PFAS-Verbot – ein Umwelt-Dilemma?
Per- und Polyfluorierte Alkyl-Substanzen, besser bekannt als PFAS, finden sich nicht nur in Konsumgütern. Auch viele Technologien, die für die Energiewende benötigt werden, können ohne PFAS (noch) nicht produziert und betrieben werden. Wäre ein umfassendes Verbot für alle der rund 10.000 bekannten PFAS trotzdem sinnvoll?
PFAS bisher alternativlos in Schlüsseltechnologien zur Energiewende enthalten
Wegen ihrer wasser- und schmutzabweisenden Eigenschaften werden PFAS in vielen Konsumgütern eingesetzt. Am bekanntesten sind teflonbeschichtete Pfannen, Outdoor-Kleidung oder Einwegverpackungen. Durch ihre besondere Chemikalienbeständigkeit kommen sie aber auch als Hochleistungskunststoff in aggressiven Medien zum Einsatz. So zum Beispiel in Membranen von Brennstoffzellen oder bei der Polymerelektrolytmembran(PEM)-Elektrolyse. PEM-Elektrolyseure bilden durch ihre hohe Effizienz einen wichtigen Baustein der Zukunftstechnologie Wasserstoff. Dichtungen, Ventilen und Schläuchen kommen die langlebigen und beständigen Eigenschaften von PFAS ebenso zugute. Hiervon profitieren neben Laborgeräten und Industrieanlagen auch Energiespeicher, Wärmepumpen und Windturbinen, in deren Antrieben und Generatoren Teile verbaut sind, die PFAS enthalten – aktuell noch alternativlos. Ähnlich sieht es in der Medizintechnik aus. Fluoropolymere gelten als biokompatibel und werden daher nahezu überall in der Medizintechnik eingesetzt – ebenfalls aktuell alternativlos. Käme es zu einem Verbot von PFAS, „würde das die industrielle Produktion teilweise auf den Entwicklungstand von 1950 zurückwerfen. Die Qualität der Grundversorgung der Menschen wäre an vielen Stellen gefährdet“, so eine Verlautbarung des VDMA von Juni dieses Jahres. Vom Gelingen der Energiewende ganz zu schweigen. Hier warnt der Automobilverband VDA, „dass ohne diese Chemikalien heute weder die bestehenden Elektrofahrzeuge noch zukünftige Fahrzeugtechnologien denkbar seien.“
Gibt es für Konsumgüter Alternativen mit ähnlichen Eigenschaften – nicht fluorierte Wachse, die Textilien wasserabweisend machen oder Gusseisen und Emaille für Pfannen – sind die Hochleistungskunststoffe aus PFAS in Chemie- oder Industrieanwendungen bislang nicht zu ersetzen: Dichtungsmaterialien, wie Perfluorkautschuk mit hoher chemischer und thermischer Belastbarkeit, sichern die Funktion von Anlagen und Betriebsabläufen.
Gerade weil PFAS so vielfältig verwendet werden - privat wie industriell - und das rund um den Globus, gibt es unzählige Wege, wie sie in die Umwelt gelangen: im Herstellungsprozess der Chemikalien selbst, in ihrer Weiterverarbeitung, beim Gebrauch der fertigen Erzeugnisse und schließlich bei der Entsorgung.
Die Diversität von PFAS erschwert eine Analyse
Extrem persistent, also nahezu nicht abbaubar, und mit über 10.000 Stoffen sehr divers - das charakterisiert PFAS. Diese Kombination aus einem negativen Einfluss auf Umwelt und Gesundheit durch die bioakkumulativen Eigenschaften sowie ihrer Persistenz machen diese Stoffe so bedenklich. Die Größe und Diversität der PFAS-Stoffgruppe erschwert zudem eine Analyse. Bei der Target-Analyse beispielsweise wird der Gehalt von bestimmten Stoffen in der Probe untersucht, um möglichst präzise Ergebnisse zu erhalten. Nachteil hier: Viele Stoffe werden nicht erfasst, da nur einige wenige gezielt untersucht werden.
Darüber hinaus lassen sich PFAS mit dem sogenannten TOP-Assay (total oxidizable precursor) identifizieren, in dem durch die Probenaufbereitung verschiede Vorläufermoleküle in wenige zu analysierende Stoffe überführt werden. Diese Messmethode, die eine größere Stoffgruppe erfasst, zeigt, dass oft eine größere Menge an PFAS in den Proben vorliegt, als bisher angenommen.
