Nachhaltigere Landwirtschaft braucht technische Innovationen
Nachhaltigkeit, Klimaanpassung, Tierwohl: Die Landwirtschaft befasst sich mit vielen Themen – steht aber auch vor enormen Herausforderungen. Wie Agrartechnik helfen kann und wie Ingenieure und Ingenieurinnen für den Fachbereich begeistert werden können, berichtet Prof. Dr. agr. habil. Barbara Sturm, wissenschaftliche Direktorin am Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie, im Interview.
VDI: Welche Herausforderungen befassen die Landwirte und Landwirtinnen am meisten?
Barbara Sturm: Eine übergreifende Herausforderung ist natürlich die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele – sei dies eine wachsende Weltbevölkerung gesund und ausreichend zu ernähren, den Ressourceneinsatz (besonders Wasser und Energie) zu verringern, die Biodiversität zu erhalten oder menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu schaffen. Ganz konkret ergeben sich für die Landwirte und Landwirtinnen gänzlich neue Herausforderungen durch den Klimawandel und die damit verbundenen Veränderungen. Das ist am Beispiel von Brandenburg sehr gut zu sehen. Vier der letzten fünf Jahre waren offizielle Dürrejahre, was sich auf Ertrag und Qualität ausgewirkt hat. Die Böden hier sind sehr sandig und können Wasser schlecht speichern. Dies in Kombination mit den geringen Niederschlägen bewirkt auch einen Rückgang des im Boden gespeicherten Wassers. Die Landwirte stehen vor der Herausforderung, sich an diese veränderten Produktionsbedingungen anpassen zu müssen. Klimaänderungsadaption lautet das Stichwort. Wie dies beispielsweise durch eine Diversifizierung des Anbaus, durch Agroforstsysteme und Anbau angepasster Pflanzenarten gelingen kann, ist für die produzierenden Betriebe von höchster Brisanz.
VDI: Wie hilft Agrartechnik bereits heute diese Herausforderungen zu meistern?
Barbara Sturm: Die deutsche Agrarlandschaft ist sehr divers. Während wir in Brandenburg sehr magere Böden und vorrangig große Pflanzenbaubetriebe vorfinden, gibt es im Süden Deutschlands vermehrt Betriebe, die Sonderkulturen wie Spargel, Obst und Gemüse anbauen. Sonderkulturen haben ganz andere Ansprüche an die Pflege und dadurch auch an die zu nutzende Technik. In diesem Bereich erfolgen viele Arbeitsabläufe nach wie vor manuell. In der Corona-Zeit war es zudem schwierig, den Bedarf an saisonalen Arbeitskräften zu decken. Landwirte und Landwirtinnen setzen nicht zuletzt deshalb verstärkt auf die Automatisierung von Abläufen. Ein gutes Beispiel für solche Vorhaben ist das vom ATB bearbeitete Projekt SunBot, das wir gemeinsam mit einem Produzenten von Strauchbeeren durchführen. Wir entwickeln im Projekt ein System zur automatisierten Pflege des Bestands, einen elektrisch angetriebenen autononem Traktor, der während der Nacht Pflegearbeiten wie das Mähen übernehmen kann.
Ein weiteres großes Thema im Pflanzenbau ist der Pflanzenschutz. Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln kann durch eine frühzeitige und punktgenaue Erkennung von Pflanzenkrankheiten deutlich reduziert werden. Befallene Pflanzen werden lokal behandelt, die Ausbreitung im Bestand verhindert. Auch hierfür braucht es Technik wie bildgebende Erkennungssysteme und verbesserte Pflanzenschutzspritzen.
VDI: Greift bei der Früherkennung eine künstliche Intelligenz (KI)?
Barbara Sturm: Es wird tatsächlich bereits viel mit KI gearbeitet. Sobald bildgebende Verfahren miteinbezogen sind, beispielsweise zur Erkennung des Gesundheitszustands einer Pflanze oder eines Tieres, greift maschinelles Lernen und KI. Der Einsatz der KI ist jedoch nicht auf diese Bereiche beschränkt. KI wird zwischenzeitlich zum Beispiel auch zur Analyse großer Datenmengen aus unterschiedlichen Quellen eingesetzt oder zur Entwicklung prädiktiver Prozessregelungssysteme.
VDI: Wie sieht es in der Tierwirtschaft aus? Was wandelt sich?
