H2Steel: der Wasserstoffpfad in der Stahlerzeugung
Der Einsatz von Wasserstoff statt Kohlenstaub im Hochofen ist erst der erste Schritt
„Um eine klimaneutrale Stahlproduktion zu erreichen, bedarf es grundlegender technologischer Veränderungen. Thyssenkrupp Steel verfolgt einen technologieoffenen Ansatz und setzt auf zwei Pfade: die Vermeidung von CO2 durch den Einsatz von Wasserstoff („Carbon Direct Avoidance“, CDA) sowie die Nutzung von anfallendem CO2 („Carbon Capture and Usage“, CCU). Dabei geht Thyssenkrupp schrittweise vor. Statt Kohlenstoff wird im Hochofen Wasserstoff eingesetzt. Der Wasserstoff ersetzt dabei die Einblaskohle: Wo beim Kohleeinsatz CO2 entsteht, entsteht beim Einsatz von Wasserstoff Wasserdampf.
Schon im November 2019 erfolgte am Standort Duisburg-Hamborn der Auftakt zum weltweit ersten von mehreren Versuchen zur Wasserstoffzufuhr an einer der insgesamt 28 Blasformen des „Hochofens 9“. Den Wasserstoff liefert das Unternehmen Air Liquide per Tanklastwagen. Gefördert wird das Projekt von der Initiative IN4climate der Landesregierung NRW. Mittlerweile ist die erste Testphase erfolgreich abgeschlossen. Das Unternehmen hat dabei wichtige Erkenntnisse gesammelt, um die Versuche im nächsten Schritt auf alle Blasformen des Hochofens auszuweiten und die Technologie in den industriellen Großeinsatz zu übertragen.
Die zweite Phase der Versuche und die Ausweitung auf alle Blasformen soll 2022 stattfinden. Im Mittelpunkt der Forschung wird dann der Einfluss der Wasserstofftechnologie auf die metallurgischen Prozesse im Hochofen stehen. Die Versorgung findet dann über ein Leitungsnetz von Air Liquide statt, von dem eine 6,5 Kilometer lange Verbindung zum Hochofen gelegt wird. Das theoretische Einsparpotenzial an CO2 durch den Ersatz des Kohlenstaubs durch Wasserstoff an dieser Stelle im Produktionsprozess liegt bei bis zu 20 Prozent.
Die Umstellung des Hochofens 9 auf Wasserstoff liefert erste Senkungen und auch ein erstes grünes Produkt. Um wirklich klimaneutral zu werden, ist aber eine grundsätzliche Umstellung der Stahlproduktion notwendig. Eine entscheidende Veränderung stellt der Aufbau von Direktreduktionsanlagen (DR-Anlagen) dar, die mit Gasen betrieben werden. Nutzt man dabei Wasserstoff, arbeiten sie emissionsfrei. Da klimaneutral produzierter Wasserstoff auf absehbare Zeit nicht in ausreichend großen Mengen verfügbar sein wird, kann vorrübergehend auch Erdgas eingesetzt werden. Dies senkt die Emissionen gegenüber der kohlebasierten Hochofenroute bereits deutlich.
Thyssenkrupp Steel kocht also wie bisher – nur mit einem Unterschied
Im Gegensatz zum Hochofen produzieren DR-Anlagen kein flüssiges Roheisen, sondern festen Eisenschwamm („Direct Reduced Iron“, DRI). Damit dieser zu hochwertigem Stahl weiterverarbeitet werden kann, muss er zu einem roheisenähnlichen Produkt eingeschmolzen werden. Gemeinsam mit Anlagenbauern arbeitet Thyssenkrupp Steel daher an einem völlig neuen Aggregat, um das Roheisensystem zu optimieren. Dabei handelt es sich um strombetriebene Einschmelzer, die mit den DR-Anlagen kombiniert werden. So erzeugen die Direktreduktionsanlagen mit Einschmelzer – genauso wie ein Hochofen – kontinuierlich ein flüssiges Produkt.
In der Folge können die neuen Anlagen nahtlos in den bestehenden Hüttenverbund eingegliedert werden. Das hat den großen Vorteil, dass die bestehenden und erprobten Prozesse in den Duisburger Oxygenstahlwerken beibehalten werden können. Dort wird das flüssige Produkt zu den bewährten Stahlgüten weiterverarbeitet. Thyssenkrupp Steel kocht also weiterhin Stahl wie bisher – nur eben mit Wasserstoff und grünem Strom statt mit Kohle.
Projekt Carbon2Chem® soll Klimaneutralität schaffen
Der zweite Technologiepfad, den Thyssenkrupp verfolgt, um bis 2050 klimaneutral zu werden, ist das Projekt Carbon2Chem®. Man bereitet dort Prozessgase auf, die bei der Stahlproduktion anfallen, und verarbeitet sie weiter. Aus den Hüttengasen mit kohlenstoffhaltigen Komponenten, die bei der Stahlproduktion entstehen, werden Basischemikalien für die chemische Industrie gewonnen, für die sonst Synthesegas aus importierten fossilen Ressourcen wie Öl oder Erdgas benötigt wird. Aus den Basischemikalien lassen sich dann beispielsweise Dünger, Kunststoffe oder Treibstoffe herstellen. Seit September 2018 arbeitet Thyssenkrupp im Technikum Carbon2Chem® in Duisburg an der Technologie und hat – weltweit zum ersten Mal – Ammoniak und Methanol aus Hüttengasen produziert.
Mit dem parallelen Einsatz beider Verfahren – Carbon2Chem® und dem Einblasen von Wasserstoff als Reduktionsmittel – kann Thyssenkrupp die Emissionen auf der bestehenden Hochofenroute zukünftig deutlich reduzieren. Die Carbon2Chem®-Technologie ist auch für andere Industrien anwendbar. In der zweiten Projektphase soll unter anderem die Eignung für andere Sektoren bewiesen werden, etwa die Zementherstellung oder Müllverbrennungsanlagen.“
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Autor: Dr.-Ing. Jens Reichel, Leiter Sustainable Production and Steel Energy Services bei der Thyssenkrupp Steel Europe AG und Vorstandsmitglied der VDI-Gesellschaft Produktion und Logistik (GPL)
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Dipl.-Ing. Jean Haeffs
VDI-Gesellschaft Produktion und Logistik (GPL)
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