Phosphorrecycling aus Klärschlamm
In Klärschlamm steckt jede Menge wertvoller Phosphor, den die Landwirtschaft hervorragend zum Düngen nutzen könnte. Doch gleich zwei gesetzliche Regelungen unterbinden aus gutem Grund, dass Klärschlamm direkt auf den Acker ausgebracht wird. Nun suchen Ingenieur*innen nach Technologien, um den Phosphor zurückzuholen.
Phosphor ist ein wichtiger Pflanzennährstoff, ohne den unsere Nahrungs- und Nutzpflanzen nicht wachsen können. Da innerhalb der Europäischen Union wesentliche Lagerstätten fehlen, hat die EU-Kommission Phosphor sogar als kritischen Rohstoff eingestuft. Aktuell deckt Deutschland den Großteil seines Bedarfs vor allem aus den Phosphatvorkommen in Marokko und der westlichen Sahara. Das müsste nicht sein, entstehen doch in jeder Kommune ohnehin phosphorhaltige Abfallberge, die man hervorragend zur Deckung des Bedarfs nehmen könnte.
Die rund zwei Millionen Tonnen Klärschlammmasse, die kommunale Kläranlagen jedes Jahr aus Deutschlands Abwässern herausfischen, enthalten etwa 60.000 Tonnen Phosphor. Verteilte man allerdings die Feststoffe aus dem Klärwerk unkontrolliert zum Düngen auf den Feldern, würden dort auch nicht abgebaute Medikamentenreste, Schwermetalle sowie synthetische Polymere landen. Diese Art Mikroplastik zum Beispiel setzen Klärwerke gezielt ein, um den Feststoffanteil sowie die Bakterien aus der biologischen Klärstufe mechanisch besser zu entwässern. Die harten Partikel zerstören die Membranen der Bakterien und sorgen dafür, dass sich die Biomasse besser auspressen lässt.
Düngemittelverordnung und Klärschlammverordnung zwingen zum Umdenken
Das sei Stand der Technik, sagt Peter Quicker, Leiter des Lehr- und Forschungsgebiets Technologie der Energierohstoffe (TEER) an der RWTH Aachen im Interview. „Dadurch steigt die Menge an Trockensubstanz auf bis zu 30 Prozent“, nennt Quicker, der als Obmann in den Richtlinien-Gremien VDI 3460, VDI 3933, VDI 3925 und VDI 3461 der VDI/DIN-Kommission Reinhaltung der Luft (KRdL) - Normenausschuss tätig ist, einen Vorteil des Einsatzes solcher synthetischer Polymere. Zugleich wird klar, dass sich dieser Klärschlamm nicht mehr ausbringen, sondern nur noch verbrennen lässt. Denn in der Düngemittelverordnung (DüMV) ist die Menge an synthetischen Polymeren, die sich im Klärschlamm nicht schnell genug selbst abbauen, stark begrenzt.
Auch die Klärschlammverordnung (AbfKlärV) von Oktober 2017 bringt für die Klärwerksbetreiber eine Neuerung, die sie zum Umdenken zwingt. Denn enthält Klärschlamm mehr als 20 Gramm Phosphor pro Kilogramm Trockenmasse, müssen Klärwerke mit über 100.000 Einwohnerwerten den Phosphor ab dem Jahr 2029 zurückgewinnen. Ab dem Jahr 2032 ist dies dann auch für kleinere Kläranlagen mit mehr als 50.000 Einwohnerwerten Pflicht. Doch bislang hat sich kein Verfahren, mit dem das gelingen könnte, großtechnisch bewährt.
Ein wichtiger Schritt in Richtung zirkulärer Wertschöpfung
Den wertvollen Düngestoff aus dem Klärschlamm zu recyceln, wäre auch ein wichtiger Schritt in Richtung zirkulärer Wertschöpfung. Zwei Recyclingwege stehen derzeit zur Verfügung: den Phosphor aus dem Klärschlamm direkt oder aber aus den Aschen einer Klärschlamm- verbrennung abzutrennen. Damit wird aber auch klar, dass Klärschlamm nicht wie bisher üblich zum Beispiel in Zementwerken oder in Müllverbrennungsanlagen einfach mitverbrannt werden darf. Denn bei diesen Prozessen wird der Phosphor in den Schlacken oder im Klinker fest gebunden und ist damit verloren.
Klärschlamm, der nur ganz wenig Phosphor enthält, eignet sich allerdings weiterhin zur Mitverbrennung in Kohlekraftwerken. Zumal er sich selbst aus deren Aschen noch abtrennen ließe. Dies wäre also auch nach dem geplanten Kohleausstieg ein gangbarer Weg, meint Peter Quicker, denn „RWE hat bereits signalisiert, in ihren Industriekraftwerken bis zu 700.000 Tonnen Klärschlamm annehmen zu können“.
Stand der Technik beim Verbrennen von Klärschlamm ist die Monoverbrennung in stationären Wirbelschichtöfen. „Mindestens 95 Prozent aller Klärschlämme, kommunale wie auch industrielle, werden in Deutschland so behandelt“, erklärt VDI-Obmann Quicker. Da diese bei niedrigen Temperaturen gefahren würden, entwickeln sich auch nur relativ geringe Mengen an Stickoxiden, die im Verbrennungsprozess frei würden. Eine zweite Möglichkeit ist die Verbrennung in Drehrohröfen. Hier wird Abgas zum Beispiel von Müllverbrennungsanlagen in ein Drehrohr eingeblasen. Der Klärschlamm wird im Gegenstrom zugegeben. Das langsam bewegte Schüttgut trocknet allmählich im 900 bis 1.000 Grad Celsius heißen Gas, bis es schließlich verbrennt.
