Smarter Futtern – dank Tools fürs Weidemanagement
Grünland bietet viel ungenutztes Potenzial als Futterressource für eine nachhaltigere Milchproduktion. Wie Smart Farming Tools dabei helfen können, diese Ressource besser nutzbar zu machen und gleichzeitig Arbeitsentlastung zu schaffen, hat Dr. Leonie Sophia Hart in ihrer Dissertation untersucht. Für ihre arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse wurde sie mit dem Ludwig-Wilhelm-Ries-Preis ausgezeichnet.
VDI: Weidemanagement durch den Einsatz technischer Tools nachhaltiger und wirtschaftlicher zu machen, klingt erstmal toll. Worum genau geht es in Ihrem Projekt?
Leonie Hart: Das Projekt habe ich in der Schweiz durchgeführt. Die Schweiz ist ein Grasland mit sehr vielen Flächen, vor allem auch in den Bergzonen, die durch Beweidung offengehalten werden.
Die Agrarlandschaft ist kleinstrukturiert und es gibt viele Familienbetriebe. Zudem ist Arbeitskraft sehr teuer, diese gilt es darum gering zu halten. Sollen Familienbetriebe weiter bestehen, muss die Arbeit so organisiert sein, dass sie von der Familie getragen werden kann und keine Überlastung entsteht. Hier können technische Hilfsmittel eine wichtige Rolle spielen. Genau deswegen habe ich mich in meiner Dissertation mit der Automatisierung in der Weidehaltung beschäftigt.
Wenn heute Milchvieh auf der Weide steht, wissen die Landwirte nicht, welche Nährstoffe das Tier dort vorfindet und welche Futtermenge es verzehrt. Im Stall ist klar, wie viel Kilo Trockensubstanz oder welches Futtergemisch ausliegt und bin dadurch sicher meine Tiere bedarfsgerecht zu füttern. Das weiß ich auf der Weide nicht. Wenn die Tiere abends reinkommen, weiß ich nicht, was ich zufüttern muss, um ein Tier mit hoher Milchleistung gesund zu halten.
Alle Entscheidungen beim Weidemanagement beruhen auf sehr langer Erfahrung, das macht es für Junglandwirte schwierig, von Stallhaltung auf Weidehaltung umzuschwenken. Darum haben wir Tools unter die Lupe genommen, die helfen können, dieses Wissen zu generieren: vom Messen der auf der Weide stehenden Grasmenge bis zur Bestimmung der vorhandenen Grasqualität.
So kann man die schlechtere Weide über Zufütterung im Stall kompensieren. Außerdem kann ich über das Messen der Grasmengen abschätzen, für wie viele Stunden oder Tage das Futter auf einer Weideparzelle genügt. Auf der anderen Seite kann ich meine Weide so lang beweiden, bis sie leer ist. Das reduziert Futterreste, die ich wieder mähen muss, was wiederum Arbeitszeit und Diesel kostet.
Landwirte müssen echte Alleskönner sein
VDI: Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen?
Leonie Hart: Ich habe bei Agroscope mit meiner Bachelorarbeit die Arbeitswissenschaften gestreift. Damals ging es um die Arbeitsbeanspruchung und den Stress bei Landwirten und Landwirtinnen. Bei dieser Untersuchung gab es zum Teil erschreckende Antworten und es zeigte sich eine sehr hohe Beanspruchung und Arbeitsunzufriedenheit.
Im deutschsprachigen Raum wird wenig zum Thema Arbeitswissenschaft im Landbau gearbeitet. Zwar wurde intensiv zum Arbeitsplatz in der Traktorkabine geforscht, da ist heute alles sehr sicher, ergonomisch und klimatisch angepasst. Aber auf dem Arbeitsplatz Hof und Feld, in den Familienbetrieben selbst, gibt es immer noch Sicherheitslücken, hohe zeitliche und körperliche Belastungen. Ich habe gehofft, ein kleines bisschen Abhilfe in der Arbeitsbelastung durch Digitalisierung schaffen zu können.
Denn Landwirte müssen heute echte Alleskönner sein: Sie treffen Businessentscheidungen und müssen zum Teil hohe Investitionen tätigen. Es wird erwartet, dass sie Tierflüsterer und Botaniker sind und dazu Marketing-Experten, die natürlich ihre Produkte auf den Markt bringen.
