Automatisiertes Fahren in der Stadt: "Das verkehrspolitische Konzept fehlt"
Welche Bedeutung hat das Automatisierte Fahren für den innerstädtischen Verkehr? Wie sieht die Mobilität der Zukunft in der Stadt aus? Im Gespräch mit dem VDI skizziert Detlef Frank, ehemaliger umweltpolitischer Sprecher von BMW und Mitglied des Fachbeirats „Verkehr und Umfeld“ der VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik, Hürden, Herausforderungen und Visionen.
VDI: Herr Frank, was erwartet uns beim Automatisierten Fahren in der Stadt?
Frank: Aus meiner Sicht ist ein wirklich Automatisiertes Fahren, also das vollautomatisierte Fahren der Stufe 5, in absehbarer Zeit in der Stadt nicht zu erwarten. Der städtische Verkehr ist und bleibt die schwierigste Umgebung für Autonome Fahrzeuge. Erst wenn das vollautomatisierte Fahren im einfacheren Umfeld Autobahn zufriedenstellend klappt, können wir uns Prognosen für den Stadtverkehr zutrauen.
Im Individualverkehr ist allerdings eine deutliche Zunahme bei den Assistenzsystemen zu erwarten. Hier wird sich das Fahren in der Stadt weiterentwickeln, sei es durch Parkhilfesysteme, integrierte Möglichkeiten der Parkplatzsuche und -buchung, sowie Sicherheitssysteme, wie beispielsweise eine automatische Fußgängererkennung. Wahrscheinlich sieht städtische Mobilität in 10 Jahren trotzdem so ähnlich aus wie heute. Erstens wird es in 10 Jahren nur wenige hoch automatisierte Fahrzeuge geben und zweitens ist es unwahrscheinlich, dass der Individualverkehr durch Autonome Autos und damit verbundene Sharing- oder Taxisysteme dramatisch abnimmt.
Schätzungen, dass durch solche Systeme bis zu 70% weniger PKW unterwegs sein werden, sind völlig unrealistisch. Denn nach wie vor wären weiterhin viele Menschen zu den Stoßzeiten in Großstädten unterwegs. Generell ist das Verkehrsaufkommen zu bestimmten Zeiten einfach zu hoch. Eine wirksame Stellschraube zur Verkehrsreduktion ist daher die bessere Wagenauslastung (heute nur etwa 1,4 Personen pro PKW) und die Ertüchtigung des Öffentlichen Verkehrs. Beides lässt sich am besten über Informationstechnologie angehen.
VDI: Was bremst mögliche neue Entwicklungen?
Frank: Eines der größten Hindernisse für die schnelle Einführung neuer Technologien ist das Alter unserer Fahrzeuge. Zahlreiche Entwicklungen sollen zukünftig die Kommunikation der Autos untereinander nutzen. Viele Neuerungen wirken aber erst, wenn etwa 30 bis 40% der Autos entsprechend ausgerüstet sind. Zurzeit haben aber weniger als 10% des Fahrzeugbestandes Assistenzsysteme an Bord. Bei einem Durchschnittsalter der Fahrzeuge von etwa 10 Jahren müssen wir uns daher auf eine sehr lange Übergangszeit einstellen.
VDI: Gibt es denn kurz- oder mittelfristige Alternativen?
Frank: Ja, für eine Entlastung des innerstädtischen Verkehrs könnten relativ kurzfristig nur weiter entwickelte Assistenzsysteme sorgen. Dazu braucht es eine deutlich bessere Interaktion der Software der jeweiligen Fahrzeuge untereinander sowie zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur, Stichwort „Intelligente Ampeln und Parkhaussysteme“. Ein gutes Beispiel sind hier Pendler oder Besucher, die von außerhalb in die Stadt kommen. Hier bieten Assistenzsysteme gute Lösungen: Sie melden dem Fahrer über das Navigationssystem einen Stau oder Stoßzeiten und bieten sofort einen Park-and-Ride-Parkplatz in der Nähe an.
Zusätzlich informiert das System über die Fahrzeiten des öffentlichen Nahverkehrs, im Idealfall ist ein Zahlsystem für die Parkgebühr und für das Fahrticket integriert. Das könnte die Fahrtzeit verkürzen und für mehr Komfort sorgen, und außerdem den ÖPNV besser auslasten. Die Akzeptanz solcher Angebote ist die Voraussetzung, um alternative Systeme voranzutreiben. Bei alldem sollten wir auch die Potenziale der Informationstechnologie außerhalb des Autos nicht vergessen. Komfortable Apps für Ride Sharing auf dem Smartphone oder im IT-System des Arbeitgebers können den niedrigen Besetzungsgrad unserer heutigen PKW verbessern und Verkehr entlasten.
VDI: Das klingt gut und nicht nach ferner Zukunftsmusik. Woran liegt es, dass die Einführung des Automatisierten Fahrens derzeit so zögerlich verläuft?
Frank: Eine Hürde für automatisierte Fahrvorgänge ist die gesellschaftliche Akzeptanz. Diese ist eng gekoppelt an bestehende Vorurteile, Komfort und erlernte Routinen. Der vollautomatisierte Parkassistent funktioniert inzwischen zwar zuverlässig, doch trotzdem stößt er immer noch auf wenig Akzeptanz. Die Fahrer müssen sich regelrecht überwinden, das Steuer loszulassen und das Auto alleine einparken zu lassen, aus Angst, es könne einen Schaden verursachen.
