Mit dem Digitalen Produktpass zur Kreislaufwirtschaft
Industrie, Gewerbe und Handel verbrauchen fast die Hälfte des Primärenergiebedarfs in Deutschland. Zudem fehlen uns hier natürliche Ressourcen und Rohstoffe, so dass wir von Lieferungen aus dem Ausland abhängig sind. Der Digitale Produktpass ist daher ein wichtiger Schritt, um eine Kreislaufwirtschaft aufzubauen. Das macht den Standort Deutschland nicht nur resilienter, sondern auch nachhaltiger, denn es schont wertvolle Ressourcen.
Der Digitale Produktpass – Vorgaben erfolgen auf EU-Ebene
Die Europäische Kommission hat die Vorteile der Kreislaufwirtschaft erkannt und erarbeitet Gesetzesvorlagen für nachhaltige Produkte und für den Aufbau einer Kreislaufwirtschaft. Die EU hat einen Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft bereits im Rahmen des Green Deal vom März 2020 entwickelt, mit dem Ziel, die CO2-Emissionen bis zum Jahre 2045 in Europa auf null zu drosseln.
Ende März 2023 folgte der Entwurf der „Ökodesign-Verordnung“ für nachhaltige Produkte. Dabei geht es um die Produktgestaltung, die für bis zu 80% der Umweltauswirkungen eines Produktes während seines Lebenszyklus maßgeblich ist. Darin sind neue Anforderungen vorgesehen, damit Produkte nachhaltiger und zuverlässiger werden sowie wiederverwendet, nachgerüstet und repariert, leichter gewartet, aufgearbeitet oder recycelt werden können und energie- und ressourceneffizient gestaltet werden. Zudem sorgen produktspezifische Informationsanforderungen dafür, dass die Umweltauswirkungen über den Lebenszyklus des Produkts klar erkennbar sind.
Alle unter die Verordnung fallenden Produkte werden einen Digitalen Produktpass (DPP) erhalten, in der Produkteigenschaften und vor allem Informationen über eingesetzte Materialen enthalten sind. Daten, die während der Produktnutzung anfallen, können jederzeit ergänzt werden. Somit sind am Ende der Nutzungsphase alle Informationen über das Produkt bekannt und können im Rahmen der Rückführung des Produkts genutzt werden. Das heißt der Digitale Produktpass macht Kreislaufwirtschaft erst möglich.
Damit die Nutzung des Digitalen Produktpasses überhaupt funktionieren kann und damit die Kreislaufwirtschaft, ist ein umfassendes Management aller Daten der Produktpässe über die gesamten Wertschöpfungsketten erforderlich.
Die Ökodesign-Verordnung regelt im Wesentlichen die Anforderungen an die Informationen zur Nachhaltigkeit von Produkten mit dem Ziel, daraus Maßnahmen für ihre Wiederverwertung zu definieren. Sie gilt in der derzeitigen Planung nur für Endprodukte und soll Verbrauchern die Möglichkeit geben, die Nachhaltigkeit von Produkten zu bewerten.
Industrie, Gewerbe und Handel verbrauchen fast die Hälfte des Primärenergiebedarfs in Deutschland. Das ist ungefähr das Vierfache des zurzeit erzeugten nachhaltigen Stroms in Deutschland.
Der Energieverbrauch kann neben der effizienteren Erzeugung und längeren Nutzung der produzierten Güter insbesondere durch den Aufbau einer "Kreislaufwirtschaft", das heißt einer energieschonenden Rückführung von Gütern in den Produktionsprozess, erreicht werden. Neben Einsparungen im Energieverbrauch schont die Kreislaufwirtschaft die natürlichen Ressourcen und Rohstoffe auf unserer Erde. Ihre Vorkommen befinden sich fast ausnahmslos im Ausland und sind limitiert. Daher ist der Standort Deutschland bei Ressourcen von zuverlässigen Lieferungen aus dem Ausland abhängig. Zudem verkürzt die Kreislaufwirtschaft, d.h. die Wiederverwendung von Ressourcen, die Lieferketten erheblich und trägt damit zur Resilienz der Lieferketten bei.
Technologische Enabler für den Digitalen Produktpass
Um den Digitalen Produktpass einzuführen, gilt es technologische Voraussetzungen zu schaffen, die bereits bestehende bzw. in Vorbereitung befindliche digitale Lösungen als „Enabler“ berücksichtigen.
Wichtige Enabler sind bereits bestehende IT-Infrastrukturen. So existieren in der EU bereits Cloud-Plattformen wie GaiaX, die eine skalierbare und verfügbare Bereitstellung von Daten und Anwendungen ermöglichen.
Weiterer Enabler sind Lifecycle-Strategien für die Beschreibung und Vernetzung von Kreisläufen in den einzelnen Wertschöpfungsstufen. Ansätze wie das Product Lifecycle Management (z.B. im Anlagenbau oder bei Gebäuden) können als Grundlage dienen, um die Vernetzung von Systemen entlang der Informationswertschöpfungskette zu realisieren.