Die Mehrheit macht das alles aus Liebe zum Beruf! Darum wünsche ich mir, dass das weiterhin ein attraktiver Beruf bleibt, der auch wertgeschätzt wird.
Durch eine gute Arbeitsorganisation und technischen Hilfsmitteln sollte mehr Zeit für Fortbildung und Innovationen bleiben können. Und vielleicht kommen wir mit Digitalisierung und Automatisierung an den Punkt, dass auch der Landwirt oder die Landwirtin auf dem Familienbetrieb in den Urlaub fahren kann, weil die Aushilfe das technische System gut bedienen und damit auch ohne jahrelange Erfahrung die richtige Entscheidung treffen kann.
VDI: Was für Tools haben Sie dazu getestet?
Leonie Hart: Wir haben drei Tools verwendet, das für die Weidehaltung entwickelte Plattenherbometer, das Nahinfrarot-Reflexionsspektrometer und als drittes Tool die Drohne mit Multispektralkamera. Mit ihr werden beispielsweise im Ackerbau Getreideerträge geschätzt.
Es ist ein Stab, den man sich wie eine Art Gehstock vorstellen kann. An ihm ist eine Platte befestigt. Mit diesem läuft man im Zickzack über die Weide und setzt den Plattenherbometer in regelmäßigen Abständen auf den Boden. Dabei bleibt die Platte oberhalb des Grasbestands liegen. Ein Sensor bestimmt die Differenz zwischen Bodenoberfläche und Platte und gibt so Auskunft über das Futterangebot.
Das NIRS für den Einsatz auf einem landwirtschaftlichen Betrieb ähnelt einem Laborinstrument, ist jedoch robuster. Es wird mithilfe eines Laptops bedient und misst in nahezu Echtzeit Inhaltsstoffe von Futtermitteln. In einer Glasschale oberhalb einer Lichtquelle werden die Futterproben analysiert. Kalibrationskurven machen es möglich das reflektierte Licht in Inhaltsstoffe wie die Menge an Rohprotein zu übersetzen.
An einen kommerziellen Quadcopter wurde eine Multispektralkamera gebaut. Heute sind beide Systeme jedoch bereits in Verbindung und für die Landwirtschaft entwickelt erhältlich. Eine App unterstützt die Routenplanung für den Drohnenflug, denn für eine Übersichtskarte müssen zahlreiche sich überlappende Bilder im 2-3 Sekunden Takt generiert werden. Für landwirtschaftliche Analysen fliegt die Drohne auf einer Höhe zwischen 30 und 80 Metern. Das Zusammensetzen der Einzelbilder und das Berechnen von Grasmenge und Rohproteingehalte geschieht über eine separate Software und eine Online-Plattform.
Arbeitsanalyse als Entscheidungshilfe für neue Tools
VDI: Wie haben Sie dann herausgefunden, ob die Tools für die Weidehaltung nutzbar sind?
Leonie Hart: Ich habe mit klassischen arbeitswissenschaftlichen Untersuchungen getestet, ob die Tools in das Arbeitssystem des Landwirts, der weidebasiert Milchvieh füttert, passen. Zuerst habe ich die Messungen der Tools validiert dadurch, dass ich sie mit dem Goldstandard, also zum Beispiel der Analyse im Labor, verglich.
Dann habe ich den Einsatz auf Betrieben analysiert und dazu beobachtet, wie unterschiedliche Arbeitspersonen die Toolsanwenden und wie lange sie dafür brauchen. Dazu filmt man die Arbeitenden und zerlegt dann den gesamten Arbeitsablauf in sogenannte Arbeitselemente. So werden auch in der Industrie Produktionsprozesse optimiert.
Da die Tools sehr neu sind und noch nicht in der Praxis zur Anwendung kommen, haben wir die Untersuchungen an Teststandorten vorgenommen. Wir haben so weit vorne angefangen, um eine Entscheidungshilfe für Landwirte und Landwirtinnen zu bieten, ob diese Tools überhaupt für sie geeignet sind, sowohl was Kosten als auch die Zeitersparnisse und den Mehrwert betrifft. Schlussendlich haben unsere Untersuchungen jedoch gezeigt, dass die Arbeitsabläufe bei den Anwendern sogar bereits vor der Kommerzialisierung eines Tools vom Hersteller genau betrachtet werden sollte. Teils konnten mit minimalem Entwicklungsaufwand die Arbeitsabläufe effizienter gestaltet werden.
