Klimawandel: Richtlinien sind Teil der Lösung
Der Klimawandel und seine Auswirkungen stellen uns vor immer neue Herausforderungen. Um die Industrie und Wirtschaft zu transformieren und nachhaltige Strategien zu entwickeln, bedarf es ein einheitlichen Verständnis und internationaler Bemühungen. Hierbei helfen uns Normen und Standards. Sie können Auswirkungen durch Kennzahlen sichtbar machen und praktische Vorgaben machen, um Klimaanpassung praktisch umzusetzen.
Bewährter Standard: Die VDI-Richtlinien
Die Expertinnen und Experten des VDI erarbeiten in den VDI-Richtlinien konkrete Handlunsgempfehlungen. Ziel ist es Ingenieurinnen und Ingenieure in ihrer täglichen, praktischen Arbeit Orientierung zu bieten. Von der Umwelt- und Energietechnik über die Bau- und Gebäudetechnik bis zur Luftreinhaltung – in diesen Feldern erarbeiten wir wesentliche Grundlagen für den Klimaschutz und die Klimaanpassung.
Die VDI-Richtlinien legen einen Schwerpunkt auf die individuellen Probleme am Standort Deutschland, aber gemeinsam mit unseren Partnern DIN und DKE sind wir auch auf internationaler Ebene Teil der Lösung.
Digitale Frühstücksreihe von DIN, DKE und VDI zu „Klima und Normung“
Dienstags von 08:00 Uhr bis 08:50 Uhr finden bis Weihnachten sogenannte „Klima-Frühstücke“ statt. Hier werden in Impulsvorträgen und Diskussionsrunden Inhalte von Normen und Standards mit Bezug zu Klimaschutz und Klimaanpassung vorstellt. Klimaaspekte sollten in der zukünftigen Normungsarbeit stärker berücksichtigt werden. Ebenso ist zu prüfen, inwieweit bestehende Standards zu überarbeiten sind, da sie heute aufgrund der Notwendigkeiten durch den Klimawandel nicht mehr aktuell sind. Anfang 2023 soll eine gemeinsame Initiative von DIN, DKE und VDI unter dem Titel „Klima und Normung“ beginnen – mit Stakeholder aus der Politik, der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft. Wenn Sie bei den digitalen Klima-Frühstücken dabei sein möchten, melden Sie sich bitte unter DIN/DKE/VDI-Frühstücksreihe: Klima und Normung an.
Weltnormentag 2022: „SHARED VISION FOR A BETTER WORLD“
Die internationalen Normungsorganisationen und ihre nationalen Mitglieder feiern am 14. Oktober den Weltnormentag und stellen damit die Wichtigkeit von Normen und Standards in den Fokus. Der Weltnormentag 2022 steht unter dem Motto „SHARED VISION FOR A BETTER WORLD“ und stellt den Nutzen der Normung für die Erreichung der Sustainable Development Goals – und hier insbesondere den Klimaschutz – in den Mittelpunkt. Mit einer Reihe von Interviews mit interessanten Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik möchten die drei Regelsetzer DIN, DKE und VDI am Weltnormentag gemeinsam das Scheinwerferlicht auf die vor Wirtschaft und Gesellschaft liegenden Aufgaben im Kampf gegen den Klimawandel richten. Mit unseren Gesprächspartner*innen sprechen wir über die Herausforderungen ihrer Branchen, die Chancen der grünen Transformation und diskutieren Lösungen – wie z.B. Normen und Standards.
Interview mit Prof. Dr.-Ing. Harald Bradke
Warum eine grüne Transformation ohne Normen kaum gelingen kann und welchen Nutzen sie bringen, erklärt Harald Bradke, Vorsitzender des Interdisziplinären Gremiums Klimaschutz und Energiewende im VDI, im Interview anlässlich des Weltnormentags 2022.
VDI: Ein wirklicher Durchbruch beim Klimaschutz kann nur durch internationale Zusammenarbeit erreicht werden. Können Normen und Standards dabei helfen, international besser zu kooperieren?
Harald Bradke: Ja, Normen und Standards ermöglichen eine internationale Arbeitsteilung. Diese ist für internationale Kooperationen hilfreich, ohne die eine Transformation der Wirtschaft für eine nachhaltige Entwicklung nicht gelingen kann. Dies gilt auch weiterhin, die gegenwärtigen Krisen zeigen nur, dass wir uns nicht von nur wenigen Lieferanten bzw. Lieferländern – aber auch Abnehmerländer – abhängig machen dürfen wie zum Beispiel bei Mikrochips und Erdöl, aber sicherlich auch bei vielen anderen Produkten. Internationale Normen und Standards verhindern, von einem bzw. wenigen Lieferanten bzw. Lieferländern abhängig zu werden.
Schwellenländer haben durch den Import unserer neuen klimafreundlicheren Technologien die Möglichkeit, nicht unsere alten technologischen „Fehler“ zu wiederholen, sondern sofort auf die neuen, nachhaltigen Technologien und Geschäftsmodelle zu setzen.
