Life-Cycle-Assessment und Mobilität
Die Bedeutung der Mobilität als „Energie-Hebel“ vom Pferd bis zu heutigen Automobilen wird bis heute ökonomisch und politisch unterschätzt. Um wohlstandsabträgliche, klimapolitische Fehlansätze und Fehlanreize auszuschließen, sollte ein „Life-Cycle-Assessment“ (LCA) eine kumulierte Bilanz sämtlicher CO2-Fußabdrücke umfassen.
Es ist physikalisch hergeleitet, dass CO2 eine Klimawirkung hat. Ebenso ist der damit zusammenhängende, ausschlaggebend klimabeeinflussende Wasserdampfhebel zu diskutieren. Die Wirkung dieser Effekte stehen unter anderem im Langbericht des IPCC (International Panel on Climate Change). Allerdings fehlen im Kurzbericht für politische Entscheider diese bedeutenden Informationen, die nötig sind, um den Einfluss des Menschen auf das Klima einzuschätzen.
Gesetzliche und politische Randbedingungen
Mit wenigen Ausnahmen bestätigen Regierungen das Ziel des Pariser Klimaübereinkommens von 2015, die menschengemachten globalen Erwärmungen auf unter zwei Grad Celsius zu begrenzen. Der Sonderbericht des IPCC von 2018 empfiehlt eine Begrenzung des Temperaturanstiegs auf maximal 1,5 Grad Celsius. Und die Europäische Kommission hat sich zu dem sogenannten Green Deal bekannt, der die Absenkung der CO2-Emissionen bis 2030 weiter beschleunigen soll. Dabei liegt ein Fokus auf dem CO2-Fußabdruck der Mobilität. Der Fußabdruck batterieelektrischer Fahrzeuge wird dabei „Tank to Wheel“ (TtW, mit Mehrfachanrechnung) als CO2-neutral postuliert. Dagegen werden die CO2-Emissionen der Verbrennungskraftmaschinen von der Quelle bis zum Rad („Well to Wheel“, WtW) angerechnet.
Umweltpolitisch irritierend dabei ist, dass laut der RED II (Renewable Energy Directive) CO2-neutrale Kraftstoffe für Verbrenner nicht angerechnet werden können. Daher besteht in der EU bis heute auch kein gesetzlich abgesichertes Business-Modell, in die Herstellung solcher Kraftstoffe zu investieren.
Bis heute wird die Frage politisch ausgeklammert, wie die im Jahr 2030 auf circa 20 Millionen geschätzten älteren, deutschen Pkw der Bestandsflotte zur CO2-Emissionsminderung beitragen können.
Diese bisherigen EU-CO2-Gesetze, beziehungsweise Richtlinien werden trotz erkennbarer Unzulänglichkeiten von der überwiegenden Mehrheit der deutschen Politik getragen und nicht in Frage gestellt. Obwohl die UN eineindeutige Vorgaben zur Erfüllung der übergeordneten „Nachhaltigkeit“ vorgibt.
Im Sinne der „Nachhaltigkeit“ und unter Berücksichtigung der auch in der breiten Öffentlichkeit unterstützten Klimaziele, darf hinterfragt werden, ob neben der oben genannten willkürlichen CO2-Anrechnung, weitere gesetzliche Defizite bei der Anrechnung oder Bilanzierung der CO2-Fußabdrücke der Mobilität existieren. Gerade zur Unterstützung der ersten vier UN-Ziele muss auf wohlstandserhaltende und/oder wohlstandsfördernde Klimamaßnahmen bestanden werden. Denn die Bedeutung der Mobilität als „Energie-Hebel“ wird bis heute unterschätzt. Um klimapolitische Fehlanreize auszuschließen, sollte ein „Life-Cycle-Assessment“ (LCA) eine kumulierte Bilanz sämtlicher CO2-Fußabdrücke umfassen.
Der vollständige, validierbare Life-Cycle-Assessment-Ansatz
Zur Überprüfung dieser Prämisse ist der funktionale Zusammenhang zwischen den vorgegebenen 1,5 beziehungsweise zwei Grad Celsius Temperaturerhöhungen 2050, dem heutigen CO2-Gehalt der Luft von ca. 411 ppm (UBA, 2019) und den bis 2050 zu erwartenden CO2-Anteilen in ppm herzustellen. Auf Basis bisheriger CO2-Zunahmen ist ein weiterer ppm-Anstieg von wenigstens 2,3 ppm/Jahr anzunehmen bis weltweite CO2-Emissionsminderungen greifen würden. Bei einem linearen Anstieg bis 2050, ergäbe das eine CO2-Zunahme von ca. 70 ppm.
