Warum sich Maschinelles Lernen auch für KMU lohnt
Maschinelles Lernen, Künstliche Intelligenz, neuronale Netze: Schlagworte, die bei manchen Unternehmer*innen Assoziationen an Science-Fiction und an Big Player wie Amazon oder Google hervorrufen – und einen gewissen Abwehrreflex. Dabei ist die neue Technologie weit mehr als ein bloßes Schlagwort und zugleich viel weniger als Science-Fiction-Zauberei, sagt Michael Heizmann.
Der Leiter des Instituts für Industrielle Informationstechnik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und Vorsitzender des VDI-Fachbereichs "Optische Technologien" hat maßgeblich am VDI-Statusreport "Maschinelles Lernen in KMU" mitgewirkt. Er betont: "Maschinelles Lernen ist ein wichtiges Werkzeug und lohnt sich gerade auch für kleine und mittlere Unternehmen".
VDI: Wenn es um Maschinelles Lernen geht, denken viele an Big Player: Amazon, Google oder auch Unternehmen wie Siemens. Kleine Unternehmen tun sich oft immer noch schwer mit dem Thema. Haben sie zu viel Respekt davor?
Michael Heizmann: Ja, absolut. Man muss erst einmal den Respekt vor dem Begriff "Maschinelles Lernen" oder "KI" verlieren. Das ist ein Werkzeug wie andere Werkzeuge auch. Keiner würde ja zum Beispiel infrage stellen, dass man eine Software für Betriebsdaten oder SAP-Software brauchen kann. Maschinelles Lernen ist einfach ein Tool, das auch kleine und mittlere Unternehmen nutzen können. Um Menschen da auch eine gewisse Scheu zu nehmen, würde ich ganz klar sagen: Liebe Leute, ihr müsst das Rad nicht neu erfinden. Unternehmen haben ja auch einen Steuerberater, der sich um das Finanzielle kümmert, wenn sie das nicht selbst erledigen wollen. Und genauso sollten sie sich Unterstützung holen, wenn es um neue Technologien wie das Maschinelle Lernen geht. Niemand muss eine KI selbst entwickeln, die Unternehmen müssen sie nur anwenden.
VDI: Wie kann das konkret aussehen? Gibt es Open-Source-Lösungen, die ich als Unternehmer nutzen kann?
Michael Heizmann: Im Bereich der Qualitätssicherung zum Beispiel gibt es frei verfügbare und kostenpflichtige Lösungen. Manche Anbieter haben sich gerade auf kleine und mittlere Unternehmen spezialisiert und bieten Bibliotheken an, die man gegen Bezahlung nutzen kann. Wenn ein Unternehmen zum Beispiel darüber nachdenkt, KI bei der Oberflächeninspektion in der Qualitätssicherung einzusetzen, muss es die Software nicht erst selbst entwickeln, sondern kann einfach eine entsprechende Bibliothek kaufen und in das Qualitätssicherungsinstrument integrieren.
VDI: In welchen Bereichen können Unternehmen denn konkret Nutzen aus Maschinellem Lernen ziehen?
Michael Heizmann: Da gibt es viele Bereiche. Das fängt bei der Produktion an, die man erheblich optimieren kann. Mit einer KI kann man etwa Fehler und Kostentreiber feststellen, die man sonst vielleicht nie bemerkt hätte. Nehmen wir als Beispiel die Qualitätssicherung durch Bildverarbeitung. Viele Unternehmen fangen jetzt erst an, Maschinelles Lernen dabei einzusetzen, gewinnen dadurch aber enorme Erkenntnisse. Die können erst einmal negativ sein, weil die Firmen plötzlich sehen: Unsere Produktion war bislang in manchen Bereichen echt schlecht. Ein anderer Bereich ist die Analyse der Kundenbeziehungen, über die ich viel über meine Kunden lernen und zum Beispiel Korrelationen innerhalb meines Kundenstamms erkennen kann. Das machen Riesen wie Amazon auch, aber es gibt keinen Grund, dass das ein kleines Unternehmen nicht machen sollte, ganz im Gegenteil.
„Maschinelles Lernen muss Chefsache sein“
VDI: Ist der Einsatz von Maschinellem Lernen denn eher eine nette Option oder ein Muss für Unternehmen?
Michael Heizmann: Maschinelles Lernen muss Chefsache sein. Es darf nicht sein, dass man als Unternehmen sagt: Das machen wir mal in zehn Jahren. Die Technologie ist inzwischen soweit, dass man sagen sollte: Wir sehen das als wichtige Unternehmensaufgabe.
VDI: Birgt das nicht unter Umständen Risiken bergen, wenn ein Unternehmen seine Prozesse umstellt und nach einem Jahr vielleicht doch merkt: Das hat gar nichts gebracht?
Michael Heizmann: Ich würde keinem empfehlen, seine Qualitätssicherung oder Kundenkontakte ab morgen nur noch mit KI zu machen. Das muss vielmehr als graduelle Erweiterung passieren, dann minimiert man das Risiko erheblich. So ein Tool könnte man zum Beispiel erst mal nur für eine Produktionslinie einsetzen oder für einen bestimmten Schritt in der Produktion.
Die Einführung neuer Technologien kann manchmal zu Sorgen und unter Umständen auch Ängsten um den Arbeitsplatz bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern führen. Wie sollte die Führungsebene eines Unternehmens so eine Erweiterung kommunizieren?
Sie muss es offen kommunizieren und allen ganz klar sagen, was sie durch den Einsatz von KI erreichen will: Zum Beispiel einen höheren Qualitätsstandard oder die Vermeidung von Rückläufern. Der Einsatz von Maschinellem Lernen heißt ja nicht, dass Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz verlieren. Änderungen im Arbeitsspektrum wird es trotzdem geben, wenn neue Technologien dazukommen. Das ist seit der Einführung des Hammers so. Einige Arbeitsschritte in der Produktion fallen dann vielleicht weg. Andere Tätigkeiten, wie die Nacharbeit beispielsweise, bleiben aber: Für die haben Mitarbeiter dann mehr Zeit, was die Qualität des Produkts wiederum steigert. Transparenz vonseiten der Geschäftsleitung ist an der Stelle einfach sehr wichtig. Das Argument muss sein: Dadurch, dass wir die Qualität steigern, sichern wir Arbeitsplätze.
VDI: Hinken wir Deutschen beim Einsatz von Maschinellem Lernen in KMU denn hinterher?
Michael Heizmann: Deutschland ist ja eher vorsichtig, was neue Technologien angeht. Das ist auch nicht völlig verkehrt, wenn man nicht immer auf den neuesten Hype setzt. Wenn wir uns mit Ländern wie den USA und vor allem China vergleichen, dann hinkt Deutschland schon hinterher, ja. Die Chinesen sind da deutlich und kaum einholbar weiter. Aber die Medaille hat zwei Seiten: In China wird keine Rücksicht auf persönliche Belange oder Datenschutz genommen und ich bin froh, dass das hier anders ist, dass die Menschenwürde gewahrt wird und Mitarbeiter bei diesen Themen auch ernstgenommen werden. Im Vergleich mit europäischen Ländern sind wir aber sehr gut aufgestellt, habe ich den Eindruck.
Interview: Peter Sieben
Fachlicher Ansprechpartner:
Dr.-Ing. Erik Marquardt
Fachbereich Optische Technologien
E-Mail-Adresse: marquardt@vdi.de