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Klimaschutz

Nachhaltigkeit beim Bauen hat viele Dimensionen

Bild: Sindii/Shutterstock.com

Das Thema Nachhaltigkeit ist auf dem Bau angekommen. Die Klimaschutzziele des Bundes und der Europäischen Union lassen sich nur erreichen, wenn auch die Bauwirtschaft ihren Anteil leistet – schließlich ist sie in Deutschland für rund die Hälfte des Ressourcenverbrauchs verantwortlich. Eine vorausschauende Planung, Ökobilanzierungen über den gesamten Lebenszyklus von Gebäuden hinweg, ein bewussterer Umgang mit den Ressourcen und den verwendeten Baustoffen: Das sind wesentliche Schritte, um zu ganzheitlichen Ansätzen zu gelangen.

Gesamtperformance eines Gebäudes optimieren

„Nachhaltigkeit im Baubereich hat viele Dimensionen. Dabei geht es nicht nur um die Herstellung der Baumaterialien, sondern ebenso um die CO2-Bilanz, um den laufenden Betrieb eines Gebäudes bis hin zu dessen Rückbau und Recyclingmöglichkeiten. Hinzu kommt gerade unter Nachhaltigkeitsaspekten der soziale Aspekt. Das beinhaltet, die Nutzenden mit ihren Bedürfnissen im Blick zu haben und die Wirkung eines Bauwerks auf ein Stadtviertel zu betrachten“, erläutert Martin Hoffmann. Über viele Jahre hat er die Entwicklung in der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) mitgeprägt, unter anderem als Vorsitzender des Fachausschusses. Hoffmann ist Sachverständiger für Schadstoffe in und an Gebäuden und darüber hinaus in der Aus- und Weiterbildung engagiert, unter anderem im Zertifikatslehrgang „Fachingenieur Nachhaltiges Bauen und Sanieren VDI“. Seine Kurzdefinition eines nachhaltigen Bauens lautet: „Im Kern geht es um die Gesamtperformance eines Gebäudes, seinen Input auf die Umgebung, auf die Umwelt sowie auf die hier lebenden Menschen.“

Artenvielfalt und gesundes Mikroklima fördern

Bauen bedeutet stets einen Eingriff in die Natur. Deshalb ist es wichtig, dabei Artenvielfalt und den Erhalt von Lebensräumen zu berücksichtigen. „Biodiversität entspringt nicht nur dem Engagement einzelner Bauträger oder lokalen Projekten, sondern ist ein bedeutender Teil der EU-Gesamtstrategie für eine nachhaltige Entwicklung“, schildert Martin Hoffmann weiter. Ein weiterer Aspekt: Die Unterstützung eines gesunden Mikroklimas durch planerische Maßnahmen, um etwa Hitzezonen in innerstädtischen Vierteln entgegenzuwirken, indem Grünanteile erhöht werden. Mutige Architektur sei in der Lage, daraus positive Geschichten zu generieren, führt Hoffmann weiter aus: „Wenn wir zum Beispiel sagen können, dass wir mit einem Neubau Nistmöglichkeiten für Mauersegler oder Falken geschaffen haben, ist das ein emotionaler Mehrwert, der das Gebäude auszeichnet.“

Erfolgsbeispiel HafenCity Hamburg

Als Erfolgsbeispiel für eine nachhaltige und durchdachte Quartiersentwicklung sieht Hoffmann die HafenCity Hamburg. Schon in der ersten Planungsphase wurden hier Nachhaltigkeitsziele definiert, um zu einer guten innerstädtischen Nutzung mit einem engen Verbund aus Wohnen, Arbeiten, Nahversorgung, verkehrlicher Infrastruktur, Freizeit und Schulen zu finden. Das Thema CO2-Reduktion wurde nicht nur für den Gebäudebetrieb, sondern auch hinsichtlich der verwendeten Baustoffe und der Konstruktion berücksichtigt. „Natürlich ist einzuräumen, dass aufgrund des Ziels, ein repräsentatives Quartier zu schaffen, viele Infrastrukturprojekte in der HafenCity von vornherein hochpreisig angelegt wurden. Doch Mindestanforderungen an die Qualität von Gebäuden und die Umgebung zu definieren, ist nicht nur eine Frage der Preisgestaltung“, unterstreicht Hoffmann: „Ziele wie CO2-Reduktion, Biodiversität, Lebens- und Aufenthaltsqualität sowie Verkehrsanbindung sind auch in anderen Entwicklungsprojekten mit geringeren Budgets möglich.“

