Nachhaltigkeit bereits in der Konstruktion festlegen
Die Bundesregierung fordert gesetzliche Vorgaben für das Produktdesign. Diese beziehen sich auf Langlebigkeit, Reparaturfähigkeit und auf die Verwendung von kreislauffähigen, ökologisch verträglichen Materialien. Dieser Ansatz ist auch im Sinn des VDI.
Mit Blick auf die endlichen Ressourcen der Erde ist generell ein sparsamer Umgang mit Rohstoffen angebracht. Das gilt für Kunststoffe ebenso wie für Metalle. Insbesondere bei der Wiederverwertung der Materialien werden allerdings Unterschiede deutlich. Nachhaltigkeitsberater Ralf Brüning sagt dazu: „Metallische Werkstoffe wie Eisen, Kupfer und Aluminium lassen sich mit moderner Technik in einem großen Maße verwerten.“
Anders sieht es laut dem Vorsitzenden des VDI-Fachausschusses „Recycling elektrischer und elektronischer Geräte“ und Geschäftsführer der Dr. Brüning Engineering UG aus Brak bei Kunststoffen aus: „Sie unterscheiden sich stark durch ihre Kettenform und den daraus resultierenden Eigenschaften.“ Sie können darüber hinaus gefüllt, gefärbt, aufgeschäumt oder mit Flammschutzmitteln versehen sein. Das alles hat Einfluss auf die Recyclingfähigkeit. Der Experte unterscheidet hier zwischen werkstofflicher Verwertung, bei der Molekülketten beibehalten werden, rohstofflicher Verwertung, bei der die Molekülketten aufgelöst werden, und energetischer Verwertung, bei der das Material verbrannt wird.
Die Recyclingfähigkeit hängt von vielen Faktoren ab
Für die Recyclingfähigkeit eines Produktes macht es zudem einen Unterschied, ob es sich um ein kleines, kompaktes Gerät wie ein Smartphone handelt oder um ein großes, schweres Gerät wie eine Waschmaschine. Denn gerade Kompaktheit und Leistungsdichte erscheinen auf den ersten Blick wie ein unlösbarer Zielkonflikt. Doch inzwischen gibt es laut Brüning auch dafür Lösungen: „Neue Entwicklungen im Bereich der Recyclingtechniken, etwa die Stoßwellenzerkleinerung oder das chemische Recycling, erlauben den Aufschluss beziehungsweise das Recycling von Materialien, die noch vor kurzer Zeit als untrennbar galten.“
In der Vergangenheit spielte die Recyclingfähigkeit bei der Neukonstruktion eines Produktes in den Unternehmen nach Einschätzung Brünings eine untergeordnete Rolle. Zwar habe es in den 1990er-Jahren einmal Ansätze gegeben. Diese seien aber nach der Einführung des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes (ElektroG) von verschiedenen Herstellern nicht weiterverfolgt worden. Als Grund dafür sieht Brüning die kollektive Produktverantwortung durch das Gesetz. Demzufolge ist der Hersteller nicht mehr nur für die Entsorgung seiner Produkte, sondern auch für die Entsorgung der Produkte seiner Mitbewerber zuständig.
Ob und wie gut sich ein Produkt später recyceln lässt, entscheidet sich bereits bei der Konstruktion. Nachträglich darauf Einfluss zu nehmen, ist oft sehr aufwendig. Gebrauchs- und Funktionseigenschaften des Produktes sowie dessen Betriebssicherheit und Wirtschaftlichkeit sollten auf jeden Fall weiter gewährleistet werden. Einen Ansatz dafür liefert die Digitalisierung. Mit einem digitalen Abbild eines Produktes, einem sogenannten digitalen Zwilling (Statusreport), lassen sich beispielsweise Informationen von der Konstruktion, über die Produktion und den Lebenszyklus bis hin zur Verwertung sammeln. So lassen sich Zusammenhänge dokumentieren, analysieren und oft bereits durch eine Simulation bewerten.
