sind miteinander verbunden und bedingen und beeinflussen sich gegenseitig. 

Süßwasser ist leichter als Salzwasser und sinkt nicht ab. Die beiden Schichten bleiben daher undurchlässig übereinander liegen und vermischen sich nicht. Die Umwälzzirkulation des Atlantiks, die durch das vertikale Absinken von kaltem und das Aufsteigen von warmem Wasser angetrieben wird, kann nicht mehr funktionieren. Dieser physikalische Mechanismus wird als Konvektion bezeichnet und ist einer der Schlüsselprozesse im System der globalen Meeresströmungen und damit auch der AMOC: Ohne Konvektion keine Umwälzzirkulation.
 

Labrador- und Irminger Meer gelten als weiteres Kern-Kippelement

Von den Faktoren, die die gesamte AMOC beeinflussen, sind Labrador- und Irminger Meer aufgrund ihrer Lage besonders betroffen und gelten daher als weitere Kern-Kippelemente der Hydrosphäre. Sie bilden die Meeresgebiete des Nordatlantiks um die Südspitze Grönlands. Dort herrscht eine besondere Strömung, der Subpolarwirbel, der als Motor der atlantischen Umwälzzirkulation gilt. Hier ist die Konvektion mit bis zu 4.000 Metern noch besonders tiefreichend. Schwächt sie sich weiter ab, wird es im Nordatlantik regional um zwei bis drei Grad und global um etwa 0,5 Grad kälter. Das wiederum verschiebt den Jetstream der Polarfront nach Norden. Dieses Westwindband weht mit mehr als 500 Kilometern pro Stunde über den Nordatlantik. Geschieht dies in Zukunft weiter nördlich als bisher, ändern sich auch Wettermuster stärker. Der Kipppunkt für das Kern-Kippelement Labrador- und Irminger Meer ist bei einem globalen Temperaturanstieg von 1,8 Grad Celsius zu erwarten.

Studie sieht Kipppunkt noch in diesem Jahrhundert

Während selbst das IPCC die Stabilität der AMOC bisher überschätzt hat, kommt die aktuelle Studie einer Gruppe um den Klimaforscher René van Westen von der Universität Utrecht zu dem Schluss, dass ein Kippen der AMOC durchaus möglich ist und wir uns dem Kipppunkt nähern. Mit Hilfe eines Supercomputers haben die niederländischen Forschenden die bisher aufwendigsten Modellrechnungen durchgeführt, um nach Warnzeichen für diesen Kipppunkt zu suchen. Sie stützten sich dabei auf ein physikalisch begründetes und beobachtbares Frühwarnsignal. War ein Kippen der AMOC bisher nur eine theoretische Annahme, so waren die Forschenden überrascht, wie schnell sich diese lebenswichtige Umwälzzirkulation in ihrer Modellierung auf den Kipppunkt zubewegt. Ein Kippen hätte vor allem Auswirkungen auf Nordeuropa von Großbritannien bis Skandinavien. Diese Regionen müssten sich innerhalb von zwei bis drei Jahrzehnten auf deutlich niedrigere Wintertemperaturen und damit auf ein stark verändertes Klima einstellen.

Eine dänische Studie prognostiziert hingegen einen Zusammenbruch der AMOC zur Mitte dieses Jahrhunderts. Die Forschenden errechneten dafür eine Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent.

Die meisten anderen europäischen Klimaforscher wie Mojib Latif oder Jochem Marotzke, der sich 1985 als einer der ersten Deutschen in seiner Doktorarbeit mit der Umwälzzirkulation beschäftigt hatte, halten diese Prognose jedoch für nicht haltbar. Denn bei der Kipppunkt-Forschung kommt es darauf an, welche Annahmen getroffen werden, zum Beispiel wie schnell der Grönland-Eisschild abschmilzt. Und wie bei anderen Kippelementen gibt es viele Variablen, die sich gegenseitig beeinflussen und nicht zweifelsfrei simuliert werden können. Dass sich die AMOC bis zum Ende des Jahrhunderts weiter abschwächen wird, davon geht aber inzwischen auch das IPCC aus.

Die Regenwälder der Meere sind schon betroffen

Aber auch die Erwärmung des Meerwassers – allerdings am ganz anderen Ende der Erde – spielt beim regionalen Kippelement der Hydrosphäre eine Rolle: Korallenriffe in niederen Breiten, also in den Erdklimazonen der Tropen und Subtropen, reagieren äußerst empfindlich auf kleinste Temperaturänderungen. 

Doch was genau macht den Nesseltieren in den Regenwäldern der Meere zu schaffen? Es sind zwei Faktoren: Wärmeres Wasser verändert den Stoffwechsel der bunten Algen, mit denen die Korallen in Symbiose leben. Statt Sauerstoff und Zucker produzieren die Algen schädliche Sauerstoffradikale. Um sich davor zu schützen, stoßen die Korallen die Algen ab, verlieren dadurch ihre Farbe und werden weiß. Diese Bleiche schwächt die Korallen und führt langfristig zu ihrem Absterben. Zum anderen nimmt das Meerwasser ständig CO2 auf: Bisher etwa 30 Prozent der gesamten anthropogenen CO2-Emissionen. Das hat zwar bisher den Klimawandel verlangsamt, aber das Meer wird dadurch immer saurer und verhindert so, dass die Korallen stabile Kalkskelette ausbilden können.

Für kaum ein anderes Kippelement ist die Begrenzung des Temperaturanstiegs auf maximal 1,5 Grad Celsius so wichtig wie für die Korallenriffe. Zum Beispiel das Great Barrier Reef, seit 1981 UNESCO-Weltnaturerbe, das mit seinen mehr als 350 Steinkorallenarten die größte von Lebewesen geschaffene Struktur der Erde bildet. Gerade hier hat die Massenbleiche bereits ganze Riffgebiete stark verändert. Ein Prozess, der sich unaufhaltsam fortsetzen und 70 bis 90 Prozent aller Korallenriffe betreffen wird, wenn die weitere Erderwärmung nicht sofort gestoppt wird. Geht sie weiter, haben weltweit nur noch ein bis zwei Prozent der Korallen eine Überlebenschance - mit weitreichenden Folgen für die marine Artenvielfalt.

Autorin: Alice Quack

Fachliche Ansprechpersonen:
Dipl.-Geogr. Catharina Fröhling
Koordinatorin des Fokusthemas „Herausforderung – Anpassung an den Klimawandel“
E-Mail: klimaanpassung@vdi.de

Dr. Jochen Theloke
Koordinator des Fokusthemas „Energie und Umwelt: das 1,5 Grad-Ziel“
E-Mail: theloke@vdi.de

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