Umfassende Lebensweganalyse für Kunststoffe
Viele Innovationen quer durch alle Branchen gelingen nur dank moderner Hochleistungskunststoffe. Und doch stehen sie in der Kritik, weil sie nach der Nutzung oft nur schwer bis gar nicht abbaubar sind. Kreislaufführung ist deshalb so wichtig. Das vom Marktforschungsunternehmen Conversio erstellte Stoffstrombild für Kunststoffe in Deutschland liefert einen umfassenden Überblick über Produktion, Verarbeitung, Verbrauch, Abfallaufkommen und Verwertung dieses vielseitigen Werkstoffs.
Wie viel Kunststoff wird in Deutschland produziert, wie viel davon wird weiterverarbeitet und wie viel landet im Müll? Wie hoch ist der Anteil des Kunststoffs, der nach der Nutzung im Sinne einer zirkulären Wertschöpfung erneut verwertet werden kann? Daten dazu und zum gesamten Lebensweg von Kunststoffen in Deutschland hat die Conversio Market & Strategy GmbH mit Sitz in Mainaschaff zusammengetragen.
Die Studie erfolgte im Auftrag der BKV GmbH, die von rund 50 Gesellschaftern aus der kunststofferzeugenden und -verarbeitenden Industrie sowie dem Kunststoffmaschinenbau getragen wird. Für die Erhebung wurden mehr als 2000 Unternehmen befragt sowie amtliche und weitere Statistiken herangezogen. Unterstützt wurde sie unter anderem von PlasticsEurope, dem Verband der chemischen Industrie (VCI) und dem VDMA.
Die wichtigsten Zahlen auf einen Blick
Die wichtigsten Zahlen der Conversio-Erhebung, die sich auf das Jahr 2019 beziehen, hier vorweg: Gut 20 Millionen Tonnen Kunststoff wurden in Deutschland produziert, rund 2 Millionen Tonnen davon als Rezyklate. Etwa 14 Millionne Tonnen davon dienten anschließend der Herstellung neuer Kunststoffprodukte, wovon wiederum 1,9 Millionen Tonnen aus Rezyklaten bestanden. Die Menge an Kunststoffabfall belief sich 2019 auf rund 6,3 Millionen Tonnen. Mit 46,4 % weniger als die Hälfte davon wurde werkstofflich und nicht einmal 1 % rohstofflich verwertet. Der größere Rest, nämlich 52,8 %, landete in der energetischen Verwertung, er wurde also schlicht verbrannt.
Im Jahr 2019 wurden rund 13,7 % der verarbeiteten Kunststoffe durch Rezyklate gedeckt. Zum Vergleich: 2017 waren es nur 12,3 %. Mit jeder eingesetzten Tonne rezyklierter Kunststoffe lässt sich auf den Einsatz neuer Kunststoffe verzichten. „Diese Entwicklung zeigt in die richtige Richtung“, betont Dr.-Ing. Hans-Jürgen Schäfer, Geschäftsführer der VDI-Gesellschaft Materials Engineering. Allerdings kritisiert er, dass der größte Anteil der Kunststoffabfälle immer noch energetisch verwertet, d.h. verbrannt werde.
Kritik am zu geringen Anteil an Recyclingware
Die Menge an Kunststoffabfall stieg zwischen 1994 und 2019 von rund 2,80 Millionen Tonnen auf ca. 6,23 Millionen Tonnen. Das ist ein Anstieg von 3,3 % pro Jahr. Recyclingware wird dabei mittlerweile praktisch in allen Segmenten des Marktes eingesetzt: bei hoch technischen Anwendungen wie dem Fahrzeugbau oder bei Elektrogeräten sowie besonders häufig im Baubereich (ca. 43 %), in Verpackungen (ca. 24 %) und der Landwirtschaft (ca. 11 %). Insgesamt wurden 2019 rund 2,9 Millionen Tonnen Kunststoffabfall werkstofflich recycelt. Im Vergleich zu 2017 stieg der Anteil dieser Menge um 3,2 %. Aber es könnte doch wesentlich mehr sein.
„Der immer noch verhältnismäßig geringe Anteil des Rezyklateinsatzes bedeutet nicht nur einen Verlust des Wertstoffs Kunststoff und einen verhältnismäßig großen Rohstoffanteil zur Herstellung von Kunststoffneubauteilen, sondern durch die Verbrennung auch eine Belastung des Klimas mit CO2“, sagt Schäfer.
