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DIT 2023 Breakout-Sessions

„Vorzeigestandort für nachhaltige Chemie werden“

Bild: BASF SE

Die chemische Industrie in Deutschland hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2045 treibhausgasneutral zu werden. Diese Transformation stellt große Player wie BASF unter großen Druck. Ein Gespräch über Chancen und Herausforderungen, die auch im Rahmen des Deutschen Ingenieurtags diskutiert werden.

VDI: Mit welchen Ansätzen lässt sich der fossile Rohstoffeinsatz in der Kunststoffindustrie senken?

Christine Bunte: BASF unterstützt das Pariser Klimaabkommen und hat sich verpflichtet, bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen. Dafür gilt es zuerst, die Energieversorgung auf erneuerbare Quellen umzustellen. Zudem arbeiten wir bereits daran, Produkte mit einem immer niedrigerem Product Carbon Footprint an den Markt zu bringen. Daher befassen wir uns intensiv mit alternativen Rohstoffen.

Um den Bedarf an alternativen Rohstoffen zu decken, können zum Beispiel mechanische und chemische Verfahren – komplementär in der Kreislaufwirtschaft genutzt – noch enormes Potenzial heben. Doch aktuelle Untersuchungen beispielsweise aus der Chemistry4Climate-Plattform zeigen klar, dass auch dies nicht ausreichen wird. Biomasse, CCU und im geringeren Maße auch fossile Energieträger in Kombination mit CCS werden bis 2050 benötigt werden.

Die existierende Anlagenlandschaft in Deutschland bietet bereits hervorragende Möglichkeiten, alternative Rohstoffe einzusetzen und mit jeder Tonne davon fossile Rohstoffe zu ersetzen. Dies geschieht bereits jeden Tag in Ludwigshafen, und nicht nur dort. Denn die Transformation findet überall statt, wo fossile Rohstoffe zum Beispiel durch nachwachsende, biogene oder recyclierte Rohstoffe ersetzt werden.

Einen weiteren wichtigen Beitrag Ressourcen einzusparen, sehen wir auch darin, mit weniger Materialeinsatz denselben oder bessere Effekte zu erzielen. So sind beispielsweise Joghurtbecher oder andere Verpackungen durch Innovationszyklen immer leichter geworden.

BASF hat seit 1990 den Pro-Tonne-CO2-Ausstoß bereits um 75 Prozent gesenkt

Von 2035 bis 2050 sollen alle konventionellen Verfahren der Basischemie durch alternative Verfahren ohne CO2-Emissionen ersetzt werden. Wann werden demnach die größten CO2-Minderungen erbracht?

Christine Bunte: Wenn wir von den größten Minderungspotenzialen sprechen, müssen wir zuerst einen Blick zurückwerfen: BASF hat seit 1990 den Pro-Tonne-CO2-Ausstoß bereits um 75 Prozent gesenkt. Wann sich wie viel CO2-Minderung in welcher Industrie erzielen lässt, können wir heute jedoch nicht endgültig beantworten, da die benötigten Technologien teilweise noch nicht zur Verfügung stehen. Auch hängt es massiv davon ab, wie sich das Investitionsumfeld einschließlich der politischen Rahmenbedingungen in den kommenden Jahren entwickelt.

Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, bis 2030 unsere Emissionen im Vergleich zu 2018 netto um weitere 25 Prozent zu senken. Dies entspricht einer 60-prozentigen Minderung im Vergleich zu 1990 und ist also noch etwas ambitionierter als die europäischen Vorgaben. Dies wollen wir unter anderem durch die Umstellung auf erneuerbare Energien aus Wind- und Solaranlagen bewerkstelligen sowie durch den Einsatz alternativer Rohstoffe wie Biomasse.

Benita von Haugwitz: Für den weiteren Weg zur Klimaneutralität werden darüber hinaus noch völlig neue Technologien benötigt. Wir testen derzeit in einer Anlage zur Methanpyrolyse unter anderem Herstellungsverfahren für klimafreundlichen Wasserstoff sowie die Einführung elektrisch beheizter Steamcracker-Öfen. Da es sich derzeit um Pilotanlagen handelt, werden diese jedoch erst nach 2030 ihren Beitrag leisten können.

Komplementäre Nutzung von mechanischen und chemischen Verfahren

VDI: Welche Technologien benötigen wir zu diesem Zeitpunkt?

Benita von Haugwitz: Für die gesamte Chemie gesprochen habe ich schon einige Technologie-Beispiele genannt. Ich würde daher gerne noch einmal konkreter auf die Kunststoffindustrie eingehen. Hier brauchen wir zunächst einmal Verfahren, um die Potenziale des Recyclings besser zu heben. Das beginnt mit der Sortierung und Reinigung der Kunststoffe. Insgesamt steckt das größte Potenzial in der komplementären Nutzung von mechanischen und chemischen Verfahren.

Ich erlebe immer wieder, dass es heißt, bestimmte Materialien ließen sich nicht recyceln. Manchmal bieten dann chemische Verfahren neue Lösungen, beispielsweise bei Autoreifen und Matratzen. Aber auch im mechanischen Recycling steckt noch eine Menge Potenzial. So wurden beispielsweise Mehrschichtfolien und -verpackungen immer für ihre vermeintliche Nicht-Recyclingfähigkeit kritisiert. Im Rahmen eines Kooperationsprojekts haben die Unternehmen BASF, Krones, SÜDPACK und TOMRA jedoch bewiesen, dass ein Recycling der Mehrschichtverpackungen in der bestehenden Infrastruktur möglich ist, da sich PET/PE-Mehrschichtverpackungen in Einzelstoffe trennen lassen und als Rohstoffe erneut in den Stoffkreislauf eingespeist werden können.