Mit der ganzheitlichen Betrachtung der Kreisläufe steigt die Komplexität, sodass zunehmend wirtschaftlich relevante Fragestellungen mit Methoden des Data Science und Verfahren der Künstlichen Intelligenz beantwortet werden müssen. Entsprechend ist ein weiterer Enabler die „Product Intelligence“, welche die Bereiche Informationsarchitektur, Analysetechnologien, operative Prozesse sowie die Entwicklung von Methoden und Verfahren umfasst.
Grundlage für die Nutzung von Daten aus den Kreisläufen sind branchenneutrale Standards, damit Produkte und ihre Bestandteile auch über Unternehmensgrenzen hinweg weltweit miteinander kommunizieren können. Bereits existierende „Verwaltungsschalen“ („Stecker für digitale Ökosysteme“, über die alle Daten bzw. Informationen zu einem bestimmten Asset finden, ausgetauscht bzw. abgelegt werden können.) nehmen bereits heute eine wichtige Rolle als Enabler ein.
Einordnung und Problemanalyse – Chancen und Risiken
Die Einführung des Digitalen Produktpasses bietet also erhebliche Chancen für die Realisierung der Kreislaufwirtschaft: Transparenz für die Industrie sowie für den Endkunden; Ressourcen und Materialen können optimal genutzt und wiederverwendet werden.
Allerdings ergeben sich auch aus den aufgezeigten Bedarfen, ordnungspolitischen Vorgaben und notwendigen Enablern für die Entwicklung kreislauffähiger Produkte und Geschäftsmodelle noch offene Fragen und weiterführende Herausforderungen hinsichtlich der Nutzbarkeit des Digitalen Produktpasses. So werden bei der Überarbeitung der Ökodesign-Verordnung restriktive Vorgaben beschrieben, jedoch deren Umsetzbarkeit im Sinne lösungsorientierter Anforderungen nicht vorgegeben. Entsprechend ist unklar, welches Kundenverhalten oder welche Unternehmen und Technologien betrachtet werden und was das Markbedürfnis ist. Damit verbunden sind eine Reihe von Risiken.
Durch die geschaffene Transparenz und die verfügbaren weiterführenden Produktinformationen soll zudem das Kundenverhalten beeinflusst werden. Ob dies gelingt, muss sich in der Praxis zeigen. Es ist fraglich, ob der Digitale Produktpass den Endkunden dazu bringt, nachhaltigere Produkte zu kaufen und auf gewohnte Produkte zu verzichten oder ob ökonomische Aspekte die Kaufentscheidungen dominieren. Ausschlaggebend ist die Bereitschaft des Kunden, für Nachhaltigkeit zu zahlen, sowie die Frage, wie eine Bepreisung von Nachhaltigkeit erfolgen kann. Ein Mittel, ökologische Ziele mit ökonomischen zusammenzuführen, ist die CO2-Bepreisung, allerdings führen lokal höhere CO2-Preise ggf. zu Wettbewerbsnachteilen auf dem Weltmarkt.
Die Industrie und Gewerbe muss sich zum Aufbau der Kreislaufwirtschaft strategische Ziele setzen und kreislauffähige Produkte mit geeigneten Geschäftsmodellen entwickeln. Die Umsetzung von Kreislaufstrategien geht mit der Befähigung des Managements und der Entwicklung in Unternehmen einher, Kreisläufe über die eigenen Unternehmensgrenzen vorzudenken und diese dann in Produkte bzw. Dienstleistungen umzusetzen. Somit sind Kreisläufe als Komponenten des Marktbedürfnisses zu verstehen, welches auch die Freisetzung von Ressourcen durch neue Kundenbedürfnisse und die Bindung von Ressourcen durch neue Produkte umfasst. Das setzt neu zu schaffende Kreislaufmärkte voraus, um zwischen Unternehmen tragbare Geschäftsmodelle auf der Grundlage der verfügbaren Mengen und Obsoleszenzen von Produkten mit ihren Bestandteilen planen und entwickeln zu können.
Zum Aufbau der firmenübergreifenden zirkulären Geschäftsmodelle fehlt zurzeit noch die Informations-Infrastruktur oder befindet sich im Aufbau. Benötigt wird ein „Ökosystem“ für Informationen, welches die Anforderungen bezüglich Offenheit, Vernetzung auf der einen Seite, Datenqualität, Verantwortung und Zugriffsberechtigung auf allen Seiten erfüllt. Mit der branchenübergreifenden Initiative Manufacturing-X der Bundesregierung soll hier ein entsprechender Datenraum geschaffen werden.
Fazit
Der Digitale Produktpass soll Transparenz für die Kunden darüber schaffen, wie nachhaltig Produkte sind. Es kann aber nur der erste Schritt in Richtung Kreislaufwirtschaft sein, die für ein nachhaltiges Wirtschaften zwingend notwendigen ist.
Hierfür sind Veränderungen im Kundenverhalten notwendig und damit verbunden der Aufbau kreislaufbasierter Geschäftsmodelle. Für diese firmen- und branchenübergreifenden Geschäftsmodelle bedarf es einer entsprechenden Informations-Infrastruktur und informationstechnischen Grundlagen, die sich in der Entwicklung befindet.
Erstellt vom Interdisziplinäres Gremium Digitale Transformation (IGDT)
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Dipl.-Ing. Dieter Westerkamp
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