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Messen, Verstehen, Handeln

Wie misst man Klimaerwärmung?

Bild: Suwin66/Shutterstock.com

Als 2015 bei der Weltklimakonferenz 195 Nationen das „Pariser Klimaabkommen“ unterzeichneten, wurde das als großer Erfolg gewertet. Das gemeinsame erklärte Ziel war es, die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken. Seitdem verfolgen Politik und Industrie unterschiedliche Wege, um die daraus folgende Reduzierung der CO2-Emissionen zu erreichen. 

Zwischen allen Parteien und Beteiligten wird um die richtige Lösung gestritten, dabei spielen verschiedene Rechenmodelle und Annahmen eine große Rolle, aber am Ende geht es immer um möglichst konkrete Zahlen und Daten und mögliche Einsparungen. 

Aber woher kommen diese Daten, was können wir wissen und woher? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, spielen Mess- und Automatisierungstechnik eine zentrale Rolle. Denn ohne eine fundierte Grundlage, können wir keine fachkundige Entscheidung treffen.

Hier sind viele Ingenieurinnen und Ingenieure in ihrem Element und können einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen die Klimaerwärmung leisten.

 

Prof. Dr.-Ing. Dr. h. c. Michael Weyrich ist Vorsitzender der VDI/VDE-Gesellschaft Mess- und Automatisierungstechnik und leitet das Institut für Automatisierungstechnik und Softwaresysteme an der Universität Stuttgart. Er erklärt uns, warum die Messtechnik eine Zukunftsbranche ist und ohne sie nichts geht.

VDI: Herr Weyrich, was bewegt die Gesellschaft vor dem Hintergrund des Themas 1,5 Grad Ziel  aktuell am meisten?

Weyrich: Im Pariser Klimaabkommen haben sich die Industrienationen darauf verständigt, die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad zu beschränken. Dieses Ziel ist uns allen geläufig, genauso wie die Tatsache, dass daraus folgt, dass wir die CO2-Emissionen massiv reduzieren müssen, sowohl in der Industrie als auch in der Mobilität und anderen Bereichen unseres Lebens. Alle hoffen auch gute technische Lösungen. Dabei ist schon vorher viel Technik im Spiel, denn wenn es darum geht, was genau die Klimaziele heißen, und woher wissen wir, wie hoch die Emissionen sind und wie hoch die Einsparungen sein müssen.

Hier spielt die Arbeit der GMA eine wichtige Rolle. Natürlich hat die VDI/VDE-Gesellschaft für Mess- und Automatisierungstechnik mit dem 1,5-Grad-Ziel, was die Messverfahren angeht zu tun, aber auch mit Verfahren, um automatisiert (Klima-)Daten weiterzuverarbeiten. Daneben gibt es noch viele andere Institutionen wie ESA, NASA und Wetterdienste, die operative Datenerhebung betreiben.

VDI: Wie können wir uns das konkret vorstellen? Welche Rolle spielen Tools bei der Messung, zum Beispiel der Klimaerwärmung?

Weyrich: Es bringt ja nichts, wenn man 2035 an den vielen Wetterstationen oder aber Satelliten aus dem Orbit heraus schaut, wie die Temperatur sich entwickelt hat und bemerkt, dass wir das 1,5-Grad-Ziel nicht erreicht haben. Dann ist das Kind schon in den Brunnen gefallen. Wir brauchen schon heute eine viel kleinteiligere Messtechnik, die uns zeigt, wo wir stehen. Dabei sind zum Beispiel verschiedenen Gase in der Atmosphäre zu berücksichtigen, für die es unterschiedliche Messverfahren bedarf.

Ich persönlich denke, wir brauchen viel mehr Technologie, um beispielsweise sichtbar zu machen, wenn eine Wertschöpfungskette in der Industrie nicht nachhaltig funktioniert. Nur so können wir auch Endverbrauchern zeigen, wieviel CO2 bei der Produktion entstanden ist. Diese Herausforderung sehe ich noch in keiner Weise erfüllt. 

VDI: Zu Land, zu Wasser und in der Luft: Wie unterscheidet sich die Messtechnik?

