Entlastung in der Landwirtschaft
Die Landwirtschaft war schon immer ein Knochenjob. Auch heute noch werden viele Arbeiten in der Landwirtschaft von Hand ausgeführt und sind mit hohen körperlichen Belastungen verbunden. Die Forschung arbeitet an verschiedenen Lösungen zur Entlastung. Einen wichtigen Beitrag hat nun Veronika Helena Hofmann geleistet. Für ihre Masterarbeit „Entwicklung und Evaluation eines Exoskeletts für die Landwirtschaft – Konzeption, Konstruktion, Fertigung, Montage und Testung“ wurde sie mit dem VDI Ludwig-Wilhelm-Ries-Preis 2024 ausgezeichnet. Im Interview erzählt sie, wie sie helfen will, gesundheitlichen Problemen vorzubeugen.
VDI: Worum geht es in Ihrer Arbeit? Wie sind Sie auf das Thema gekommen?
Veronika Helena Hofmann: In unserer Abteilung „Biomechatronische Systeme“ am Fraunhofer IPA haben wir immer wieder Projekte, die die Arbeitsbedingungen verschiedener Branchen und Berufe untersuchen. Hier hat sich in Zusammenarbeit mit der SVLG (Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forst, Garten und Ernährung) das große Potenzial von Exoskeletten in der Landwirtschaft gezeigt. Diese Assistenzsysteme können von den Nutzenden angezogen werden und sie dann bei ihren - gerade in der Landwirtschaft - sehr belastenden Tätigkeiten unterstützen. Vor allem der untere Rücken ist teilweise hohen Belastungen ausgesetzt, die nicht selten zu schwerwiegenden Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems wie Bandscheibenvorfällen führen. Um dem präventiv vorzubeugen, habe ich mir diesen Bereich genauer angesehen und in meiner Masterarbeit genau ein solches Exoskelett für den Agrarsektor entwickelt.
VDI: Wie sind Sie weiter vorgegangen?
Veronika Helena Hofmann: Zunächst habe ich mir die Aufgaben und Arbeitsfelder in der Landwirtschaft genauer angeschaut – immer mit dem Hintergrund, welche Bewegungsmuster zu Gesundheitsbeschwerden führen können. Hier haben wir eine Vielzahl an belastenden Tätigkeiten gefunden, vor allem das vornübergebeugte Arbeiten bei Erntetätigkeiten oder das Heben schwerer Lasten ist hier zu nennen. Der zweite Schritt bestand in einer detaillierten Anforderungsanalyse, wobei wir in der Landwirtschaft ganz besondere Bedingungen zu berücksichtigen haben. Dann ging es mit der eigentlichen Entwicklung los: Ich habe mich an die VDI-Richtlinie 2221 gehalten, und so den Methodischen Entwicklungsprozess komplett durchlaufen. Am Ende hatte ich einen Exoskelett-Prototypen mit drei verschiedenen Konzepten zur Krafteinleitung. Das Grundprinzip dieses Exoskeletts basiert auf dem Biegeverhalten verschiedener Biegemodule, die ich im Anschluss an die Entwicklung testen und so evaluieren konnte.
Veronika Helena Hofmann, M.Sc. ist Medizintechnik-Ingenieurin mit Stationen in Regensburg, Reykjavik, Wien und Stuttgart. Ihr Fokus liegt auf der Biomechanik des menschlichen Körpers und der user-zentrierten Entwicklung physischer Assistenzsysteme. Aktuell arbeitet sie am Fraunhofer IPA, Stuttgart in der Abteilung „Biomechatronische Systeme“ von Dr. Urs Schneider. In ihrer Promotion beschäftigt sie sich hierbei mit der Exoskelettversorgung von Menschen mit Schulterlähmung.
Das Exoskelett muss vor allem eins sein: robust!
VDI: Was macht Ihr Exoskelett so besonders?
Veronika Helena Hofmann: In der Landwirtschaft muss das Exoskelett vor allem eins sein: robust! Gegen Wettereinflüsse, Schmutz oder Staub. Aber auch die große Vielfalt an unterschiedlichen Aufgaben und somit unterschiedlichen Bewegungsmustern ist anders als bei herkömmlichen Exoskeletten. So war es für mich wichtig, einen möglichst großen Bewegungsfreiraum, vor allem in der Hüfte, zu ermöglichen.
Getestet haben wir das Exoskelett mithilfe eines eigenen Testparcours. Diesen habe ich im Konzept des Exoworkathlons® ausgearbeitet. Dies ist eine hier bei uns entwickelte Testlandschaft, die es ermöglicht, Exoskelette in nachgestellten, aber realistischen Anwendungsfeldern zu testen. Der Parcours „Landwirtschaft“ kam hier neu dazu! Hierbei müssen schwere Kisten getragen und Feldfrüchte „geerntet“ werden – einmal mit und einmal ohne Exoskelett. Die Ergebnisse konnten wir dann vergleichen und feststellen, dass das Exoskelett bei den Probandinnen und Probanden tatsächlich zu einer Reduktion des Belastungsempfindens beigetragen hat.
VDI: Haben Sie mit dem Preis gerechnet?
Veronika Helena Hofmann: Mit dem Preis habe ich nicht gerechnet, Exoskelette sind ja noch relativ neu, insbesondere im Agrarsektor. Ich habe mich dann erkundigt, ob eine Einreichung möglich ist und habe es einfach probiert. Ich durfte dann nach Wien fahren und unser Projekt vorstellen. Das war großartig und hat vielleicht dazu beigetragen das Potenzial von Exoskeletten in der Landwirtschaft weiterzutragen.
Mein Job als Medizintechnik-Ingenieurin klingt für mich immer noch etwas nach zaubern.
VDI: Wie geht es weiter mit dem Projekt? Und wie sind Ihre weiteren Pläne?
Veronika Helena Hofmann: Der von mir entwickelte Prototyp wurde anschließend in einer weiteren Optimierungsschleife überarbeitet, um Aspekte wie Robustheit, Kosten und Gewicht noch besser einfließen zu lassen. Aktuell sind wir hier in Patentgesprächen und in der Produktisierungsphase im Projekt. Ich selbst habe aber nach meiner Masterarbeit eine neue Aufgabe im Bereich rehabilitativer Exoskelette gefunden.
Ich bin noch immer am Fraunhofer IPA und forsche als Wissenschaftliche Mitarbeiterin weiterhin an Exoskeletten. Mein Fokus liegt nun jedoch mehr auf Exoskeletten im medizinischen Kontext. Hierbei geht es um die Versorgung von Menschen mit einer körperlichen Einschränkung. In meiner Promotion arbeite ich aktuell an einem Exoskelett für Menschen mit sogenannter Plexuslähmung. Die Idee ist Betroffene mit dieser schwerwiegenden Schulterverletzung mithilfe eines Exoskeletts im Alltag zu unterstützen. Deshalb liebe ich meinen Job als Medizintechnik-Ingenieurin: Einem gelähmten Arm mithilfe von Technik zur Bewegung verhelfen, klingt für mich immer noch etwas nach zaubern.
Interview: Gudrun Huneke
Fachlicher Ansprechpartner:
Dr. Andreas Herrmann
VDI-Fachbereich Max-Eyth-Gesellschaft Agrartechnik
E-Mail: herrmann@vdi.de