Barbara Sturm: Der gesellschaftliche Anspruch an die Tierhaltung hat sich stark gewandelt. Parallel sind die Landwirte in der Situation, dass sich die Tierhaltung oft kaum noch rechnet. Die Preise für Tierfutter und andere Ressourcen sind infolge von Corona-Pandemie und Krieg in der Ukraine und den damit veränderten Bedingungen in den globalen Lieferketten deutlich gestiegen. Dennoch gilt es, den Forderungen nach Tierwohl und Nachhaltigkeit nachzukommen. Mithilfe verbesserter Stallsysteme und dem vermehrten und verbesserten Einsatz von Farmmanagementsystemen, in die alle wichtigen sensorisch erfassten Werte integriert werden können, kann dies auch umgesetz werden. Hier spielt der Einsatz von Sensorik zur Früherkennung von Verhaltensanomalien und Krankheiten zum Beispiel eine wichtige Rolle. Neben der Entwicklung von Systemen zur Früherkennung von Stress und Krankheiten zur Steigerung von Tierwohl und Tiergesundheit ist die Reduktion von Emissionen aus der Tierhaltung eine der drängendsten Aufgaben, die auch uns in der Forschung umtreibt.
VDI: Wie lässt sich die deutsche Landwirtschaft hinsichtlich Innovationen im europäischen Vergleich einordnen?
Barbara Sturm: Wir haben hierzulande sehr viele innovative mittelständische und große Unternehmen im Bereich der Agrartechnik. Deutschland ist hier mit Sicherheit gut aufgestellt. Wenn es um neue Konzepte in Spezialanwendungen geht, zum Beispiel im Bereich der kleinskaligen Robotik zur mechanischen Beikrautbekämpfung, sind andere Länder wie die Niederlande sehr weit. In ganz Europa gibt es Pioniere und Treiber für Innovationen im Agrarbereich. Aus meiner Sicht bietet das Miteinander größeres Potenzial für die Entwicklung von Innovationen als der pure Wettbewerb. Dies zeigt sich beispielsweise an den zahlreichen hervorragenden Kooperationen im Kontext der Forschungsförderung durch die EU, aber auch an der länderübergreifenden Zusammenarbeit von Verbänden und wirtschaftlichen Konsortien.
VDI: Auf der Tagung AgEng-LAND.TECHNIK 2022 werden Sie die Präsidentschaft der Europäischen Gesellschaft der Agrartechniker (EurAgEng) übernehmen. Was sind Ihre ersten Pläne nach der Wahl?
Barbara Sturm: Zunächst freue ich mich darüber, dass wir wieder in Person zusammenkommen. In den letzten zweieinhalb Jahren ist durch Corona vieles zum Erliegen gekommen und ich bin sehr glücklich, dass wir uns im Rahmen der AgEng-Land.Technik 2022 vor Ort in Berlin und Potsdam treffen können.
Für die Erreichung der Ziele einer diversifizierteren und nachhaltigeren Landwirtschaft brauchen wir die Agrartechnik und technische Innovationen. Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass die benötigten Technologien für eine Transformation des Agrarbereichs bereits existieren. Dies klar herauszustellen und an politische Entscheidungsträger heranzutragen, sehe ich als eine der wichtigsten Aufgaben für die kommenden Monate bzw. Jahre an. Die heute vorhandenen Technologien sind für die heute existierenden Systeme entwickelt und optimiert. Die nachhaltige Transformation des Sektors wird auch disruptive Technologieentwicklung mit sich bringen. Dazu müssen wir nicht nur in Systemen denken, sondern auch mit anderen Disziplinen und auf der globalen Bühne kommunizieren und zusammenarbeiten.
In meinen Augen ist eine zirkuläre Bioökonomie von zentraler Bedeutung für die nachhaltige Transformation. Hier wird es eine Aufgabe sein, Akteure aus allen Bereichen dafür zu sensibilisieren, bei der Gestaltung einer funktionierenden Bioökonomie die landwirtschaftliche Primärerzeugnung mitzudenken. Auch Biomasse steht nicht unbeschränkt zur Verfügung, ihr Vorhandensein wird aber bisher häufig als ganz selbstverständlich vorausgesetzt. Auch im Bereich der Biomassebereitstellung sind noch technische Fragen unbeantwortet – eine gute Chance für die Agrartechnik in Forschung und Industrie. Und auch eine Chance für eine engere Verzahnung von Forschung und industrieller Praxis, was mir ebenfalls am Herzen liegt.