Im Rahmen der grünen Transformation werden neue Technologien und Geschäftsmodelle entwickelt und neue Märkte entstehen. Wie können Normen und Standards diese Entwicklung begleiten und unterstützen?
Alle Staaten stehen beim Klimaschutz vor ähnlichen Herausforderungen wie wir, und Technologien und Produkte, die in einem Land entwickelt werden, können sich schneller und wirtschaftlicher weltweit verbreiten, wenn sie einheitlichen Standards und Normen entsprechen. Größere Stückzahlen lassen sich meist preiswerter herstellen, mehr Hersteller haben meist auch mehr Ideen ihr Produkt weiterzuentwickeln und so die Entwicklung voranzutreiben und den Kundennutzen zu erhöhen. Eine höhere Nachfrage regt wieder die Weiterentwicklung an. Allerdings sind wir zumindest in den entwickelten Industrienationen an einem Punkt angelangt, an dem nicht „mehr Produkte“, vielleicht sogar auch nicht „andere Produkte“, sondern „keine Produkte“ für den Klimaschutz notwendig werden.
In welchem Bereich sehen Sie den größten Nutzen von Normen und Standards? Haben Sie ein konkretes Beispiel dafür, wo genau das gut funktioniert?
Bei vielen technischen Produkten gibt es bereits Normen und Standards. Wo sie vielleicht noch nicht hinreichend verbreitet sind aber sicherlich einen hohen Nutzen für eine nachhaltige Entwicklung bringen, liegt bei den nachwachsenden Rohstoffen und alternativen Baustoffen. Zum Beispiel können im Hochbau für eine Reihe von Anwendungen Beton und Stahl durch Holz ersetzt werden. Öfen für die Verbrennung von Holzpellets können für eine schadstoffärmere Verbrennung ausgelegt werden, wenn die Pellets einheitlichen Produkteigenschaften aufweisen. Bei den Ladesteckern für Elektrofahrzeuge hat sich ein weitgehend einheitlicher Standard entwickelt, bei den Bezahlsystemen steht dies noch dringend an. Aber auch bei synthetischen Kraftstoffen, insbesondere für die Luftfahrt, sind einheitliche Standards unbedingt erforderlich. Für die Kreislaufwirtschaft ist es für die Wiederverwendung der Werk- oder Rohstoffe wichtig, wenn ihre Inhaltsstoffe bekannt sind, z.B. durch Normen und Standards. Für die nahezu ausschließliche Nutzung des fluktuierenden Stroms aus Sonnen- und Windenergie ist es erforderlich, die Nachfrage an das Angebot anzupassen. Informationssysteme, die hierzu erforderlich sind, müssen miteinander kommunizieren können, egal, wer ihr Hersteller ist. Zur Nachhaltigkeit gehört auch, dass Sozialstandards eingehalten werden. Normen und Standards können auch hier wertvolle Dienste leisten und Händler sowie Kunden bei der Hersteller- und Produktauswahl unterstützen.
Und wo sehen Sie die größten Verbesserungspotenziale bei der Erstellung und Anwendung von Normen und Standards?
Der Prozess der Normung und Standardisierung erfordert fundiertes Expertenwissen und eine gründliche Abstimmung, was gerade im internationalen Kontext seine Zeit benötigt. Zeit, die angesichts der vielen gegenwärtigen Krisen nicht zur Verfügung steht. Die in der Pandemie eingeübten virtuellen Treffen können etwas Zeit einsparen.
Vermutlich kann es auch dazu kommen, dass Teilnehmende an Normungsprozessen einen Wettbewerbsvorteil für ihr Land oder ihr Unternehmen suchen oder durch Normen den Marktzutritt neuer Technologien verhindern wollen. Eine Berücksichtigung aller interessierten Kreise sowie die Achtung auf Objektivität kann hiergegen hilfreich sein.
Der heutige Weltnormentag steht unter dem Motto „SHARED VISION FOR A BETTER WORLD“. Was ist Ihre persönliche Vision für die Zukunft (Ihrer Branche)?
Der international abgestimmt Kampf gegen die Klimakrise und aktuelle Energiekrise hat das Potential, den Wohlstand der Industrienationen durch den grundlegenden Umbau ihrer Energiesysteme und deren Export zu sichern und für die Länder des globalen Südens, durch den Export von nachhaltig produzierten Energieträgern wie grünen Wasserstoff und deren Derivaten ebenfalls zu Wohlstand zu kommen.
Normen und Standards werden helfen, diesen globalen Handel zu ermöglichen.
Interview mit Prof. Dr.-Ing. habil. Anica Meins-Becker
Nachhaltiges Bauen, Datenübertragung via BIM, digitaler Zwilling: Die Baubranche ist im Umbruch und steht vor großen Herausforderungen den Klimaschutz zu intergieren. Wie Normen und Standards hier helfen, beantwortet Prof. Dr.-Ing. habil. Anica Meins-Becker vom BIM-Institut der Bergischen Universität Wuppertal.
VDI: Ein wirklicher Durchbruch beim Klimaschutz kann nur durch internationale Zusammenarbeit erreicht werden. Können Normen und Standards dabei helfen, international besser zu kooperieren?
