Sicherheit ist die erste Prämisse
Wenn Professor Günther Prokop vom kommenden Fahrsimulator der TU Dresden spricht, so wirkt er unüberhörbar stolz: Mit Hochdruck arbeiten er und sein Team an einem System, in das sich verschiedene Fahrsituationen einspielen lassen, um die Reaktionen des Fahrers nachzuvollziehen.
„Der Simulator ist weltweit einzigartig“, betont Prokop und beginnt zu schwärmen. Denn eigentlich braucht es von der Bewegungskinetik her für realistische Darstellungen besonders viel Platz: Hydraulikzylinder müssen meterlang sein, die Schlittensysteme fallen lang und extrem schwer aus. Schließlich müssen im Fahrzeug des Simulators alle Beschleunigungen und Bremsmanöver real erscheinen. Prokop und sein Team hat sich dieser Herausforderung gestellt: „Wir haben uns ein System ausgedacht, mit dem größere Bewegungen gemacht werden können.“
Ein Beispiel soll das Ausmaß veranschaulichen: Der bis dato weltweit größte Fahrsimulator befindet sich bei Toyota in Japan. Das System ist so gigantisch, dass es eine riesige Industriehalle füllt. Auf meterlangen Schienen werden die Fahrbewegungen nachvollzogen, um möglichst realistisch zu erscheinen. Der Bewegungsraum des Systems liegt bei 35 mal 20 Meter. Schließlich sind bis zu 80 Tonnen Masse zu bewegen. In Dresden dagegen haben sich die Forscher einen kompakteren Simulator ausgedacht, dessen Bewegungsraum zur Nachbildung von Fahrmanövern mit 70 mal 70 Meter allerdings deutlich größer ausfällt.
Fahrsimulator auf Rädern
Einen entscheidenden Trick der Dresdner Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“ verrät uns Prokops Kollege Thomas Tüschen, Fachgruppenleiter des Forschungsbereichs Fahrsimulator: „Das System mit seinen sechs als Hexapod angeordneten Hydraulikzylindern und dem Fahrercockpit steht auf Rädern und kann sich frei in der Ebene bewegen.“ Ob Augen- oder Handbewegungen, Hirnströme oder einzelne Reaktionen der Fahrer – hier in der Kapsel lässt sich alles messen. Und „es ist ein selbstfahrender Simulator“, erklärt Tüschen – womit wir beim eigentlichen Thema sind: Niemals zuvor in der Geschichte des Automobils war so viel Simulation gefordert wie es jetzt der Fall ist.
Letztlich ist es bedeutsam, zu erfahren, wie sicher künftige autonome Fahrzeuge sind. Dies stellt kein leichtes Unterfangen dar. Das weiß Hermann Winner vom Institut für Fahrzeugtechnik an der TU Darmstadt nur allzu gut. Er hat errechnet, dass man pro Modell, wenn nicht gar pro Algorithmus, 13 Milliarden Testkilometer fahren müsste, um ein automatisiertes Fahrzeug nebst all seinen Funktionen als sicher einzustufen.
Weshalb der ganze Aufwand? Um dem Wagen Typengenehmigung und Zertifizierung zu erteilen. „Das ist nicht machbar“, weiß Prokop. Es gilt also, die Zahl der kritischen Szenarien zu reduzieren. „Wir müssen uns die Fälle heraussuchen, die wirklich kritisch sind. Dort, wo häufig Unfälle passieren oder Assistenzsysteme nicht richtig reagieren. Das sind die sogenannten Edge-Cases.“ Damit könnte die Zahl der Kilometer auf handliche Größe reduziert werden. Aber, was heißt handlich? Verschiedene Wissenschaftler haben diesbezüglich verschiedene Antworten parat.
Die Antwort von Prokop lautet: 3.000, vielleicht 5.000 oder 7.000 Szenarien müssten bereitgehalten und in verschiedenen Situation gefahren werden. Flugs entwirft er ein mögliches Szenario: „Eine dreispurige Autobahn, ich fahre auf der Überholspur und plötzlich schert jemand aus.“ Einige dieser Szenarien müssen im Testversuch real gefahren werden. Die Dekra testet beispielsweise am Lausitzring, die RWTH Aachen in Aldenhoven. Das sind experimentelle Stützen, so Prokop. Der Rest werde in der Simulation abgesichert. Dabei geht das Testen immer über die einzelnen Komponenten hinweg bis zum Gesamtsystem.
Die Stadt ist kompliziert
Längst abgeschlossen ist das Projekt Pegasus. Hier wurden auf der Suche nach Absicherungsmethoden Szenarien definiert, die sich vor allem auf Autobahnen konzentrierten. Hinzu kam die Suche nach einer einheitlichen Software, mit der diese Szenarien dargestellt werden können. „Aktuell versucht man die Ergebnisse aus Pegasus in das städtische Umfeld umzusetzen“, erklärt Prokop und weiß zugleich: „Die Stadt mit ihren verschiedenen Verkehrsteilnehmern ist kompliziert. Sie zeigt uns, dass wir in Sachen autonomes Fahren langsamer vorankommen als wir das in der ersten Euphorie gedacht haben.“
Prokop wagt eine Prognose: „In städtischen Szenarien werden wir erst mal nicht mit klassischen, privaten Pkw autonom fahren.“ Eher würden sich dort Kleinbusse oder spezielle Lieferfahrzeuge autonom bewegen. Die TU Dresden koordiniert aktuell ein Forschungsprojekt, bei dem ein Kleinbus mit 60 Stundenkilometer von der Messe Leipzig zum BMW-Werk fährt; vier Kilometer auf öffentlicher Straße und vollautonom mit einem Sicherheitsfahrer. Zur gleichen Einschätzungen sind auch die Experten aus dem Fachbeirat Automatisierung, Vernetzung, E/E der VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik unter der Leitung von Prof. Lutz Eckstein gekommen. Sie haben ihre Arbeitsergebisse in der VDI-Handlungsempfehlung „Automatisiertes und autonomes Fahren“ veröffentlicht.
