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VDI-Historie: Zukunft braucht Herkunft

Gründerzeit – der VDI in den neuen Bundesländern und die Macht der Vergangenheit

9. November 1989 – mit dem Fall der Berliner Mauer beginnt für den VDI eine neue Reise. Sie führt den Verein in eine andere Zukunft, und zugleich in die Vergangenheit. Über vier Jahrzehnte war der VDI im Osten Deutschlands verboten. Vergessen war er nicht. Noch bevor Vertreter der beiden deutschen Staaten den Einigungsvertrag ausgehandelt haben, gründen sich VDI-Bezirksgruppen in Greifswald, Meiningen und Rostock. Am 11. April 1990, vor 35 Jahren, erfolgt in Leipzig die offizielle Registrierung als rechtsfähiger Verein: die VDI-Gliederung DDR e.V. Der VDI kämpft in den neuen Bundesländern mit Arbeitslosigkeit, unsicheren Zukunftsaussichten und den organisatorischen Herausforderungen einer Vereinsgründung. Er muss sich mit der politischen Vergangenheit seiner neuen Mitglieder auseinandersetzen. Und er muss sein Verhältnis zur Kammer der Technik klären, dem sehr lebendigen Ingenieurverein einer untergegangenen DDR.

Das Vereinigungsgesetz der DDR vom 21. Februar 1990 ist so etwas wie der Mauerfall der deutschen Vereinsgeschichte. Nach Jahrzehnten staatlicher Kontrolle erklärt das Gesetz die Bildung von Vereinigungen für frei. Erstmals seit dem Verbot des VDI durch die Besatzungsmächte 1945 konnten sich damit auch die ostdeutschen Ingenieurinnen und Ingenieure zum "Zusammenwirken aller geistigen Kräfte der Technik" unter dem Dach des VDI vereinigen. Schon Ende 1989, unmittelbar nach dem Mauerfall, erreichten den VDI in Düsseldorf erste Anfragen zu einer Mitgliedschaft. Da die Zuordnung zu einem Bezirksverein nicht möglich war, reagierte die Hauptgeschäftsstelle pragmatisch. Sie nahm die Anträge der Bürgerinnen und Bürger der DDR entgegen und die Antragsteller rückwirkend als VDI-Mitglieder auf. Für den 29. März 1990 lud die Hauptgeschäftsstelle alle Interessierten aus der DDR nach Leipzig zu einem geheimen Informationsgespräch ein. Diese Zusammenkunft setzten die Teilnehmenden als Gründungssitzung fort. Die anwesenden Gründungsmitglieder passten die VDI-Mustersatzung den Rechtsvorschriften der DDR an, ließen sie von der Versammlung genehmigen und meldeten die Eintragung der Vereinigung "Verein Deutscher Ingenieure, Gliederung DDR" mit Sitz in Leipzig an. Am 11. April 1990, vor genau 35 Jahren, erfolgte die offizielle Registrierung als rechtsfähiger Verein. Für den VDI, der nicht unbedingt für seine Schnelligkeit bekannt ist, war das eine rasante Entwicklung.

Die VDI-Gliederung DDR war eine Übergangslösung.

Die VDI-Gliederung DDR war eine Übergangslösung. Am 22. Oktober 1990 wurde sie in den Bezirksverein Leipzig umgewandelt, um die Bildung weiterer Bezirksvereine zu ermöglichen. Ehrenamtliche reisten aus den westdeutschen Bezirksvereinen an und unterstützten die Gründungaktivitäten vor Ort. Nachdem sich noch am 1. Dezember 1990 der Bezirksverein Thüringen gebildet hatte, ging es im nächsten Jahr Schlag auf Schlag weiter: Halle am 23. Februar 1991, Magdeburg am 13. April 1991, Dresden am 2. Oktober 1991 und Westsächsischer BV am 12. Oktober 1991. In Berlin erweiterte der bisher auf West-Berlin beschränkte Bezirksverein sein Gebiet auf den Ostteil und Brandenburg. Im hohen Norden verzögerte sich die Umwandlung aufgrund der dünnen Siedlungsdichte. Am 15. November 1995 gründete sich der Bezirksverein Mecklenburg-Vorpommern. Fünf Jahre nach der Wiedervereinigung war der VDI in den neuen Bundesländern als Verein flächendeckend vertreten. Die Gründung der Bezirksvereine sollte die Entwicklung der Mitgliederzahlen in den neuen Bundesländern "von der Basis aus positiv beeinflussen". Das war für den VDI von großer Bedeutung. Denn trotz des anfänglich großen Interesses kämpfte der VDI mit zwei Hindernissen, die einer Steigerung der Mitgliederzahlen entgegenstanden: den wirtschaftlichen Rückschlagen in den neuen Bundesländern und der Konkurrenz durch die Kammer der Technik (KDT), der Ingenieurvereinigung in der DDR.

Gründung neuer Bezirksvereine als "Wiedererstehung"

Hoffnung und Ernüchterung lagen im Sommer 1990 eng beisammen. Innerhalb kürzester Zeit führte die Wirtschafts- und Währungsunion vom 1. Juli 1990 zu einer De-Industrialisierung, dessen Auswirkungen immens waren. Die Wirtschaft der DDR wurde "der radikalsten Schocktherapie im postkommunistischen Europa unterzogen" (Ther). Die Ingenieure waren von der De-Industrialisierung besonders betroffen. Schon im Herbst 1990 berichtete der Vertreter des BV Thüringen, die Ingenieure seien nicht nur "hinsichtlich ihrer beruflichen Anerkennung" spürbar verunsichert, sondern "auch in Bezug auf die gesamten für sie neuen Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie ihrer zukünftigen beruflichen Möglichkeiten". Sie seien zunehmend resigniert. VDI und VDI-Verlag stellten Informationen und Material bereit, schickten einen "Info-Bus" in die neuen Bundesländer und subventionierten den Besuch von Fachtagungen. Der vielleicht wichtigste Aspekt war aber, dass der VDI in den neuen Bundesländern bereits durch die VDI nachrichten bekannt war und an alte Traditionen anknüpfen konnte, die bis ins Kaiserreich zurückreichten. Für viele Ehrenamtliche war die Gründung ein "Wiedererstehen".

Im Unterschied zur DDR blieb die Ingenieurvereinigung des SED-Staates nach der Wende bestehen, die sogenannte Kammer der Technik (KDT). Der VDI tat sich schwer damit, sein Verhältnis zur ideologisch konträren, fachlich aber in vielerlei Hinsicht ähnlichen KDT zu definieren...

Der zweite Teil dieses Beitrags beleuchtet am 2. Mai den schwierigen Umgang mit der KDT und den aus Sicht des VDI "problematischen Persönlichkeiten", die in den Machtapparat der SED verstrickt waren.

Autor: Sebastian Teupe


Fachlicher Ansprechpartner:
Dr.-Ing. Christoph Sager M. Techn.
Tel.: +49 211 6214-404
E-Mail: sager@vdi.de

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