Anica Meins-Becker: Insbesondere in Bezug auf die durchgängige Rückverfolgung der Lieferketten von Bauprodukten, von der Herstellung, dem Transport zur Baustelle, dem Ein- und gegebenenfalls Rückbau im Gebäude, spielen einheitliche internationale Normen und Standards eine wesentliche Rolle.
Im Rahmen der grünen Transformation werden neue Technologien und Geschäftsmodelle entwickelt und neue Märkte entstehen. Wie können Normen und Standards diese Entwicklung begleiten und unterstützen?
Mit fortschreitender Durchdringung neuer Technologien und Methoden wie zum Beispiel der BIM-Methodik in der Bau- und Immobilienwirtschaft werden standardisierte Strukturen und Vorgaben - sowohl auf formeller wie auch auf inhaltlicher Ebene – notwendig, um eine saubere und transparente Beschreibung und Kommunikation von Leistungen zu gewährleisten. Ohne diese können die Ziele nicht erfüllt werden, es kommt zu zeitlichen Verzögerungen und höheren Kosten.
In welchem Bereich sehen Sie den größten Nutzen von Normen und Standards? Haben Sie ein konkretes Beispiel dafür, wo genau das gut funktioniert?
Die größten Potenziale von Normen und Standards ergeben sich in der Baubranche zukünftig in Bezug auf das Thema Nachhaltigkeit. Kaum ein anderes Themenfeld ist auf der einen Seite aktuell so präsent und gleichzeitig komplex und auf der anderen Seite noch wenig mit Normen und Standards hinterlegt. Von Fragstellungen zum Ressourceneinsatz, über Zertifizierungssysteme und Materialpässe bis hin zum nachhaltigen Rückbau können Normen und Standards für ein hohes Maß an Transparenz, verbesserte Kommunikation sowie eine Einsparung von Zeit und Kosten sorgen und gleichzeitig alle beteiligten Akteure der Baubrache mit in die Verantwortung zum Schutz des Klimas nehmen.
Ein Beispiel hierfür ist die Verknüpfung der Produkt- und Logistikinformationen der Bauprodukte mit den digitalen Gebäudezwillingen. Wir müssen zukünftig wissen, welches Material mit welchen Eigenschaften (Recyclinggrad etc.) wann wo auf der Welt im Gebäude verbaut wurde. Im Fall von Rückrufaktionen oder Konzepten zum Leasing von Material während der Nutzung von Gebäuden muss der Hersteller Möglichkeiten haben, Endkundinnen und -kunden, das heißt den oder die Bauherr*in des Gebäudes, zu erreichen. Hierfür müssen Hersteller wissen, welche Informationen sie in welcher Form bereitstellen sollten. Diese Themen gilt es national, besser noch international zu standardisieren.
Und wo sehen Sie die größten Verbesserungspotenziale bei der Erstellung und Anwendung von Normen und Standards?
In den Faktoren Zeit, Verständlichkeit sowie Anwendbarkeit
Der diesjährige Weltnormentag steht unter dem Motto „SHARED VISION FOR A BETTER WORLD“. Was ist Ihre persönliche Vision für die Zukunft (Ihrer Branche)?
Im Fokus der Zukunft steht eine nachhaltige, langfristige und zukunftsfähige Entwicklung der Baubranche, die Ressourcen nicht verschwendet, nachhaltig und transparent ist und achtsam mit dem Bestand umgeht. Um dies zu gewährleisten, müssen langfristig alle Gebäude mit einem digitalen Zwilling ausgestattet sein, der alle relevanten Informationen während des gesamten Lebenszyklus, also von der Konzeption, Planung und Realisierung über die Nutzung bis hin zum Rückbau, beinhaltet. Eine vollständige und transparente Datenverwaltung ist dabei die Grundlage für alle inkludierten Prozesse. Aktuellen Problemen der Baubranche wie das immense Abfallaufkommen und der hohe Energie- und Ressourcenverbrauch kann so entgegengewirkt werden.
Weitere Interviews finden Sie hier:
- Roland Bent, DKE-Vorsitzender: Ohne Normen und Standards ist Klimaschutz nicht denkbar
- Mareen Tiedemann, Stefan Eibl und Michael Dopichaj, Mitglieder bei Next Generation DKE und Teil des IEC Young Professional-Programms: Große Aufgaben liegen vor uns, und wir lösen sie nur global
- Burkhard Holder, Geschäftsführer VDE Renewables: Besser 80 Prozent haben und losgehen als bis ins letzte Detail analysieren
- Prof. Dr. Mario Schmidt, Leiter des Instituts für Industrial Ecology (INEC) der Hochschule Pforzheim: Wir müssen reflektierter mit dem Begriff Klimaneutralität umgehen
- Dr.-Ing. Reiner Härdtl, Leiter des Teams Normen, Patente, Information & Dokumentation im Global R&D Department von Heidelberg Materials: CO2-Neutralität ist keine Nachhaltigkeitskosmetik, sondern für uns fundamental wichtig
- Dr. Franziska Brantner, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz: Geringer Rohstoffverbrauch, Langlebigkeit und Wiederverwertbarkeit müssen zum europäischen Standard werden