Hinzu kommt, dass nur wenige dieser Stoffe bisher über die Europäische Chemikalienverordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH-Verordnung) reguliert sind, weil die Datenlage meist unzureichend ist. In der Vergangenheit sind verschiedentlich regulierte Stoffe ersetzt worden, wobei sich erst später herausgestellt hat, dass die Substitute ähnlich bedenklich sind.
REACH-Verordnung soll alle PFAS umfassen
Um dies zu verhindern, haben deutsche, niederländische, dänische, norwegische und schwedische Behörden gemeinsam ein Beschränkungsdossier für PFAS im Rahmen der REACH-Verordnung ausgearbeitet, die die Stoffgruppe der PFAS als Ganzes umfassen soll. Ein Inkrafttreten würde den Lebenszyklus von PFAS-enthaltenden Produkten von der Herstellung bis zur Entsorgung einschließen. Durch die Aufnahme der gesamten Stoffgruppe könnten erneute Substitutionen verhindert werden. Das Verfahren zu dem eingereichten Dossier befindet sich seit dem 22. März 2023 in einer öffentliche Konsultationsphase, die am 25. September 2023 endet.
Allein die durch PFAS verursachten Krankheiten schlagen laut Spiegel in der Wirtschaft mit Kosten zwischen 11 und 31 Milliarden Euro zu Buche. Diese Summe wiege die geschätzten 2,7 Milliarden Euro, die durch die Regulierung in der Industrie entstehen würden, bei weitem auf. Doch reicht es aus, hier die reine Kostenseite zu betrachten?
PFAS zu beschränken, wenn nicht gar komplett zu verbieten, ist ein durchaus begründetes Bestreben. Die gesamte Stoffgruppe gleichzeitig zu beschränken, hätte direkte, positive Effekte auf Umwelt und Gesundheit. Die negativen wären immens, aber eher indirekt, weil sich Technologien, die für das Gelingen der Energiewende erforderlich sind, dann nicht mehr betreiben ließen. Der Klimawandel würde vorangetrieben, statt ihn zu bremsen. Ein schwer zu lösendes Dilemma!
Schauen sich viele Hersteller im Hinblick auf ein mögliches Verbot schon nach technologischen Alternativen oder Substituten für PFAS um, hinkt die Entwicklung noch hinterher. Der enorme Anspruch, der an viele PFAS-Werkstoffe und vor allem Fluoropolymere gestellt wird, bedeutet für die Forschenden eine große Herausforderung. Erste Ansätze hat das Fraunhofer Institut für Fertigungstechnik und angewandte Materialforschung (IFAM) mit bestimmten Plasma-Beschichtungen gefunden.
Ist differenziertes Beschränken die Lösung?
Insgesamt ist ein umfassendes Verbot für die Stoffgruppe der PFAS gut abzuwägen. Die momentan diskutierte Ausnahme für „wichtige“ Technologien, wie Halbleiter, Elektrolyseure und elektrische Antriebe, birgt die Schwierigkeit, dass hiervon unter anderem Polymere betroffen sind. Diese Polymere benötigen ihrerseits zur Herstellung PFAS. Die Folge könnte der „Export“ von Umweltschäden sein, weil PFAS-Zwischenprodukte und Polymere dann vermehrt in weniger regulierten und kontrollierten Märkten hergestellt und so letztlich mehr PFAS in die Gesamtumwelt gelangen würden.
Aus diesem Grund sollten die Ausnahmen weit genug gedacht und mit konsequenten Kontrollen kombiniert werden. Wenn Emissionswege bekannt sind und entsprechend überwacht werden, lässt sich der Eintrag in die Umwelt ebenfalls deutlich reduzieren. Außerdem müssen die europäischen Regelungen dann zeitnah in die Stockholm-Konvention aufgenommen werden, um Emissionen weltweit zu verhindern.
Es muss Ziel sein, so viele PFAS und so schnell wie möglich durch weniger bedenkliche Alternativen zu ersetzen. Bei den Konsumgütern scheint das weitgehend möglich.
Im Wirtschaftssektor muss die gesamte Wertschöpfungskette inklusive der entstehenden und vermiedenen Klimapotenziale berücksichtigt werden. Nur so lassen sich sinnvolle Ausnahmen definieren. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck plädiert für einen differenzierten Umgang mit der Stoffgruppe: bessere Regulierung dort, wo es für den Verbraucherschutz notwendig ist, aber keine Überregulierung für die Wirtschaft, wo es Wachstum und Technologieentwicklung hemmt.
Kevin Hares, Alice Quack
Fachlicher Ansprechpartner:
Kevin Hares, M.Sc.
VDI-Gesellschaft Energie und Umwelt
E-Mail-Adresse: kevin.hares@vdi.de