Phosphor aus der Asche abtrennen
Ob Drehrohr oder Wirbelschichtofen: Übrig bleibt Asche, aus der der nun in hoher Konzentration vorliegende Phosphor noch separiert werden muss. Mit nasschemischen Verfahren lassen sich Phosphorsäure, Düngemittel, Kalziumphosphat oder Kalziumammoniak aus dieser Asche gewinnen. Bei thermochemischen Verfahren wiederum wird die Asche bei etwa 950 Grad Celsius mit einem Alkalisalz versetzt. Dadurch lassen sich Schwermetalle abtrennen und im Abgasstrom austreiben.
Die EuPhoRe GmbH in Telgte hat dieses Verfahren nun weiter verbessert. Das Unternehmen versetzt bereits den feuchten Klärschlamm noch vor der Verbrennung im Drehrohrofen mit Kalzium- oder Magnesiumchlorid. Dadurch fallen die Schwermetalle aus, die Nährstoffe aber stecken noch im Klärschlamm. In dieser Form dürfte er dann wohl als Dünger auf die Felder.
Die Wissenschaftler*innen um Peter Quicker am TEER in Aachen wiederum optimieren einen ähnlichen Prozess, allerdings für Wirbelschichtöfen. Dabei experimentieren sie mit bestimmten Additiven. „Wir glauben, dass das noch besser funktionieren könnte als im Drehrohr, weil die Durchmischung besser funktioniert“, ist Quicker überzeugt.
Der Entsorgungskonzern Remondis wiederum hat das Tetraphos-Verfahren entwickelt, das sich bereits in einer kleinen Testanlage bewährt hat. Es soll demnächst die Abwässer von den zwei Millionen Einwohnern Hamburgs vom Phosphor befreien. Die Großanlage auf dem Gelände von Hamburg Wasser an der Süderelbe befindet sich aktuell noch im Bau. Im Prozess wird phosphorreiche Asche in verdünnter Phosphorsäure gelöst, die Kalzium, Aluminium und Eisen aus der Asche entfernt. Dabei lässt sich Kalzium in Form von Gips abtrennen und als Baustoff nutzen, Aluminium wiederum als Fällungsmittel bei der Abwasserreinigung einsetzen. Die Anlage ist laut Remondis die weltweit erste ihrer Art. Hier sollen aus 20.000 Tonnen Klärschlammasche pro Jahr 7.000 Tonnen Phosphorsäure gewonnen werden. Das Bundesumweltministerium fördert dieses Bauprojekt mit immerhin 18,5 Millionen Euro.
Keines der Verfahren hat sich bisher großtechnisch bewiesen
Ein Manko aber weisen alle Verfahren auf: Keines hat seine Praxistauglichkeit im industriellen Maßstab bewiesen, alle befinden sich mehr oder weniger noch in der Entwicklung. Zudem gebe es noch keine veröffentlichten Daten dazu, kritisiert Margit Löschau, Mitglied der Geschäftsleitung der TBF + Partner AG in Hamburg. Löschau berät Klärwerksbetreiber bei Planung und Bau von thermischen Anlagen und ist ebenfalls als Expertin für technischen Umweltschutz in den VDI-Gremien tätig. „Großtechnisch wurde in Deutschland bisher kein einziges Verfahren umgesetzt“, konstatiert Löschau.
Und wie sieht es in unseren Nachbarländern aus? In der Schweiz zum Beispiel darf Klärschlamm bereits seit 2006 nicht mehr direkt auf die Felder gegeben werden. Dort sei man zum Teil schon einen Schritt weiter, erzählt Löschau, auch wenn die dort entwickelten Verfahren zum Phosphorrecycling den deutschen doch sehr ähnelten. So setzt etwa der Verband Entsorgung Region Zofingen am Standort Oftringen im Kanton Aargau ein an eine Müllverbrennungsanlage gekoppeltes Drehrohr ein, bei dem aber noch nicht feststeht, ob der Verbrennungsrückstand dann auch als Düngemittel genehmigt würde.
Klar ist derweil, dass die Klärwerksbetreiber in Deutschland erheblich unter Druck stehen: „Viele wissen noch gar nicht, welches Verfahren zur Phosphorrückgewinnung sie anwenden wollen“, bestätigt Löschau, „sie geben deshalb erst einmal eine Machbarkeitsstudie in Auftrag.“ Wer auf ein Recycling des Phosphors aus der Klärschlammasche setze, spekuliere meist auf Übergangsfristen. Zunächst würden deshalb wohl phosphorhaltige Aschen getrennt erfasst, vermutet Löschau.
Doch die Zeit drängt. Löschau rechnet vor, dass vom Bau einer Verbrennungsanlage bis zur Inbetriebnahme schon mal sechs Jahre vergehen könnten. Sinnvoll könnte es deshalb sein, dass die Klärwerksbetreiber, die ihren Klärschlamm verbrennen lassen, die anfallenden Aschen sammelten und dann zu einer zentralen Recyclinganlage bringen, meint die Umwelttechnikexpertin.
Autorin: Bettina Reckter