Herausforderung Mensch-Maschine-Schnittstelle
Aktuell befinden wir uns nach dem international normierten Stufensystem hin zum autonomen Fahren noch auf Level zwei von fünf. Zwar kommen bereits viele Assistenzsysteme in Autos zum Einsatz, der Fahrer jedoch darf immer noch nicht wagen, den Blick von der Straße zu wenden. Zudem befinden sich einige Premiummodelle schon auf Level drei und haben damit Teilautomatisierung integriert, aus rechtlicher Sicht fehlt aber noch die Zulassung. Übrigens kann bei Level drei das Fahrzeug teilweise selbstständig fahren.
Die Algorithmen, die das Fahrzeug steuern, sind so programmiert, dass sie erkennen, wenn sie eine Situation nicht mehr beherrschen. „Das System degradiert sich selbst, der Fahrer muss wieder übernehmen“, drückt es Prokop anschaulich aus. Und er weiß, dass diese Mensch-Maschine-Schnittstelle eine der größten Herausforderungen in sich birgt: Auf welche Weise erkennt das System, ob der Fahrer tatsächlich das Steuer übernommen oder nur das Lenkrad berührt hat? Die Übernahmeszenarien müssen in jeder Situation sicher sein. Es muss feststehen, wer die Verantwortung trägt: der Fahrer oder das System, sprich der Hersteller.
IT-Industrie denkt anders
Aktuell konkurrieren auf dem Weg zur vollständigen Automatisierung verschiedene Strömungen miteinander. Da ist zum einen die evolutionäre Strategie, die sukzessive auf den verschiedenen Stufen aufbaut und hinter den klassischen Automobilbauern stehen. Die zweite Strategie kommt eher von IT-Experten wie Apple oder Google. Sie sind nicht an Level 3 und 4 (hochautomatisiert) interessiert, sondern streben direkt das vollautomatisierte Fahren an. Prokop: „Das ist auch getrieben von den Geschäftsmodellen der IT-Branche. Ein Fahrer kann während der Fahrt nur im Internet surfen, wenn das Auto alleine fährt – eine Art Robotaxi.“
Mobilfunkentwickler gehen anders an das Thema heran und bieten dem Automobil eine neue, makroskopische Sicht des Verkehrs. Ihr Gedankengang sei, so Prokop, wenn jedes Auto mit dem Funkstandard 5G verbunden wäre. Dann könnte das Fahrzeug sozusagen um die Ecke schauen. So würden weitaus weniger Unfälle passieren. Aktuell ist das aber nicht umsetzbar, da die Infrastruktur und die Durchdringung von 5G in den Fahrzeugen noch nicht vorhanden sind.
Noch auf absehbare Zeit würden automatisierte Fahrzeuge im Mischverkehr mit älteren Fahrzeugen, aber auch Fußgängern und Radfahrern unterwegs sein. Und die lassen sich nicht so einfach in die Kommunikationskette einbauen. Ihre Aktionen sind nicht vorhersehbar. „In der realen Welt dürfen wir im Sicherheitsniveau nicht zurückfallen“, fordert Prokop. Das Auto wisse nicht in jeder Situation alles, Sensorinformationen könnten auch fehlerhaft sein. „Wir brauchen sehr viel Redundanz, damit falsche Informationen nicht zu fatalem Fehlverhalten führen.“
Digitaler Zwilling mit Umgebungsinformationen
Dazu zählt auch, dass selbstständig fahrende Autos künftig ihre Umgebung realitätsgetreu wahrnehmen müssen. Experten setzen auf digitale Karten, die Fahrbahnmarkierungen, Verkehrszeichen, Ampeln und mehr abbilden. Sie sollen als „Digitaler Zwilling“ aller relevanten Daten für das automatisierte Fahren fungieren. Dafür benötigt die Autoindustrie eine riesige Menge an Bild- und Videomaterial. Damit Algorithmen Bildelemente wie Bäume, Straßenschilder und weitere Details erkennen, muss man sie digital markieren. Dieses Verfahren nennen Experten „Labeling“. Firmen wie Tesla beschäftigen für dieses mühsame als auch zeitaufwendige Verfahren tausende Arbeiter in Nigeria und Indien.
Auf diesem Gebiet kommt mittlerweile die Künstliche Intelligenz ins Spiel. So hat beispielsweise das Startup understand.ai, das dem Karlsruher Institut für Technologie entsprungen ist, ein KI-Verfahren entwickelt, mit dem die Erkennung rund zehnmal schneller sein soll. Professor Prokop weiß: „In der Bilderkennung ist KI unschlagbar.“ Doch er wittert auch Gefahren. Es müsse immer nachvollziehbar sein, was das Auto wirklich gelernt hat.
Mit ihrem Simulator werden die Dresdner künftig viele kommende Situationen im Straßenverkehr bewerten können. Sie können dann jede Menge Details des autonomen Fahrens auf Herz und Nieren überprüfen. Und eines steht dabei jetzt schon fest: Sicherheit ist immer die erste Prämisse. Letztlich soll das autonome Fahren den Menschen nämlich entlasten und nicht belasten.
Autorin: Regine Bönsch
Ansprechpartner im VDI:
Dipl.-Ing. Christof Kerkhoff
VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik
E-Mail-Adresse: kerkhoff@vdi.de