Anhand dieser Ableitung wird deutlich, dass es bei der im Pariser Klimaübereinkommen vereinbarten Einhaltung der maximalen Temperaturerhöhung auf den direkten funktionalen Bezug, nämlich auf die Einhaltung des noch vorhandenen "CO2-Budgets“ von zum Beispiel 70 ppm ankommt. Das „Budget-Prinzip“ erfordert wiederum, dass in LCA-Bilanzen sämtliche CO2-Fußabdrücke als Belastungen des Budgets zu beachten sind. Und dies gleichermaßen für alle Mobilitätsarten. Das heißt, vermeidbare Belastungen sollten ausgeschlossen werden.
Die aktuelle LCA-Meta-Studie der Forschungsvereinigung Verbrennungskraftmaschinen (FVV) zeigt bei der Überprüfung von gut 80 LCA-Studien auf, dass Ergebnisse sowohl erheblich voneinander abweichen als auch zum Teil wenig nachvollziehbare Randbedingungen aufweisen. Entsprechend kann keine der überprüften LCA-Studien dem Pariser Klimaabkommen genügen. Dazu wäre, wie bereits gesagt, die vollständige Bilanzierung sämtlicher CO2-Fußabdrücke im Sinne der Belastung des noch vorhandenen CO2-Budgets erforderlich. Entsprechend muss der Bilanzrahmen zukünftig „Von der Wiege bis zur Wiege“ (Cradle to Cradle, CtC) reichen. Es sind daher zukünftig für die wissenschaftlichen LCA-Betrachtungen zwei Voraussetzungen einzuhalten:
Erstens, eine vollständige Transparenz der Analyse-Randbedingungen. Vor nicht allzu langer Zeit veröffentlichte LCA-Vergleiche von Batteriefahrzeugen zu Verbrennern, nehmen sich zum Beispiel die Freiheit heraus, Batteriefahrzeuge ausschließlich mit regenerativem Strom betreiben zu wollen und zu produzieren. Wohingegen bei Verbernnungskraftmotoren fossile Kraftstoffe unterstellt werden. Selbst wenn die RED II keine Anrechnung CO2-neutraler Kraftstoffe erlaubt, sollten in Zukunft derartige Vergleiche unterbleiben.
Die bald erscheinende VDI/KIT-LCA-Studie erfüllt diese Transparenzanforderungen. Der Analyseumfang von der Fahrzeug-Herstellung über den Betrieb bis zum Recycling ist ein erster Schritt. Diese Studie kann zukünftig mit neuen Erkenntnissen bei Änderungen/Verbesserungen innerhalb der CO2-Bilanzgrenzen aktualisiert und validiert werden.
Zweitens müssen zukünftig in weiteren Schritten, aufgrund des oben genannten erforderlichen Budget-Ansatzes, weitere CO2-Fußabdrücke in die Bilanz einbezogen werden. Ein wesentliches, heute noch weitgehend vernachlässigtes Bilanzelement ist die Betrachtung und Bewertung der CO2-Fußabdrücke der zu investierenden Infrastrukturen. Dies gleichermaßen für sämtliche Antriebsarten. Ebenso für die Brennstoffzelle und die erforderliche Wasserstoff Infrastrukturen.
Ein Ausblick
Die UN-Nachhaltigkeitskriterien lassen darüber hinaus einen Ausblick auf zukünftig weitere dringliche Umweltzielsetzungen zu. Der Club of Rome hat mit „Grenzen des Wachstums“ bei Naturwissenschaftlern und Ökonomen Kritik ausgelöst. Entsprechend den UN-Nachhaltigkeitskriterien 14 und 15 sollten die Club-of-Rome-Zielsetzungen in „Grenzen der Ausnutzung“ oder „Grenzen der Umweltbelastung“ als Bewahrung und Schonung von Land, Wasser und Luft umbenannt werden. Heute noch für die „Klimarettung“ in Kauf genommene Umweltschäden würden geächtet.
Autor: Wolfgang Maus
Über Wolfgang Maus: Er gründete 1986 die Firma Emitec, welche unter anderem der Abgasnachbehandlung von Verbrennungsmotoren durch entscheidende Innovationen international zum Durchbruch verhalf. Maus ist Mitglied im VDI-Fachbeirat Antrieb und Energiemanagement und engagiert sich in weiteren Bereichen für nachhaltiges Wirtschaften.
Fachlicher Ansprechpartner:
Dipl.-Ing. Simon Jäckel
VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik
E-Mail: fvt@vdi.de