Unfallanalyse als Baustein für mehr Verkehrssicherheit
Die Verkehrssicherheit profitiert von den Erkenntnissen, die die Verkehrsunfallanalyse und die Unfallforschung aus der Untersuchung des realen Unfallgeschehens gewinnen. Erst wenn im Detail die Ursachen von Verkehrsunfällen sowie die Möglichkeiten zu deren Vermeidung oder auch Minderung der Unfallfolgen aus relevanten Einzelfällen bekannt sind, kann das Gesamtsystem Straßenverkehr wirksam verbessert werden.
Dabei sind Aspekte der Fahrzeugtechnik (aktive und passive Fahrzeugsicherheit) ebenso bedeutsam wie die sichere, unfallvermeidende Gestaltung der Infrastruktur. Die Unfallursachen, die im Fehlverhalten von Fahrzeugführern begründet sind, werden zunehmend durch Assistenz- und automatisierte Systeme kompensiert. Die Idee des autonomen Fahrens soll letztlich die „Vision Zero“ Schritt für Schritt weiter voranbringen. Der VDI leistet dazu mit der Richtlinienreihe VDI-MT 5900 „Sachverständige für Kraftfahrwesen und Straßenverkehr“ und speziell mit VDI-MT 5900 Blatt 3 – Projekt „Anforderungen an Sachverständige für Unfallanalyse“ einen maßgeblichen Beitrag.
Unfallanalytiker als Bestandteil des Rechtsystems
Der Wunsch nach individueller Mobilität führt zu einer stetigen Weiterentwicklung und Veränderung des Straßenverkehrs. Neue Technologien (vernetzte Fahrassistenzsysteme), alternative Antriebe (Elektromobilität) und neuartige Fahrzeugkonzepte (Elektro-Kleinstfahrzeuge) spielen dabei eine wichtige Rolle.
Technische Gutachten sowie die Aufklärung und Analyse von Straßenverkehrsunfällen durch qualifizierte Sachverständige liefern einen wichtigen Beitrag zur Rechtsprechung in Verkehrssachen.
Mit der Richtlinie VDI-MT 5900 wurde bereits eine wichtige Grundlage für die Weiterentwicklung der Anforderungsprofile von Sachverständigen für Kraftfahrwesen und Straßenverkehr sowie ihrer Aus- und Fortbildung gelegt. Die Richtlinie stellt die Kompetenzen dar, über die die Sachverständigen nach Abschluss ihrer Ausbildung verfügen sollen. Das Fahrzeugzulassungs- und -prüfwesen dagegen ist bereits im Kraftfahrzeugsachverständigengesetz (KfSachvG), der Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) und der Fahrzeugzulassungsverordnung (FZV) geregelt. Die VDI-MT 5900 bezieht sich speziell auf die Bereiche der Fahrzeug-Sachverständigentätigkeit, die keinen gesetzlichen Regelungen unterliegen. Die VDI-MT 5900 von 2020 bildet deshalb eine wichtige Grundlage für die Weiterentwicklung auch in diesen Bereichen.
Analyse von Verkehrsunfällen
Das Richtliniengremium VDI-MT 5900 Blatt 3 – Projekt definiert Kompetenzstandards speziell für Sachverständige zur Rekonstruktion und Analyse von Verkehrsunfällen. Das Expertengremium erarbeitet die Standards in Abstimmung mit den bisherigen Anforderungsprofilen der IHK zur öffentlichen Bestellung und Vereidigung. Die Gruppe setzt sich aus erfahrenen und renommierten Sachverständigen zusammen, die seit vielen Jahren deutschlandweit für die Gerichte technische Gutachten insbesondere zur Verkehrsunfall-Rekonstruktion erstellen. Die Erfahrungen aus der täglichen Gerichtstätigkeit und die Herausforderungen durch neue technische Entwicklungen der letzten Jahre können so gebündelt werden.
Bei der klassischen Verkehrsunfallanalyse wird stets analysiert, ob die am Unfall beteiligten Personen Situationen richtig erfasst, den Fahrverlauf im zulässigen Rahmen geregelt und richtig gehandelt haben. Wird beispielsweise eine verspätete Reaktion auf eine kritische Situation festgestellt, wird regelmäßig untersucht, ob bei rechtzeitiger Reaktion durch geeignete Abwehrmaßnahmen (Bremsen, Ausweichen usw.) oder das Einhalten einer zulässigen oder angemessenen Fahrgeschwindigkeit das Unfallgeschehen vermeidbar gewesen wäre.