Solche Projekte und Beispiele belegen, wie viel Innovationspotenzial ausgeschöpft werden kann und muss, um eine Zirkularität von Kunststoffen zu erreichen. Insgesamt werden wir alle verfügbaren Technologien im größtmöglichen Umfang und in skalierter Form benötigen, um den Einsatz fossiler Rohstoffe zu reduzieren.

Den Standort stärken

VDI: Wie kann ein großer Chemiekonzern seine Treibhausgasemissionen auch in Zukunft weiter senken? Sind hierfür etwaige Neuinvestitionen notwendig?

Christine Bunte: In der Tat wird die Entwicklung, Skalierung und großskalige Anwendung bekannter und neuer Technologien erhebliche Investitionen erfordern. BASF investiert zum Beispiel derzeit jährlich rund zwei Milliarden Euro in den Verbundstandort Ludwigshafen. Ludwigshafen soll zum Vorzeigestandort für nachhaltige Chemie in Europa werden. So sollen in den nächsten Jahren beispielsweise auch Projekte wie die Erhöhung der Stromanschlusskapazität oder der Aufbau des ersten Elektrolyseurs für CO2-freien Wasserstoff umgesetzt werden. Es werden aber nicht alle Investitionen in die Zukunft des Standorts auch direkt am Standort sichtbar wie beispielsweise ein Offshore-Windpark in der Nordsee oder der Anschluss an eine Wasserstoff-Pipeline.

Wo mechanisches Recycling an seine Grenzen stößt

VDI: Chemisches Recycling soll vor allem dort eingesetzt werden, wo mechanisches Recycling an seine Grenzen stößt? Welche Grenzen sind Ihnen bekannt?

Benita von Haugwitz: Mit chemischem Recycling können Kunststoffabfallströme verarbeitet werden, die aus technologischen, ökologischen oder wirtschaftlichen Gründen nicht mechanisch recycelt werden können, wie beispielsweise verunreinigte Kunststoffe oder Abfallfraktionen aus verschiedenen Kunststoffarten, bei denen eine weitere Sortierung für werkstoffliches Recycling nicht wirtschaftlich ist.

Weitere Beispiele, wo mechanisches Recycling an seine Grenzen stößt, sind unter anderem Altreifen, die sich nicht anderweitig recyceln lassen. Aktuell werden Altreifen oft in Zementöfen energetisch verwertet. Das Interesse der Betreiber lässt aber nach, so dass andere sinnvolle Entsorgungswege benötigt werden. Mit Etiketten und Farben versetzte Kunststoffe stellen uns auch vor Probleme, genauso besondere Materialzusammensetzungen wie beispielsweise in der Automobilindustrie.

Christine Bunte: Aus diesen Gründen muss das chemische Recycling stark ausgebaut und durch Regulierung unterstützt werden, um so viel Kohlenstoff wie möglich in der chemischen Wertschöpfungskette zu halten, den Einsatz fossiler Rohstoffe zu reduzieren und Verluste auszugleichen. Chemisches Recycling bedeutet eine sinnvolle Ergänzung zum mechanischen Recycling und dem Erreichen der Zirkularität.

Noch zu wenig Planungssicherheit

VDI: Ohne Planungs- und Rechtssicherheit fällt das Ganze. Wie sieht es deshalb mit bürokratischen Hürden aus?

Christine Bunte: Mangelnde politische Akzeptanz und Unterstützung sowie eine eher restriktive Haltung gegenüber innovativen Technologien bei Recyclingverfahren sorgen derzeit leider nicht für Planungs- und Investitionssicherheit in Deutschland. Hinzu kommen Unsicherheiten hinsichtlich künftiger Regulatorik wie beispielsweise der Umsetzung des Koalitionsvertrages bei der Aufnahme von chemischem Recycling ins Verpackungsgesetz oder dem Erreichen von Recyclingvorgaben.

Benita von Haugwitz: Dabei ist chemisches Recycling ganz klar ein Schlüssel für die Zirkularität von Kunststoffen, die auf zwei Hauptanforderungen aufbaut; zum einen die Recyclingfähigkeit in großem Maßstab, was am Ende der Lebensdauer eines Produkts passiert, zum anderen der recycelte Anteil von Kunststoffen, der fossile Rohstoffe ersetzt.

Das größte Hindernis sehen wir derzeit darin, dass in Deutschland chemisches Recycling explizit ausgeschlossen ist, Recyclingziele im deutschen Verpackungsgesetz zu erfüllen, da diese auf sogenanntes „werkstoffliches Recycling“ beschränkt sind und diese Ablehnung auf andere Bereiche ausstrahlt. Zudem gibt es in Deutschland bisher keine Rechtssicherheit für die An- und Verwendung von Massenbilanz, obwohl anerkannt ist und in Brüssel auf EU-Ebene intensiv diskutiert wird, dass chemisches Recycling als Voraussetzung einen flexiblen Massenbilanzansatz erfordert.

Wir brauchen darüber hinaus auch einen Umgang mit Emissionsgutschriften: Für alle oben genannten Maßnahmen ist es unerlässlich, dass der Nutzen, nicht-fossile Rohstoffe zu verwenden, entlang der Wertschöpfungskette sichtbar werden muss, um Anreize für deren Verwendung zu schaffen und einen attraktiven Hochlauf zu ermöglichen. Solche CO2-Einspargutschriften sollten auf alle Produkte entlang ihrer Wertschöpfungsketten angewendet werden können und zu einer entsprechenden Verringerung ihres CO2-Fußabdrucks führen. Ein flexibler, zertifizierter Massenbilanz-Ansatz ist auch hierfür eine wichtige Voraussetzung, um eine schnelle, machbare und kostengünstige Transformation zu nicht-fossilen Rohstoffen zu ermöglichen.

Interview: Frank Magdans

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