Deutschland steht besser da als Europa und der Rest der Welt
Weltweit sieht die Situation noch weit schlechter aus. Hier macht sich zudem das unkontrollierte Ausbringen von Kunststoffabfällen in die Umwelt negativ bemerkbar. Die Folge: weitere Belastungen der Weltmeere mit Plastik. Die jetzt vom Bundeskabinett gebilligte Novelle des Verpackungsgesetzes soll daran zumindest in Deutschland etwas ändern. Mit Einwegverpackungen soll endgültig Schluss sein. Und es soll auf jeden Getränkebehälter aus Plastik künftig Pfand erhoben werden. Bisher waren zum Beispiel Säfte ohne Kohlensäure davon ausgeschlossen.
Im EU-Durchschnitt werden überhaupt nur rund 30 % der Kunststoffabfälle für ein Recycling gesammelt. China kommt auf eine Quote von 25 %, die USA gerade einmal auf 9 %. Dabei heißt Sammlung aber nicht gleichzeitig auch, dass recycelt wird. „Die Notwendigkeit des Recyclings wird vielerorts nicht gesehen“, kritisiert der VDI-GME-Geschäftsführer. Das habe einen einfachen Grund: „Teilweise stehen geeignete Technologien fürs Recycling schlicht nicht zur Verfügung.“
Technologien und Infrastrukturen mit Tempo ausbauen
Was Stoffkreisläufe betrifft, ist Deutschland im weltweiten Vergleich noch verhältnismäßig gut aufgestellt. „Wenn wir also unsere Technologien und unsere Infrastrukturen mit deutlich mehr Tempo ausbauen und den Anteil werkstofflichen oder rohstofflichen Recyclings deutlich erhöhen, bietet sich deutschen Unternehmern die Möglichkeit, weltweit eine Vorreiterrolle zu übernehmen und ihre Technologiekompetenz in das Ausland zu exportieren“, so Schäfer.
„Für die deutsche Industrie sind Ressourceneffizienz, klimaneutrale Energieversorgung und Klimaschutz wichtige Exportmärkte, die große Wachstumschancen beinhalten.“ Insbesondere für Schwellenländer werden hier große Potenziale ausgerechnet. Und es ist davon auszugehen, dass die zirkuläre Wertschöpfung weltweit stark ausgebaut wird, da in vielen Ländern dieses Thema bereits auf der Agenda steht.
Recycling beginnt beim Produktdesign
Viele Kunststoffprodukte sind extrem kurzlebig. Vor allem Verbraucherverpackungen gehören hierzu. Andere wiederum sind langlebig. Kunststoffe, die im Automobilbau oder im Bausektor verwendet werden, halten oft viele Jahre lang.
Um dennoch, um in jedem Fall die Stoffkreisläufe zu schließen, braucht es sowohl ein Umdenken im Umgang mit Produkten als auch bereits in der Entwicklung. Von Anfang an müssen sie so konzipiert sein, dass sie sich nach dem Gebrauch in ihre Komponenten zerlegen und kreislaufgerecht verwerten lassen. Je weniger am Ende der Nutzungsphase verändert werden muss, umso schneller lässt es sich in den Stoffkreislauf zurückführen.
„Ein Hauptschlüssel zur Etablierung der zirkulären Wertschöpfung ist also ein Umdenken bei der Produktkonstruktion“, sagt GME-Chef Schäfer. „Geeignete Infrastrukturen und verbesserte Technologien für die Anlagen versetzen uns zudem in die Lage, Kunststoffe möglichst sortenrein zu trennen und den produzierenden Unternehmen wieder als Rohstoff zur Verfügung zu stellen.“
Ohne rechtliche Regelungen keine zirkuläre Wertschöpfung
Um eine zirkuläre Wertschöpfung flächendeckend hinzubekommen, bedarf es allerdings eines für alle verbindlichen rechtlichen Rahmens. Hier ist die Politik gefordert. Wirtschaftliche und ökologische Vorteile sollten hier im Vordergrund stehen. „ Alle Stakeholder sollten sich dazu an einen Tisch setzen und gemeinsam Möglichkeiten ausloten“, fordert Schäfer. Industrie, Wissenschaft, Politik, aber auch Verbraucherverbände. Aus Wertschöpfungsketten sollen letztlich Wertschöpfungsnetzwerke werden.
Die Studie mit ausführlichen Tabellen, Definitionen und vertiefenden Informationen kann bei der BKV (www.bkv-gmbh.de) kostenpflichtig bestellt werden.
Autorin: Bettina Reckter
Fachlicher Ansprechpartner:
Dr.-Ing. Hans-Jürgen Schäfer
VDI-Gesellschaft Materials Engineering
E-Mail-Adresse: schaefer@vdi.de