Keine CO2-Neutralität ohne Emissionshandel
Der Europäische Emissionshandel spielt eine entscheidende Rolle, wenn es um die Erreichung der Klimaschutzziele geht. Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse und die geänderten weltpolitischen Rahmenbedingungen machen Anpassungen zwingend nötig. Mit der gerade in der EU-Kommission erarbeiteten Reform steht der Emissionshandel zwar vor großen Herausforderungen, festigt aber andererseits seine Rolle als marktorientiertes Element auf dem Weg zur CO2-Neutralität.
Mitten in dieser Umbruchphase des marktorientierten Instruments „Europäischer Emissionshandel“ (EU-ETS) bot der VDI Vertreterinnen und Vertretern der betroffenen Industrien eine Plattform zur Information und Diskussion. Dass das Thema trotz pandemischen und weltpolitisch erschütternden Zeiten nichts von seiner Bedeutung eingebüßt hat, zeigte das große Interesse an dieser Online-Veranstaltung. Mit Dr. Roland Geres, Geschäftsführer der Münchener Unternehmensberatung FutureCamp, konnte erneut ein Kenner der komplexen Thematik des Emissionshandels als Moderator gewonnen werden. Geres hatte im Vorfeld zum Expertenforum für uns vier Fragen zum Emissionshandelssystem beantwortet.
Der Zeitpunkt des VDI-Expertenforums hatte eine gewisse Brisanz: am 28. Juni 2022 tagte zeitgleich der EU-Umweltrat, um über den von der EU-Kommission vorgelegten Reformvorschlag des EU-ETS zu entscheiden. Das Reformpaket „Fit for 55“ soll der Europäischen Union ermöglichen, die Nettotreibhausgasemissionen aller Sektoren, wie Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr et cetera bis zum Jahr 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken.
Reformen im EU-ETS
Die im Vortrag von Dr. Uwe Neuser, Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz vorgestellten, geplanten Änderungen gegenüber dem aktuellen EU-ETS wurden von den Mitgliedstaaten inzwischen weitestgehend angenommen. Kernpunkte sind unter anderem:
- Die Emissionen, der unter das EU-ETS fallenden Emittenten, bis zum Jahr 2030 um 61 Prozent gegenüber 2005 zu senken. Somit leisten diese Emittenten den größten Anteil aller Sektoren an der Emissionsreduktion.
- Die Obergrenze für die Gesamtemissionen nicht nur einmalig um 117 Mio. Emissionshandels-Zertifikate, sondern auch künftig jährlich um 4,2 Prozent senken.
- Im Jahr 2027 ein neues, gesondertes Emissionshandelssystem für den Gebäude- und den Straßenverkehrssektor (EU-ETS 2), ähnlich dem deutschen Handelssystem gemäß Brennstoff-Emissionshandelsgesetz (BEHG) einzuführen, dessen „soziale Beherrschbarkeit“ der CO2-Bepreisung durch Einrichtung eines Klima-Sozialfonds sichergestellt werden soll. Seitens der Bundesregierung wird es als unproblematisch angesehen, das deutsche Handelssystem zukünftig in das neue EU-ETS 2 zu überführen.
- Emissionen aus dem Seeverkehr in den Anwendungsbereich des EU-ETS einzubeziehen.
- Die kostenlosen Emissionszertifikate für den Luftverkehr bis 2027 schrittweise auslaufen zu lassen.
Fragen, wie beispielsweise die kostenlosen Zuteilung durch Einführung des CO2‑Grenzausgleichssystems (CBAM) langfristig abzuschaffen, Abfallverbrennungsanlagen einzubeziehen oder beihilferechtliche Fragestellungen sind noch nicht im Detail geklärt und bleiben bis zur endgültigen Verabschiedung des Gesetzestextes Gegenstand weiterer Beratungen.
„Die Politik ist gefordert, den geeigneten Rahmen für Wettbewerb und Innovationen zu schaffen“
Vertreterinnen und Vertreter unterschiedlicher energieintensiver Industrien zeigten die aus ihrer Sicht wichtigsten Voraussetzungen zur Erreichung der CO2-Neutralität bis zum Jahr 2045 auf. Allen voran die ausreichende Verfügbarkeit erneuerbarer Energien und eine rechtzeitige Bereitstellung geeigneter Netze und Infrastrukturen durch den Staat, wie zum Beispiel Stromnetze, Wasserstoff-Infrastruktur oder CO2-Piplines. Die Politik sei gefordert, den Rahmen für Wettbewerb und Innovationen zu schaffen, um mit klimaneutralen Produktionsverfahren, gesteigerter Energieeffizienz und Kreislaufrate zunehmend CO2-ärmere Produkte auf den Markt bringen zu können.
Entscheidend dabei sei unter anderem das Instrument der Klimaschutzverträge (CCfD – Carbon Contracts for Difference). Es ermögliche Finanzierungshilfen für Investitionen in neue, klimaneutrale Technologien und der dazu erforderlichen Innovationsforschung und -entwicklung.
Das regulatorische Umfeld des aktuellen EU-ETS benachteilige aktuell die technologische Transformation in der Industrie: Neue Techniken, die weniger CO2 emittieren, erhalten demnach weniger kostenfreie Zuteilungen. Die Reform des EU-ETS müsse diesen strukturellen Fehler beseitigen – so die einhellige Meinung der Veranstaltungsteilnehmenden.
Fragen und Unklarheiten zu aktuell anstehenden Aufgaben des Vollzugs, sowohl im EU-ETS als auch für den nationalen Emissionshandel konnten mit den Referierenden der Deutsche Emissionshandelsstelle des Umweltbundesamts (DEHSt) diskutiert werden.
Die im Rahmen der Veranstaltung vorgestellten Initiativen von VDI („1,5 Grad – INNOVATIONEN.ENERGIE.KLIMA“) beziehungsweise in Kooperation von VCI und VDI („Chemistry4Climate“ ), machten einmal mehr deutlich: Ohne technologische Lösungen von Ingenieurinnen und Ingenieuren ist die Energiewende nicht umsetzbar und ohne sie sind die Klimaziele nicht erreichbar. Hierzu leisten beide Initiativen einen wertvollen Beitrag.
Die Veranstaltungsreihe VDI-Expertenforum „Emissionshandel“ wird durchgeführt in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und dem Umweltbundesamt. Eine Fortsetzung ist für Herbst 2023, vorzugsweise wieder als Präsenzveranstaltung, geplant.
Autorin: Alice Quack
Fachlicher Ansprechpartner:
Dipl.-Ing. Peter Plegnière
VDI/DIN-Kommission Reinhaltung der Luft (KRdL) - Normenausschuss
E-Mail: plegniere@vdi.de