Viren aus der Luft filtern
Die Ereignisse in fleischverarbeitenden Betrieben haben zu reißerischen Schlagzeilen in den Medien geführt. Hierdurch ist innerhalb der Gesellschaft die Sorge entstanden, raumlufttechnische Anlagen seien „Virenschleudern“. Diese Sorge ist im Allgemeinen nicht gerechtfertigt.
Raumlufttechnische Anlagen, kurz RLT-Anlagen, können durch das Verdünnen und Abscheiden von Schadstoffen das Infektionsrisiko in Innenräumen deutlich reduzieren. Dies ist eine Tatsache. Allerdings ist es notwendig, dass Betreiber bestimmter Anlagen den Betrieb ihrer Anlagen neu bewerten. Diesbezüglich möchte der VDI zu einigen der brennenden Fragen Hilfestellung bieten.
Im allgemeinen Sprachgebrauch vernimmt man häufig undifferenziert den Begriff „Klimaanlage“ für diverse Anlagen- und Gerätetypen. Dies führt zu Verunsicherung unter den Nutzern von RLT-Anlagen. Denn in fleischverarbeitenden Betrieben, die derzeit besonders im Fokus stehen, kommen üblicherweise nur Umluftkühlgeräte zum Einsatz. Solche Geräte saugen lediglich die im Raum vorhandene Luft an, kühlen sie und geben sie wieder in den Raum ab.
Obwohl die Richtlinie VDI 6022 Blatt 1 für solche Geräte Filter fordert, werden sie zumeist ohne Filter betrieben. Sie führen auch keine Frischluft zu, sodass luftgetragene Schadstoffe weder ausgefiltert noch verdünnt werden. Demgegenüber weisen moderne RLT-Anlagen in Bürogebäuden mehrere Filterstufen auf und werden möglichst mit 100 Prozent Außenluft betrieben. Hier werden Schadstoffe, auch virenbeladene Tröpfchen, teilweise abgeschieden und ihre Konzentration durch Verdünnung reduziert.
Welche Rolle spielen Lufttemperatur und -feuchte?
In der Fleischverarbeitung sind niedrige Temperaturen (fünf bis zehn Grad Celsius) nötig, weil Fleisch bei höheren Temperaturen rasch verdirbt. Die Luft wird zusätzlich stark entfeuchtet. Kalte, trockene Luft begünstigt die Austrocknung der Bronchialschleimhäute, die dadurch anfälliger für Infektionen werden. Es reichen also weniger Keime für eine Infektion.
Seit längerer Zeit ist bekannt, dass die Empfindlichkeit der Bronchialschleimhäute bei dauerndem Aufenthalt in trockener Luft (weniger als 30 Prozent relative Feuchte) zunimmt. In verschiedenen Produktionsbereichen, in denen aus prozesstechnischen Gründen geringe Feuchten nötig sind, gelten daher Pausenregelungen: Die Beschäftigten dürfen nur begrenzte Zeiten am Stück unter den belastenden Bedingungen arbeiten und müssen sich dann in einer Umgebung mit angenehmen Bedingungen erholen, bevor sie das nächste Intervall in der belastenden Umgebung arbeiten.
Die trockene Luft begünstigt auch das Verdunsten der virenbeladenen Aerosoltröpfchen. Diese werden dadurch kleiner und können länger in der Schwebe bleiben, also weitere Distanzen überbrücken. Laute Arbeitsumgebung und schwere körperliche Arbeit spielen ebenfalls eine wichtige Rolle: Die Menschen können sich oft nur schreiend verständigen, und Atmung beschleunigt sich. Beides erhöht nicht nur den Ausstoß von virenbeladenen Tröpfchen, sondern auch deren Ausstoßgeschwindigkeit. Zudem belegen aktuelle Fotos aus den Betrieben, dass die Beschäftigten zueinander zu geringe Abstände einhalten.
Was sollten Betreiber tun, um auf die neuen Erkenntnisse zu reagieren?
- Erhöhung des Frischluftanteils: Die Konzentration von Viren in frischer Außenluft ist die geringstmögliche. Frischluft verdünnt daher die Konzentration der luftgetragenen Viren im Raum. Wo immer möglich, sollten RLT-Anlagen mit 100 Prozent frischer Außenluft betrieben werden. Dies ist die wichtigste Einflussgröße.
- Befeuchtung der Raumluft: In Aufenthaltsräumen sollte eine relative Feuchte von 30 bis 65 Prozent eingehalten werden.
- Filterung: Wo aus technischen Gründen Umluftbetrieb nötig ist, sollte die Raumluft nach Möglichkeit durch Umluftreinigungsgeräte mit Schwebstofffiltern (HEPA-Filtern) gefiltert werden. Dabei ist darauf zu achten, dass sich nicht durch die hohe Feuchte Mikroorganismen auf den Filtern vermehren.
- Bestrahlung: Kurzwellige Ultraviolettstrahlung (UV-C) wird in RLT-Anlagen eingesetzt, um die Vermehrung von Mikroorganismen zu reduzieren. UV-C-Strahlung ist nachweislich auch gegen Viren wirksam.
- Verkürzung von Instandhaltungsintervallen: RLT-Anlagen und alle ihre Komponenten sind nach den Vorgaben der Hersteller sowie nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik instandzuhalten. Hier sind für RLT-Anlagen insbesondere die Richtlinienreihe VDI 6022 und die Richtlinie VDI 3810 Blatt 4 zu nennen.
- Vor dem Hintergrund des aktuell erhöhten Risikos kann eine Verkürzung der sonst üblichen Instandhaltungsintervalle erforderlich sein, insbesondere für Inspektionen und Filterwechsel.
- Organisatorische Maßnahmen wie die Einführung von Regenerationspausen, die Vergrößerung der Abstände zwischen den Beschäftigten und persönliche Schutzausrüstung wie Atemmasken bieten weiteres Potenzial zur Risikominderung.
Was muss der Anlagenbetreiber tun?
Bei besonderen Gefahren wie dem SARS-CoV-2-Erreger müssen sich Betreiber von Anlagen wegen ihrer Arbeitgeberverantwortung und Verkehrssicherungspflicht fortschrittlicher Techniken und aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse bedienen. Denn die beschriebenen Risiken treten nicht nur in der fleischverarbeitenden Industrie auf. Folglich muss der Betreiber einer Anlage bei neuen Erkenntnissen über Risikopotenziale vorausschauend agieren. Betreiber von RLT-Anlagen sollten daher ihre Gefährdungsbeurteilung vor dem Hintergrund der aktuellen Erkenntnisse überprüfen und nötigenfalls aktualisieren.
Zusätzliche Schutzmaßnahmen erhöhen den Aufwand: Upgrades der Technik, Energieaufwand für die Konditionierung der Außenluft, Produktivitätsverluste durch organisatorische Schutzmaßnahmen. Schutzpflichten und Zumutbarkeiten sind nach den zu schützenden Rechtsgütern abzuwägen. Das höchste Rechtsgut, Leib und Leben, hat dabei Vorrang. Das Infektionsschutzgesetz orientiert sich daher am Stand der Technik, dem höchsten Schutzniveau.
Autoren: Thomas Wollstein, Frank Magdans
Fachlicher Ansprechpartner:
Dipl.-Phys. Thomas Wollstein
VDI-Gesellschaft Bauen und Gebäudetechnik
E-Mail-Adresse: wollstein@vdi.de