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Frühzeitig Standards setzen

In jedem Fall habe die HafenCity Standards gesetzt und sei zur Blaupause für viele weitere kommunale Projekte geworden. Zu einer intelligenten, nachhaltigen Stadtplanung gehört es nach Hoffmanns Worten, vorausschauend zu planen, frühzeitig Vorgaben zu treffen und auch die notwendige Flächenrückhaltung etwa für Gemeinschaftsflächen, Kitas und Schulen zu berücksichtigen. „Eine Quartierzertifizierung wie in der HafenCity rundet das Gesamtkonzept ab, ist aus meiner Sicht aber kein Muss. Ich rate Kommunen und Entwicklern eher dazu, den Kriterienkatalog als Basis für ein stimmiges Gesamtkonzept zu nutzen. Die zusätzlichen Kosten für eine Quartierzertifizierung lassen sich im Zweifelsfall einsparen.“

Digitalisierung beschleunigt nachhaltiges Bauen

Zusätzlichen Schub dürfte das nachhaltige Bauen nach Ansicht vieler Experten durch die Möglichkeiten der Digitalisierung erhalten. Dazu gehört es unter anderem, exakte Werte über den Gesamtlebenszyklus eines Gebäudes zu errechnen oder baustoffbezogene Analysen und Vergleiche bis hin zu einem Material Passport zu erstellen. „Weitgehend digitalisierte Ausführungsprozesse wie mit BIM ebnen den Weg dazu“, sagt Martin Hoffmann: „So wird möglich sein, schon in der Frühplanungsphase eine umfassende CO2-Bilanz aufzustellen und dies mit jeder Planungsänderung in kürzester Zeit neu zu berechnen. Ich kann mir vorstellen, dass es in wenigen Jahren Tools für Architekten gibt, bei denen sich sozusagen in Echtzeit mit Planungsänderungen auch die Visualisierung der CO2-Ampel laufend aktualisiert. Das wird Berechnungen und Planungsprozesse deutlich vereinfachen und beschleunigen.“ Der Druck zur Veränderung sei im Markt groß, nicht zuletzt auch wegen der EU-Taxonomie mit ihren Standards für ein nachhaltiges Wirtschaften. „Dieses Thema kommt in einem enormen Tempo in der Branche an, Taxonomie-Konformität ist zu einem wesentlichen Faktor bei Finanzierungsfragen geworden.“

Rohstoffknappheit und Recycling

Ein weiteres aktuelles Thema, das die Baubranche bewegt, betrifft die akute Knappheit vieler Rohstoffe und Baumaterialien. Martin Hoffmann, der sich im Zertifikatslehrgang „Fachingenieur Nachhaltiges Bauen und Sanieren VDI“ in Modul 2 (Materialien und Ressourcen) unter anderem mit Recyclingmöglichkeiten beschäftigt, sieht die Rohstofflage differenziert. „Studien etwa des Umweltbundesamtes zeigen, dass in wenigen Jahren die recycelfähigen Materialien, die im Wertstoffkreislauf zurückkommen, den Gesamtbedarf deutlich übertreffen.“ Der Markt für Recyclingbaustoffe ist nach seinen Worten da, muss und wird sich aber noch weiterentwickeln. „Regulatorische Vorgaben wie in Berlin, wo es Vorgaben zum Recyclinganteil im Schulbau gibt, können dabei helfen.“ So sei es nach Hoffmanns Worten vorstellbar, dass in Zukunft Recyclingbeton günstiger werde als konventioneller Beton – ein Zeichen dafür, wie sich Ziele des nachhaltigen Bauens und die allgemeine Marktentwicklung gegenseitig beflügeln.

Unser Autor Dipl.-Ing. Martin Hoffmann ist gelernter Schreiner und hat an der TU Berlin Architektur studiert. Seit Mitte der 90er Jahre beschäftigt er sich mit dem ökologischen Bauen und dem Umgang mit Schadstoffen in Gebäuden. Er berät seit 2004 die HafenCity Hamburg zum nachhaltigen Bauen. Herr Hoffmann ist Vorsitzender des Fachausschusses der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) und seit 2009 öffentlich bestellter Sachverständiger für Innenraumluftschadstoffe. Als Auditor betreut er Kommunen, Bauherren, Architekten und Bauunternehmer bei der Planung und Umsetzung von nachhaltigen Gebäuden und Quartieren.

Fachlicher Ansprechpartner:
Dipl.-Ing. (FH) Frank Jansen
VDI-Gesellschaft Bauen und Gebäudetechnik
E-Mail: jansen_f@vdi.de

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