Beispiel: nachhaltige Produktentwicklung im Automobilbau
Wie eine solch nachhaltige Produktentwicklung im Automobilbau aussehen kann, verdeutlicht Günther Schuh, Professor am Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen und Vorstand der e.GO Mobile AG. Schlüssel für ihn ist der hohe Digitalisierungsgrad über die gesamte Prozesskette hinweg. „Dadurch kommen wir mit einem Drittel des Gesamt-Overheads für eine sonst übliche Automobilproduktion aus“, benennt er einen generellen Vorteil. Nachhaltig wird der kleine Elektroflitzer vor allem über die lange Lebensdauer, die laut Schuh bei 50 Jahren liegt. „Üblicherweise werden Pkw heute in Deutschland nach durchschnittlich 11,3 Jahren verschrottet“, stellt der Wissenschaftler fest.
Für den großen Unterschied sorgt die spezielle Bauweise des e.GO. „Die Basis dafür ist eine Karosserie aus einer Aluminiumprofilstruktur“, erklärt der Produktionsexperte. „Um dem Weichwerden durch die Materialermüdung entgegenzuwirken, wurden konstruktiv zusätzliche Strukturelemente eingebaut. Damit im Laufe der Zeit an der Fahrzeugstruktur keine Korrosion auftritt, nutzt der kleine Automobilbauer eine spezielle Legierung. Dadurch kann auf die Lackierung der Karosserieteile verzichtet werden.
Darüber hinaus werden robuste und kratzfeste Kunststoffe für die Außenhaut verwendet. Die Farbpartikel sind dabei bereits im Kunststoff integriert. Für den Produktionsoptimierer ist die Automobilproduktion nur ein Beispiel. „Die Maßnahmen sind Grundprinzipien der montagegerechten Produktgestaltung, die längst in unseren Lehrbüchern stehen und an allen guten Unis gelehrt werden. Eine recyclinggerechte Produktstruktur reduziert nämlich in der Regel auch die Montagekosten – und zwar nicht nur bei Autos, sondern auch bei Waschmaschinen, Heizungen, Elektromotoren oder Batteriepackages.“
Laut Schuh habe der e.GO Life deshalb zum Beispiel lediglich eine Montagezeit von 17 Stunden, auch weil sich der Wagen durch seine Produktstruktur praktisch von innen nach außen montieren lässt. Um alle Aspekte bei der Produktentwicklung zu integrieren und bestmöglich umzusetzen, treibt Professor Schuh die Zusammenarbeit in interdisziplinären, agilen Teams sowohl in seinem Unternehmen als auch innerhalb der Hochschule voran. Diesen Ansatz verfolgen immer mehr Unternehmen; sie beziehen dazu Nutzer frühzeitig in den Entstehungsprozess des Produkts mit ein.
„Steht der Mensch im Mittelpunkt der Produktentwicklung, kommen nachhaltige Lösungen fast von allein zustande“, fasst es Dieter Moll, VDI-Fachbereich Produktentwicklung und Mechatronik, zusammen. Er verweist in diesem Zusammenhang auf eine fast in Vergessenheit geratene Ingenieurdisziplin: die Ingenieurpsychologie. Sie fasst Elemente aus Konstruktion, Design und Ergonomie zusammen und wird heute als „Human Factors Engineering“ bezeichnet.
Zur allgemeinen Orientierung empfiehlt Moll den „Deutschen Nachhaltigkeitskodex – Maßstab für nachhaltiges Wirtschaften“ vom Rat für Nachhaltige Entwicklung in Berlin sowie den dazugehörigen Leitfaden. Deutlich konkreter werde es in entsprechenden VDI-Richtlinien, zum Beispiel der VDI 2243 zur Recyclingorientierten Produktentwicklung, der VDI 2074 zum Recycling in der technischen Gebäudeausrüstung sowie der VDI 2343 zum Recycling elektrischer und elektronischer Geräte (Blatt 1 bis 7).
Autor: Martin Ciupek
Fachlicher Ansprechpartner:
Dieter Moll, VDI-Fachbereich Produktentwicklung und Mechatronik
E-Mail-Adresse: moll@vdi.de