Als Autofahrer ist man es ja nicht gewohnt, die Verantwortung für das sichere Fahren an einen Automaten abzugeben. Wichtig ist es also, die Kunden mitzunehmen, denn sie entscheiden am Ende und treiben so die Nutzung voran. Wenn ich positive Erfahrungen mache, bin ich auch eher bereit, Verantwortung an Systeme und Technik abzugeben. Hier kann man von Beispielen lernen, wo nach Unfällen mit automatisierten Fahrzeugen und der negativen Berichterstattung die allgemeine Akzeptanz und der politische Aktionismus im Bereich Automatisierung nachgelassen haben.
Es geht dabei eben um nicht erfüllte Erwartungen der Nutzer an die Fehlerfreiheit automatisierter Fahrzeugführung. Um Vertrauen beim Nutzer aufzubauen, muss Automatisiertes Fahren daher Schritt für Schritt erfolgen, um die neuen Technologien dauerhaft zu etablieren. Nur so erreichen wir eine breite gesellschaftliche Akzeptanz.
VDI: Welche Rolle spielen Unternehmen und die Betreiber Öffentlicher Verkehrsbetriebe?
Frank: Auch wenn der Nutzer mitmacht, gibt es immer noch Hindernisse bei der Einführung von Systemen, die nicht autark funktionieren. Hersteller tun sich schwer, sich auf einen Kommunikationsstandard zu einigen, Stichwort „WLAN oder Mobilfunk“. Öffentliche Verkehrsbetriebe haben Bedenken, aktuelle Betriebsdaten zur Verfügung zu stellen, um Assistenzsysteme im Fahrzeug oder auf dem Smartphone "arbeitsfähig" zu machen. Für den Stadtverkehr der Zukunft ist eine Kopplung der Autos untereinander und mit übergreifenden Systemen aber unbedingt nötig.
VDI: Welche Rolle spielt das Verkehrsumfeld für diese intelligenten Lösungen?
Frank: Die Infrastruktur spielt eine entscheidende Rolle, denn sie muss den neuen Möglichkeiten der Assistenzsysteme im Fahrzeug und auf dem Smartphone entsprechen. Das tut sie heute in vielen Fällen noch nicht. Ein Beispiel sind Spurhalteassistenten. Die Technik im Fahrzeug ist ausgereift, aber trotzdem funktioniert sie häufig nicht. Ein Grund sind beispielsweise missverständliche Straßenmarkierungen. So können gelbe und weiße Streifen auf der Fahrbahn den Assistenten „verunsichern“. Ein anderes Beispiel sind Baustellen und Sperrungen, die dem System nicht zuverlässig gemeldet werden. Auch die besten Navigationssysteme sind auf korrekte und vollständige Informationen angewiesen.
Hier ist die Fahrzeugtechnik viel weiter als die Infrastruktur. Daher sollte die Politik deutlichen Druck in Richtung der Infrastrukturbetreiber ausüben, damit Fahrzeugassistenzsysteme und Infrastruktur „auf Augenhöhe“ miteinander kommunizieren können. Was die Infrastruktur, die Autonomes Fahren ermöglichen will, können muss, hängt auch vom verkehrspolitischen Konzept ab, das wir verfolgen wollen. Dieses Konzept fehlt.
Zudem würde eine entsprechende Infrastruktur zusätzliche Kosten verursachen, deren Nutzen nicht eindeutig vorhersagbar ist. Denn vielleicht wird Fahren durch Automatisierung nur komfortabler und sicherer, ohne den innerstädtischen Verkehr zu reduzieren. Es ist also nicht auszuschließen, dass wir über die Automatisierung des Individualverkehrs mit einem Rebound-Effekt rechnen müssen. Denn je komfortabler dieser durch mehr Assistenzsysteme wird, umso mehr halten die Nutzer vielleicht auch daran fest.
Dennoch sollte man den Weg in Richtung Automatisierung weiter gehen, denn bestimmt wird die Verkehrssicherheit durch Assistenzsysteme steigen und auch die Geräusch- und Abgas-Emissionen können durch gute Verkehrsführung sinken.
Herr Frank, wir danken Ihnen für das Interview.
Über Detlef Frank: Detlef Frank ist Diplom-Ingenieur für Maschinenbau mit Schwerpunkt Fahrzeugtechnik, Mitglied des Fachbeirats „Verkehr und Umfeld“ der VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik (VDI-FVT) und leidenschaftlicher Oldtimerfahrer. Nach fünf Jahren bei VW wechselte Frank zu BMW, wo er die Schnittstelle zwischen den Behörden mit ihren Anforderungen und den Konstrukteuren in der Entwicklung bildete.
Er leitete die Fahrzeug-Zulassung, die Unfallforschung und die Produkthaftung und war ab 1990 Umweltpolitischer Sprecher von BMW, von 1997 bis zu seiner Pensionierung 2001 leitete er den Forschungsbereich. Seit 1992 ist Detlef Frank im und für den VDI aktiv und auch nach seiner Pensionierung gestaltet er die Zukunft der Mobilität durch seine Gremienarbeit in der VDI-FVT.
Das Interview führte Gudrun Huneke.
Redaktionelle Bearbeitung: Thomas Kresser
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