Revolution mit der Genschere
Mit dem Chemie-Nobelpreis werden in diesem Jahr Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna ausgezeichnet. Die Wissenschaftlerinnen erhalten den Preis der Königlichen Schwedischen Akademie der Wissenschaften für die Entwicklung der Genscherenmethode CRISPR/Cas. Es ist der erste wissenschaftliche Nobelpreis, den sich ausschließlich Frauen teilen.
Die französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier, Leiterin der Max-Planck-Forschungsstelle für die Wissenschaft der Pathogene in Berlin, hat gemeinsam mit der US-amerikanischen Biochemikerin Jennifer Doudna eine Methode entwickelt, mit der die DNA von Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen mit extremer Präzision verändert werden kann. Die sogenannte CRISPR/Cas9-Methode (sprich: Krisperkas) wird auch Genschere genannt, weil dabei DNA-Abschnitte herausgeschnitten werden. Die Genschere hat die Biotechnologie revolutioniert – und das nur acht Jahre nach ihrer Entwicklung.
CRISPR/Cas ist eine hochpräzise Technik, mit der sich das Erbgut aller Organismen verändern lässt. Die Methode ist abgeleitet von einem Abwehrsystem, das Bakterien gegenüber Bakteriophagen anwenden. Im Vergleich zu älteren Mutageneseverfahren ist sie deutlich zielgerichteter, weshalb Fachleute den Begriff Genome Editing geprägt haben: Das Erbgut, egal ob von Pflanzen, Tieren oder Menschen, lässt sich editieren, als würde man mit einem Computerprogramm einen Text bearbeiten.
Hoffnung in Sachen Welternährung
Zudem ist CRISPR/Cas einfacher, kostengünstiger und schneller als frühere Genome-Editing-Verfahren. Die Methode gibt vor allem Hoffnung für die Landwirtschaft, die angesichts des Klimawandels und der rasant wachsenden Weltbevölkerung vor riesigen Herausforderungen steht. Die Genschere erleichtert die Züchtung von Nutzpflanzen und ermöglicht es, Pflanzen so zu verändern, dass sie robuster gegen Schädlinge oder Dürreperioden werden. Längst arbeiten Wissenschaftler und Agrarkonzerne an mit der Genschere maßgeschneiderten Nutzpflanzen. Darüber hinaus soll CRISPR/Cas mittelfristig sowohl zur Therapie schwerwiegender genetisch bedingter Krankheiten als auch zur Optimierung von Prozessen in der Chemieindustrie eingesetzt werden.
Anders als mit alten Gentechnikverfahren können mit CRISPR/Cas Pflanzengenome verändert werden, ohne Fremdgene einzuführen. Das Erbgut wird so verändert, wie es auch durch natürliche Mutationen vorkommen könnte, nur wesentlich zielgerichteter. Ältere Mutageneseverfahren erzeugen im Gegensatz dazu eine Vielzahl zufälliger Gendefekte, indem sie erbgutverändernde Chemikalien oder ionisierende Strahlung einsetzen. Mehr als 3.000 Pflanzensorten aus dieser Methodik sind auf dem Markt.
VDI: öffentlicher Dialog über Ethik und Risiken wichtig
Trotzdem muss eine Evaluation bei neuen Technologien wie dieser hinsichtlich möglicher Risiken und ethischer Bedenken stattfinden. Bereits 2017 hat der Fachbeirat Biotechnologie des VDI Chancen und Risiken von CRISPR/Cas aus Ingenieurperspektive betrachtet und mögliche gesellschaftliche, ökologische und ökonomische Folgen diskutiert. Der Fachbeirat Biotechnologie plädiert für einen interdisziplinären, konsensorientierten und öffentlichen Dialog – unter Einbindung von Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Gesellschaft, Politik und Verwaltung. Ziel muss es sein, mögliche Vor- und Nachteile für Umwelt und Gesellschaft zu diskutieren sowie offene Fragen zu klären, damit der Einsatz von CRISPR/Cas effizient, zukunftsorientiert und zum Wohle aller gestaltet werden kann.
Autor: Stephan Berends
Ansprechpartner:
Dr. rer. nat. Martin Follmann
VDI-Gesellschaft Technologie of Life Science
Telefon: +49 211 6214 320
E-Mail-Adresse: follmann@vdi.de