Moderne Fahrzeugsysteme
Mit genau der gleichen Logik ist künftig zu prüfen, ob technische Systeme zur Fahrerassistenz oder zum automatisierten Fahren kritische Situationen rechtzeitig erfassen und angemessen reagieren. Für diese Analyse hat sich das Anforderungsprofil an die Sachverständigen durch die aktuelle Entwicklung der Fahrzeugtechnik in den letzten Jahren stark verändert.
Während in der Vergangenheit fast ausschließlich die Spuren an der Unfallstelle und an den Fahrzeugen im Fokus standen, wird die aktuelle Arbeit geprägt von dem stark zunehmenden Anteil elektronischer Systeme zur Erfassung bestimmter Situationen im Umfeld des Fahrgeschehens sowie zur Steuerung und Regelung von Fahrvorgängen. Dabei werden nicht nur Fahrzeuge und deren Technik betrachtet. Auch die Verkehrsinfrastruktur, das Verhalten andere Verkehrsteilnehmender sowie die manuelle und automatisierte Fahrzeugführung sind von großer Bedeutung.
Neue Anforderungen an den Sachverständigen
Die ständige Weiterentwicklung der Fahrzeugtechnologien sowie das große Datenaufkommen in Fahrzeugen und der Verkehrsinfrastruktur – wie Verkehrsleitrechner mit Protokollfunktion – führen dazu, dass die bisherigen Anforderungsprofile mit den fachlichen Kompetenzstandards für Sachverständige im Fachgebiet der Verkehrsunfallrekonstruktion angepasst werden müssen. Während in der Vergangenheit ein großer Schwerpunkt beispielsweise auf die konstruktiven Details von Verbrennungskraftmaschinen oder Getriebesätzen gelegt wurde, wurden jetzt mit dem Fachgremium die neuen Herausforderungen durch Fahrassistenzsysteme und Datenverarbeitung in den Fahrzeugen allgemein berücksichtigt. Die VDI-MT 5900 Blatt 3 – Projekt stellt das fachliche und persönliche Anforderungsprofil tabellarisch dar und enthält somit die Beschreibung erforderlicher SV-Kompetenzen, dazu zugeordnete Inhalte und Beispiele mit Bewertung der Prüfungsrelevanz und des Anforderungsniveaus als Hinweis für die Ausbildung und Zertifizierung.
VDI-MT 5900 Blatt 3 als Kompetenzstandard
VDI-MT 5900 Blatt 3 – Projekt enthält somit die Anforderungen zu der modernen Analyse von Verkehrsunfällen mit Fahrzeugen mit Fahrassistenzsystemen und entsprechenden Datenspeichern einerseits und andererseits auch die Nutzung moderner Arbeitsmittel, wie kollisionsmechanischer Computersimulationen und Crashtestdatenbanken.
Ausblick
Mit der Richtlinienreihe VDI-MT 5900 und der VDI-MT 5900 Blatt 3 – Projekt als erstem fachlichen Anforderungsprofil für Unfallanalytiker sind bereits wichtige Meilensteine erreicht. VDI-MT 5900 Blatt 2 – Projekt „Schäden und Bewertung“ von Kraftfahrzeugen ist ebenfalls in der Entstehungsphase. Das Fachgremium für die VDI-MT 5900 Blatt 4 – Projekt „Neue Technologien“ befindet sich in der konstituierenden Phase.
Der VDI hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit dem Thema der Qualifikation von Fachleuten einen entscheidenden Beitrag zur Verkehrssicherheit zu leisten.
Autoren:
Dipl.-Ing. Jörg Ahlgrimm, Präsident EVU und Vorsitzender des Richtlinien-Gremiums VDI-MT 5900 Blatt 3 – Projekt
Dr. Ingo Holtkötter, Geschäftsführer Sachverständigenbüro Schimmelpfennig + Becke und stellv. Vorsitzender des Richtlinien-Gremiums VDI-MT 5900 Blatt 3 – Projekt
Ansprechpartner im VDI:
Dipl.-Ing. Christof Kerkhoff
VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik
E-Mail-Adresse: kerkhoff@vdi.de