Weyrich: Das ist sehr vielschichtig. Unsere Fachgesellschaft GMA befasst sich nicht etwa mit den sogenannten „Earth und Climate Change Observation“, sondern mit den sekundären Prozessen. Wir beantworten Fragen wie sich die Produktionsprozesse bewerten und mit Messstrategien ausstatten lassen, um die Emissionen zu erheben und den Ausstoß zu optimieren. Dabei spielen Fragen des Einsatzes von Sensoren und deren Kalibrierung eine große Rolle.

Unsere Überlegungen gehen bis hin zu Betrachtungen wie sich ein „Track-and-Trace“ von Industriegütern inklusive deren Transportwegen durchführen lässt. Wir befassen uns zum Beispiel mit Lösungen, die den Energieeinsatz bewerten und den Schadausstoß bei der Fertigung aller Zulieferprodukte zu bemessen suchen. 

VDI: Wo stehen wir in Deutschland mit der Mess- und Automatisierungstechnik im internationalen Vergleich? 

Weyrich: Wir haben eine sehr gute wissenschaftliche Community in der Mess- und Automatisierungstechnik und zahlreiche namhafter Unternehmen, die bei uns tätig sind. Das führt dazu, dass wir anwendungsorientiert neue Themen aufnehmen. Wenn man sich beispielsweise neue Themen wie die Quantensensorik anschaut, dann ist das ein großes Thema an dem wir in der Community intensiv forschen, bis es schließlich marktreife Industrielösungen gibt.

VDI: Warum ist Mess- und Automatisierungstechnik ein Zukunftsthema für den Ingenieurnachwuchs?

Weyrich: Ich kann nur jeden ermutigen, sich einzubringen und dieses Fach für sich zu entdecken. Das machen derzeit zu wenige. Es ist eine tolle Möglichkeit, sich auch gesellschaftlich und mit technischem Wissen einzubringen. Also frei nach dem Motto: nicht nur drüber reden, mehr machen. Für Absolventen und Absolventinnen sind die Bedingungen aktuell fantastisch. Das liegt am Fachkräftemangel. Da stößt man auf einen ausgehungerten Markt. 

VDI: Sollten Mess- und Automatisierungsingenieur*innen auch Datenprofis sein? Oder arbeiten sie hier Hand in Hand mit Data Scientists?

Weyrich: Große Teile der Ausbildung in den Studiengängen der Mess- und Automatisierungstechnik betrifft Fähigkeiten im Bereich Machine Learning, Statistik und Artificial Intelligence. Es hat sich gezeigt, dass es oft gut ist, unsere speziellen industriellen Prozesse genau zu verstehen, um dann in Kooperation mit Data Scientists Lösungen, zum Beispiel für die oben genannten Gasmessung, zu erarbeiten.

VDI: Wo stehen wir in Sachen KI?

Weyrich: Da sind wir bestens unterwegs. Ohne KI kommt die Mess- und Automatisierungstechnik auch gar nicht aus. Es ist aber eine andere KI als die, die man aus Science Fiction Filmen kennt. Unsere KI macht die Bedienung von Automatisierungssystemen einfacher, erlaubt die leichtere Auswertung von Daten oder betrifft Fragen der Zuverlässigkeit.

Warum Mess- und Automatisierungstechnik auch aus anderen Gründen eine hohe gesellschaftliche Relevanz hat und ohne sie eigentlich nichts geht, erzählt Michael Weyrich gemeinsam mit Dr. ing (PhD USA) Christine Maul, Head of Advanced Process Control, Covestro Deutschland AG und Vorstandsmitglied der VDI/VDE-Gesellschaft für Mess- und Automatisierungstechnik, auch im VDI-Podcast „Technik aufs Ohr“.

Jetzt reinhören!

Interview: Gudrun Huneke und Sarah Janczura 

Fachlicher Ansprechpartner:
Sascha Dessel, M.Sc.
VDI/VDE-Gesellschaft Mess- und Automatisierungstechnik
E-Mail: dessel@vdi.de


Hinweis: Der Podcast „Technik aufs Ohr“ ist eine gemeinsame Produktion von VDI e.V. und ingenieur.de (VDI Verlag GmbH). Jegliche Werbung während der Podcast-Folge erfolgt ausschließlich über die VDI Verlag GmbH. Der VDI e.V. erzielt hieraus keinerlei Einnahmen.

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