Der lukrative Dreh im Materialkreislauf
Rohstoffe und andere Ressourcen werden weltweit knapp. Das zwingt Hersteller und Verbraucher zum Umdenken. Verwerten statt wegwerfen heißt die Devise. Doch wie weit ist Deutschland in dieser Hinsicht?
Eine zeitgemäße Aufgabe der Ingenieur*innen ist es, technische Lösungen für einen realen Recyclingprozess zu finden. Gelingt dieser Dreh, könnte letztlich die gesamte Wertschöpfungskette davon profitieren. Und vor allem entsteht so ein Prozess, der die Bezeichnung zirkuläre Wertschöpfung tatsächlich verdient. Im Kern geht es darum, den Wert von Materialien nach dem Gebrauch so zu erhalten, dass sich daraus ohne Wertverlust neue Produkte fertigen lassen.
Wir haben das Potenzial, das sich daraus ergibt, frühzeitig erkannt. Hierzu haben wir Handlungsfelder abgesteckt. Diese haben wir dann in einem Papier zusammengetragen. Worauf es hierbei künftig ankommt, beschreibt Dr.-Ing. Hans-Jürgen Schäfer, Geschäftsführer der VDI-Gesellschaft Materials Engineering (GME) und einer der Autoren unserer Publikation, so: „Um eine zirkuläre Wertschöpfung umzusetzen, ist es zunächst wichtig, die derzeitigen Designprinzipien anzupassen, um verbrauchte Produkte möglichst sortenrein wieder zerlegen zu können.“ Dabei ist es von Bedeutung, unlösbare Verbindungen, zu viele verschiedene Materialien in einem Produkt sowie grundsätzlich nicht recycelbare Stoffe zu vermeiden.
Von der Idee an auf die erneute Verwertung achten
Mit einer guten Infrastruktur und optimierten Recyclingverfahren könnte es gelingen, Stoffe weitestgehend im Kreislauf zu halten. Angebracht wäre zudem, die Verbraucher einzubeziehen. Der Begriff der zirkulären Wertschöpfung bezieht folglich signifikant mehr Aspekte mit ein als das bisher verfolgte Prinzip einer linearen Wertschöpfung, die vor allem das Vermeiden und Wiederverwenden als Nachhaltigkeitsaspekt im Blick hatte. Und er integriert Stoffstrommanagement und Energiesysteme auf nachhaltige Weise. Dadurch wiederum verringern sich ganz allgemein die Umweltbelastungen. Außerdem würden sogar neue Arbeitsplätze entstehen.
Branchenexperten vertreten deshalb die Meinung, dass die Weltwirtschaft um die zirkuläre Wertschöpfung künftig nicht mehr herumkommt. Die Bundesregierung hat das ebenfalls erkannt. Entsprechend fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die „Circular Economy Initiative Deutschland“, die durch die Einbindung von Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft den Dialog anstoßen will, wie eine systemische Trendwende gelingt.
Zusätzliche Wachstumseffekte in vielen Sektoren
Studien zeigen, dass durch die zirkuläre Wertschöpfung nicht nur der Wert der Materialien steigt, sondern auch die Emissionen, beispielsweise an Kohlendioxid, sinken. Schäfer dazu: „Das zahlt auf die nationalen Klimaziele ein.“ Ein entscheidendes Argument für die Schließung von Stoffkreisläufen sei jedoch auch, dass diese sich positiv auf Wirtschaft und Beschäftigung auswirkt. „Neue Geschäftsmodelle entstehen, die Ressourcenproduktivität erhöht sich, Material und Energie werden eingespart.“
Auch die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech) nahm kürzlich das Potenzial der zirkulären Wertschöpfung unter die Lupe. Obwohl die Zahlen noch nicht umfassend wissenschaftlich untermauert werden können, kommt sie in ihrer Vorstudie „Deutschland auf dem Weg zur Circular Economy“ zu folgender Prognose: „So sollen in Europa bis zu 50 Prozent der Emissionen in materialintensiven Industrien und Wertschöpfungsketten reduziert oder gesamtgesellschaftliche Nettogewinne von 900 Mrd. Euro pro Jahr bis 2030 erzielt werden können.“
Deutschland im internationalen Vergleich
In vielen technischen Bereichen ist Deutschland weltweit Vorreiter, so auch noch in der Abfallwirtschaft. Hierzulande wird nur noch ein Bruchteil des Müllaufkommens überhaupt auf Deponien verbracht. Und zum Beispiel mit den dualen Systemen und den kommunalen Müllabfuhren sind längst gut funktionierende Infrastrukturen zum Sammeln und Sortieren der Siedlungsabfälle entstanden. Allerdings landet noch ein Großteil zum Beispiel der eingesammelten Kunststoffverpackungen in der Müllverbrennung. Thermische Verwertung wird das genannt. Dass dies kein Recycling sein kann, liegt auf der Hand.
