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Neue Leitlinien

WHO empfiehlt deutliche Reduzierung von Luftschadstoffen

Bild: Pixel B/ Shutterstock.com

Die WHO hat neue Leitlinien mit deutlich geminderten Richtwerten für Luftschadstoffe veröffentlicht. In Deutschland werden die WHO-Richtwerte an zahlreichen Messstellen überschritten.

Die Luftverschmutzung ist neben dem Klimawandel eine der größten Umweltgefahren für die menschliche Gesundheit. Vor fast 35 Jahren sind wissenschaftliche Erkenntnisse dazu und zum Ausmaß der Folgen von Luftverschmutzung für die öffentliche Gesundheit (Public Health) zusammengetragen worden. Die Weltgesundheitsorganisation, kurz WHO, hat die Ergebnisse unter dem Namen „Air Quality Guidelines for Europe“ veröffentlicht.

Grundlage der darin abgeleiteten WHO-Richtwerte für ausgewählte Luftschadstoffe war und ist bis heute die gesundheitliche Vorsorge im Sinne der WHO: es werden die Wirkungen von Luftschadstoffen auf die menschliche Gesundheit der gesamten Bevölkerung betrachtet, insbesondere unter Berücksichtigung empfindlicher Personengruppen wie zum Beispiel Schwangere, Kinder, ältere Menschen, Menschen mit Immunsuppressionen.

Schon niedrige Konzentrationen schaden

Am 22. September hat die WHO die aktualisierten Air Quality Guidelines mit gesundheitsbezogenen Richtwerten für die ausgewählten Luftschadstoffe Feinstaub (PM2.5, PM10), Ozon (O3), Stickstoffdioxid (NO2), Schwefeldioxid (SO2) und Kohlenmonoxid (CO) veröffentlicht. Ein Meilenstein neuester Erkenntnisse ist, dass die schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit nicht auf hohe Belastungen beschränkt, sondern selbst bei niedrigen Konzentrationen deutlich unterhalb existierender gesetzlicher Grenzwerte zu beobachten sind. Dies bedeutet, dass die erzielten Reduktionen der Luftschadstoffbelastung der letzten Jahre keineswegs ein Grund für eine Entwarnung sind. Im Gegenteil. Weiteres Handeln ist erforderlich.

Die WHO empfiehlt in ihren neuen Leitlinien eine erhebliche Absenkung der empfohlenen Richtwerte zum Beispiel der Jahresmittelwert für PM2.5 auf 5 µg/m³ (gegenwärtig 25 µg/m³) oder für NO2 auf 10 µg/m³ (gegenwärtig 40 µg/m³) in der Außenluft. Zudem betont sie, dass jede Reduktion gesundheitsrelevanter Luftschadstoffe gesundheitliche Vorteile bringt, selbst an Orten mit bereits relativ niedrigen Luftschadstoffkonzentrationen. "Wir begrüßen die neuen WHO-Richtwerte, stufen allerdings die Einhaltung als sehr ambitioniert ein. Es wird umfassende Maßnahmen in vielen Bereichen, zum Beispiel Verkehr, Industrie, Landwirtschaft oder Wohnen, erfordern und zwar auf internationaler, nationaler sowie lokaler Ebene ", so Professorin Isabelle Franzen-Reuter, Vorsitzende des Fachbereichs III "Umweltqualität" der VDI/DIN-Kommission Reinhaltung der Luft.

Dringender Handlungsbedarf für mehr saubere Luft

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung der WHO-Luftqualitätsleitlinien könnte kein besserer sein: Im Kontext des Green Deals ist die Generaldirektion Umwelt der Europäischen Kommission derzeit dabei, die EU-Luftqualitätsrichtlinie (2008/50/EG und 2004/107/EG) zu überarbeiten. Gerade hat eine öffentliche Konsultation begonnen, an der sich alle Bürgerinnen und Bürger und die breitere Gemeinschaft der Interessenträger beteiligen können und aufgerufen sind, ihre Ansichten zur Überarbeitung zu äußern. Im Rahmen der Überarbeitung sollen die Grenzwerte für Luftschadstoffe an den WHO-Empfehlungen ausgerichtet werden. Sicher werden Verhältnismäßigkeitsaspekte eine 1:1 Umsetzung der rein auf Basis des Gesundheitsschutzes abgeleiteten WHO-Richtwerte für Luftschadstoffe in entsprechende EU-Grenzwerte – vor allem kurzfristig – nicht in allen Fällen ermöglichen. Die Europäische Kommission gibt aber – wie auch die WHO – deutlich zu verstehen, dass auch sie Handlungsbedarf für mehr saubere Luft in Europa als dringend geboten sieht.

Die gemeinsame Kommission „Reinhaltung der Luft (KRdL)“ des VDI und des Deutschen Instituts für Normung e.V. (DIN) ist das Netzwerk in Deutschland zum Thema Luftreinhaltung. 1.200 Expertinnen und Experten aus insbesondere Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung erarbeiten in über 170 Arbeitsgruppen VDI-Richtlinien und DIN-Normen zu allen Fragen im Bereich der Reinhaltung der Luft. Die neuen WHO-Empfehlungen werden auch in die Standardisierungsarbeiten der KRdL einfließen.

Verschärfte Grenzwerte erfordern sensible Messtechnik

Neue, verschärfte Grenzwerte für Luftschadstoffe machen zum Beispiel eine entsprechend sensible und validierte Messtechnik erforderlich, damit die Grenzwerte einheitlich überwacht werden können. Neben der Verbesserung der Nachweisgrenze wird es auch darum gehen, realistische Messunsicherheiten für die erforderlichen Messverfahren in den Gesetzestexten zu verankern. Die in der jetzigen Luftqualitätsrahmenrichtlinie geforderten prozentualen Messunsicherheitswerte sollten gegebenenfalls durch erreichbare absolute Messunsicherheitswerte ersetzt werden.

In der Richtlinie VDI 2310 werden in mehreren Blättern für verschiedene Luftschadstoffe Maximale Immissions-Werte (MI-Werte) unter anderem zum Schutz von Menschen abgeleitet. Auf Basis der neuen Erkenntnisse werden die entsprechenden VDI-Richtlinien überprüft und gegebenenfalls die MI-Werte angepasst.

Auch an die Modellierung der Ausbreitung von Luftschadstoffen werden durch die niedrigeren WHO-Richtwerte neue Anforderungen, zum Beispiel bezüglich der Modellierungs-Unsicherheit, gestellt. Die anstehenden Emissionsreduktions- und Klimaanpassungs-Maßnahmen erfordern zudem die Berücksichtigung von neuen Stoffmischungsverhältnissen mit gegebenenfalls anders ablaufenden chemischen Umsetzungen. Gleichzeitig gilt es zu überlegen, ob unter bestimmten Bedingungen Genehmigungen erneut überprüft werden müssen (beispielsweise bei durch Nachverdichtung veränderten Ausbreitungsbedingungen).

Autor*innen:
Dr. rer. nat. Rudolf Neuroth, Dr. rer. nat. Julia Nickel-Kuhn, Dr. sc. agr. Anke Niebaum

Ansprechpartnerin:
Dr. sc. agr. Anke Niebaum
VDI/DIN-Kommission Reinhaltung der Luft (KRdL) - Normenausschuss
Telefon: +49 211 6214-469
E-Mail: niebaum@vdi.de

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