Zur Person Dr. Leonie Hart: Aufgewachsen bin ich im württembergischen Allgäu mit drei Brüdern, die alle sehr technik- und softwareaffin sind. Ich habe Agrarwissenschaften studiert, nachdem ich einen Sommer auf einem Biogemüsehof mit Tierhaltung in Kanada gearbeitet habe. Dabei gefiel mir die Sinnhaftigkeit der körperlich harten Arbeit, nämlich uns und viele andere Menschen zu ernähren. Wir haben jeden Abend so gut gegessen und unsere Abnehmer waren sehr dankbar.
Heute finde ich es besonders spannend, technische Lösungen zu finden, die uns die Lebensmittelproduktion nicht nur erleichtern, sondern gleichzeitig erlauben, dass wir in einem diversen und nachhaltigen agrarökologischen System produzieren können.
VDI: Können Sie uns das an einem konkreten Beispiel erklären?
Leonie Hart: Betrachten wir zum Beispiel die Drohne: Ich hole sie aus dem Koffer, ich installiere die Rotorblätter, den Akku, die Multispektralkamera, die ich für die Messung brauche. Dann folgt die Kalibrierung der Kamera, denn je nach Tageszeit und Wetter ist die Einstrahlung des Lichtes anders. Dann verbinde ich die Drohne mit meinem Smartphone, auf dem ich eine Flugroute programmiert habe. Dann erst startet die Drohne und fliegt ihre Route ab, kommt vielleicht noch zurück zum Akkuwechsel. Am Schluss muss ich die mehreren hundert Bilder auslesen und in eine separate Software auf einer Online-Plattform hochladen, die dann analysiert und ausgibt, wieviel Rohprotein und wieviel Grasmenge auf der Weide vorhanden ist.
Bildgebende Verfahren als Unterstützung in Weidemanagement und -pflege
Alles, damit ich am Ende sehe: Dort am Waldrand habe ich eine Parzelle, auf der wächst gerade unglaublich viel Gras mit niedrigen Rohproteingehalten und inStallnähe habe ich einen sehr jungen Bestand mit hohen Gehalten. Anhand der Werte und einer Übersichtskarte kann ich einschätzen, wo die Tiere wann weiden sollen und, ob ich im Stall ein Futter einsetze, das die Bedingungen auf der Weide ausgleicht. Sie müssen sich vorstellen ein Vollweidebetrieb besitzt manchmal 20 Parzellen auf unterschiedlichen Böden, unterschiedlicher Wasserverfügbarkeit und mit unterschiedlicher botanischer Zusammensetzung. Das Weidefutter ist demnach nicht überall futtertechnisch gleich wertvoll und wächst gleich schnell.
Durch die Arbeitselemente konnten wir dann feststellen, dass dieser Prozess mit der Drohne für das Weidemanagement noch nicht optimal effizient gestaltet ist. Denn zum Beispiel das Auslesen der Daten könnte viel zeitsparender ablaufen, wenn sie automatisiert hochgeladen würden. Ich könnte die Drohne schon aufgebaut irgendwo lagern, sodass die Rüstzeit wegfällt. Eventuell könnte sie irgendwann halb-automatisiert ihren Flug starten , aber das ist zurzeit nicht erlaubt.
Bei einer Drohne habe ich noch weitere Vorteile, wenn ich meinen Betrieb aus der Vogelperspektive überschauen kann. Ich sehe, wo ich übersäen muss oder wo Müll liegt, der eingesammelt werden muss. Und auch ob unerwünschte Pflanzen wachsen, zum Beispiel der Ampfer. Hier kann mit bildgebenden Verfahren neben dem Weidemanagement auch bei der Weidepflege geholfen werden.
VDI: Haben sie mit dem Preis gerechnet?
Leonie Hart: Natürlich habe ich mir die Daumen gedrückt - aber ich war doch sehr überrascht und hab mich riesig gefreut. Denn es ist eine sehr schöne Wertschätzung für die viele Mühe, die in so einer Dissertation steckt. Schließlich sind es am Ende drei bis vier Jahre Lebenszeit, die darin stecken und in denen man sich wirklich intensiv mit diesem Thema beschäftigt. Darum freut man sich umso mehr über den Preis.
Interview: Gudrun Huneke
Fachlicher Ansprechpartner:
Dr. Andreas Herrmann
VDI-Fachbereich Max-Eyth-Gesellschaft Agrartechnik
E-Mail: herrmann@vdi.de