Trotzdem: Im internationalen Vergleich steht Deutschland gar nicht schlecht da. „Hier werden 65 Prozent der Siedlungsabfälle recycelt“, sagt Schäfer. Der EU-Durchschnitt liegt bei nur gut 40 Prozent. In den USA sind es sogar nur 35 Prozent. „In Ländern wie Türkei, Serbien oder Mazedonien ist es fast nichts. Das eröffnet der deutschen Wirtschaft Möglichkeiten, ihre Recyclingtechnologien zu exportieren“, ist Schäfer überzeugt.
Konkrete Recyclingquoten zeigen Potenziale auf
Im Fall der Kunststoffabfälle sieht es folgendermaßen aus: Deutschland recycelt nach Angaben der Bundesregierung 38 Prozent; der EU-Durchschnitt kommt noch auf 30 Prozent – wobei Deutschland wie auch die EU kräftig Kunststoffe exportieren und dadurch zum Beispiel die deutsche Recyclingquote gemessen an der Erzeugung genau genommen nur noch bei 17 Prozent läge. China gewinnt rund 25 Prozent der Kunststoffabfälle zurück. In den USA sind es sogar nur neun Prozent.
Auch beim Elektroschrott geht aktuell noch viel Potenzial verloren. Immerhin beträgt nach Angaben des Weltwirtschaftsforums und der Vereinten Nationen die Menge des weltweit anfallenden Elektroschrotts 50 Mio. Tonnen pro Jahr. Allein der Materialwert wird auf 50 Mrd. Euro beziffert. Laut UN wird aber nur ein Fünftel des Elektroschrotts wiederverwertet. Europa kommt hier mit 35 Prozent schon auf eine bessere Quote.
Traditionell gute Recyclingquoten erzielt der Altpapiersektor mit europaweit 72 Prozent. Und im Bausektor werden laut der Initiative „Kreislaufwirtschaft Bau“ mit 78 Prozent im Hoch- und Tiefbau und mit sogar 95 Prozent im Straßenbau besonders gute Werte erreicht. Allerdings, so heißt es bei der Initiative, würde doch ein Großteil der Baustoffe in Ausfüllungen und im Straßenunterbau eingesetzt, was keiner gleichwertigen Verwendung entspricht.
Milliardeneinsparungen und positive Mitnahmeeffekte
Angesichts dieser Zahlen sind die Ingenieur*innen gefragt. Sie müssen bereits beim Designentwurf in Betracht ziehen, wie sich das Produkt nach seiner Nutzung erneut verwenden lässt. Denn dann würde es die Abfallproblematik gar nicht erst geben. Für Schäfer ist deshalb klar: „Eine vornehmliche Aufgabe der Ingenieur*innen ist es, Produkte so zu konzipieren, dass sie nach der Gebrauchsphase wieder ökonomisch und ökologisch vorteilhaft in ihre Stoffkomponenten separiert werden und dem Wertschöpfungskreislauf erneut zugeführt werden können.“ Die Politik solle hierzu geeignete Rahmenbedingungen schaffen. Der VDI arbeitet derzeit bereits intensiv mit Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft an der Schaffung von Wertschöpfungsnetzwerken.
Gelingt das, ergeben sich positive ökonomische Effekte, weil dann plötzlich Wertstoffe zur Verfügung stehen, die bisher verloren scheinen. Ein Beispiel: Würden alle Kunststoffabfälle weltweit konsequent recycelt, ließe sich nach Angaben der Europäischen Union dadurch jedes Jahr eine Menge an Energie einsparen, die 3,5 Mrd. Barrel Öl entspräche.
Das Papier verweist zudem auf Studien, die dem technologischen Umbruch hin zu einer zirkulären Wertschöpfung eine Steigerung der Ressourcenproduktivität um bis zu drei Prozent pro Jahr zuschreiben. Für die europäischen Volkswirtschaften bedeutet dies, dass sie bis 2030 jedes Jahr um bis zu 0,6 Billionen Euro anwachsen würden.
Zusätzlich zeichnet sich heute schon das Potenzial künftiger Technologieexporte ab. So hat der VDI bereits erfolgreich unter Einbeziehung relevanter Ministerien die deutsche Wirtschaft mit der von Brasilien zusammengebracht. Ziel war es, Recyclingtechnologien zu exportieren. „Ein Marktaufkommen von 6,6 Mio. Tonnen Kunststoff in Brasilien bedarf dringend einer kontrollierten Kunststoffabfallverwertung, die derzeit sehr gering ist oder nicht stattfindet“, sagt Schäfer. Offizielle Zahlen liegen allerdings noch nicht vor, doch die Recyclingquote für sämtliche Siedlungsabfälle in dem südamerikanischen Land wird aktuell auf lediglich 13 Prozent geschätzt.
Autorin: Bettina Reckter