Ein weiteres zentrales Anliegen meiner Präsidentschaft wird die Förderung junger Ingenieurinnen und Ingenieure sein. EurAgEng muss stärker als bisher eine Plattform für den Austausch und die Zusammenarbeit der Young Professionals aus Wissenschaft und Wirtschaft auf europäischer Ebene bieten, um dadurch auch die Attraktivität unseres Sektros zu stärken. Da ist derzeit noch Luft nach oben.
Ich möchte auch den transatlantischen Austausch intensivieren. Ich denke hier insbesondere an die American Society of Agricultural and Biological Engineers – ASABE. Erste Zusammenarbeiten bestehen bereits und es ist sehr erfreulich, dass der amtierende ASABE-Präsident Keith Tinsey an der Konferenz teilnehmen wird und wir bereits Gespräche vereinbart haben, um die Möglichkeiten einer künftigen besseren Zusammenarbeit von EurAgEng und VDI-MEG mit ASABE auszuloten.
VDI: Leidet Ihr Fachbereich unter Fachkräftemangel?
Barbara Sturm: Wir erleben derzeit einen Mangel an Fachkräften aus den klassischen Disziplinen, wie es auch in anderen Wirtschaftsbereichen der Fall ist. Die Rekrutierung hervorragend ausgebildeter Menschen aus dem Ausland kann dies nur zum Teil ausgleichen.
Die Agrartechnik ist ein äußerst attraktiver Fachbereich. Vieles ist auch hier im Wandel. Systembetrachtungen werden im Kontext der Transformation des gesamten Sektors immer relevanter und erfordern zunehmend neue Kombinationen von einschlägigem Fachwissen. Im Zusammenwirken mit einer Vielzahl von teilweise neuen Disziplinen und Akteuren stellt sich das Fach zunehmend interdisziplinären Herausforderungen. Das ATB verfolgt beispielsweise gegenwärtig zwei Inititaiven mit den Universitäten in Osnabrück und Potsdam, die dieser Entwicklung Rechnung tragen. Konkret geht es darum, im Agrarbereich die Ingenieur-, Natur-, System- und Umweltwissenschaften zielgerichtet mit der Informatik zu verbinden – und das bereits in der Lehre. Um am Ende hochqualifizierte und hochmotivierte Nachwuchskräfte mit einem interdisziplinären Verständnis für die hochkomplexen Aufgaben der Zukunft zur Verfügung zu haben, ist es unerlässlich, auch selbst auszubilden.
Für mich persönlich ist es wichtig, die Attraktivität des Bereichs Agrartechnik für junge Ingenieure und Ingenieurinnen im Hinblick auf die akademische Ausbildung und berufliche Karriere weiter zu verbessern. Sie sind die Zukunft und sie gestalten die Zukunft. Die jungen Ingenieure und Ingenieurinnen, die ich erlebe, wollen einen Beitrag leisten zur Lösung drängender gesamtgesellschaftlicher Fragen. Das muss gefördert und sichtbar gemacht werden.
VDI: Um auf die aktuelle Lage zu kommen: Wie können unsere Lebensmittel qualitativ hochwertig und bezahlbar bleiben?
Barbara Sturm: Klar ist, dass es angesichts der globalen Krisen einer Transformation der Landwirtschaft und eines Umdenkens bedarf. Allerdings sind alle Maßnahmen, sowohl zur Steigerung der positiven als auch zur Verringerung der negativen externen Effekte der Agrarproduktion, an steigende Produktionskosten geknüpft. Damit steigen natürlich auch die Preise für Lebensmittel.
Letztlich ist der notwendige Umbau eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Dies ist eine politische Aufgabe. Der Umbau sollte so gestaltet werden, dass er mit einer fairen gesellschaftlichen Lastenverteilung und Einsparungen aus gesamtvolkswirtschaftlicher Sicht verbunden ist.
Die Transformation sollte aber weder dazu führen, dass die Landwirtschaft mit gestiegenen Produktionskosten alleine gelassen wird, noch dazu, dass Teile der Gesellschaft sich gesunde Lebensmittel nicht mehr leisten können.
Aber ich bin keine Ökonomin, sondern Agrartechnikerin. Technik kann für Effizienz in der Produktion und Kostensenkung, für Einsparungen im Ressourceneinsatz und auch für eine hochwertige Qualität von Prozess und Produkt sorgen, also für sichere Lebensmittel. Aber auch Technik hat natürlich ihren Preis.
Interview: Sarah Janczura
Fachlicher Ansprechpartner:
Dr. Andreas Herrmann
VDI-Fachbereich Max-Eyth-Gesellschaft Agrartechnik
E-Mail: meg@vdi.de