Wie effizient ist das autonome System? Dr. Eckhard Roos im Interview
Die Arbeitsgemeinschaft „Autonome Systeme“ der VDI/VDE-Gesellschaft Mess- und Automatisierungstechnik (VDI/VDE-GMA) hat zehn Grundsatzfragen zum Thema „Künstliche Intelligenz und autonome Systeme“ formuliert. Im Interview beantwortet Dr. Eckhard Roos, Leiter Industry Segment Management Process Automation bei Festo und Mitglied des Vorstands der VDI/VDE-GMA wichtige Aspekte zur Grundsatzfrage: „Wie effizient ist das autonome System?“
VDI: Herr Dr. Roos, fangen wir direkt mit der Kernfrage an: Wie effizient ist das autonome System?
Roos: Bevor man diese Frage beantwortet, muss man den Begriff der Effizienz nochmals näher betrachten. Effizienz ist das Verhältnis von Aufwand und Nutzen, das in einem möglichst günstigen Verhältnis zueinanderstehen soll. Im Rahmen der üblichen Investitionsrechnungen haben wir hier schon viele Erfahrungen gesammelt. Wir wissen, welche Mittel wir einsetzen und welche Verbesserungen wir erreichen können. Und das können wir gut monetär bewerten.
Autonome Systeme sind hier in vielen Bereichen Neuland. Eine Abschätzung ist oft nur sehr unzureichend möglich. Der Grund: Ein autonomes System soll seine Produktionsumgebung wahrnehmen, das Wahrgenommene verarbeiten und daraus Entscheidungen für den Produktionsprozess treffen. Es soll zudem auf Basis des Erlernten neue Möglichkeiten finden, um effizienter zu produzieren, Fehler zu vermeiden und Produktionsfragen selbstständig zu beantworten. Das verdeutlicht die Unschärfen auf der Aufwands- und Ertragsseite, die sich ihrerseits in die Effizienzberechnungen fortpflanzen.
VDI: Können Sie das noch etwas näher erläutern?
Roos: Lassen sie uns die Aufwandsseite betrachten: Hier ist zum einen der Aufwand für die Entwicklung und das Trainieren von autonomen Systemen, der mangels Erfahrungen nur schwer hinreichend genau quantifizierbar ist. Für das erfolgreiche Trainieren der Systeme ist wiederum die Datenqualität sehr wichtig. Zudem müssen genügend Daten zur Verfügung stehen.
Je nach Art des Trainings müssen diese Daten vorab noch qualifiziert werden. Beim überwachten Lernen wird zum Beispiel der Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangsdaten auf Basis bekannter Produktionsdaten trainiert. Fachleute müssen diese Daten qualifizieren. Beim unüberwachten Lernen braucht es einen großen Datenbestand, die die Systeme analysieren, um auf dieser Basis später Anomalien im Prozess zu erkennen.
Betrachtet man verschiedene Anlagentypen, etwa kontinuierliche Wasseraufbereitungsanlagen mit schnellen Abläufen in einer diskreten Fertigung, so wird klar, dass untrainiertes Lernen in nur einer Anlage der Wasseraufbereitung vergleichsweise langsam zu einer erfolgreichen Anwendung führen wird. Hier wird die Datensouveränität umso wichtiger.
VDI: Experten diskutieren Fragen der Datensouveränität schon seit längerer Zeit. Welche Rolle spielt sie für die Effizienz von autonomen Systemen?
Roos: Grundsätzlich können wir Daten aus unterschiedlichen Unternehmen und Maschinen geeignet zusammenfassen. Bei KI – und autonome Systeme basieren auf KI – müssen wir jedoch den Widerspruch auflösen, dass wir einerseits Daten in ausreichender Qualität für die Entwicklung und das Training der KI benötigen, andererseits jedoch die Datensouveränität der Owner berücksichtigen müssen.
Wir als Lieferant von Komponenten sind daran interessiert, möglichst viele Daten zur Performance unserer Komponenten zu bekommen. Über Original Equipment Manufacturer (OEM) gelangen diese Komponenten zum Endkunden. Wir müssen jetzt Endkunden und OEM davon überzeugen, Zugang zu den Performancedaten zu bekommen. Denn jeder Beteiligte in dieser Kette hat einen Nutzen vom Datenpooling.
Wir können Informationen zur Produktverbesserung gewinnen, die Performance bei unterschiedlichen Umgebungsbedingungen erfassen und auch Hinweise an OEM und Enduser geben – etwa bezüglich Anomalien im Produktionsprozess. Das gilt auch für den OEM mit seinem Liefer- und Leistungsumfang.
Der Anwender hat den Vorteil, durch die gezielte Detektion von Anomalien sich anbahnende Störungen frühzeitig zu erkennen und Produktionsstillstände zu vermeiden. Wir sollten uns daher besser abstimmen, wie und durch wen Daten administriert werden, anstatt zu diskutieren, wem die Daten gehören.
VDI: Und die Ertragsseite? In welchen Bereichen der Produktion sind denn in den Prozessindustrien erste Ansätze für autonome Systeme zu erwarten, inklusive entsprechender Effizienzsteigerungen?
Roos: Wir hatten hierzu während der diesjährigen NAMUR-Hauptsitzung eine Diskussionsrunde mit Anwendern aus Chemie-, Pharma- und auch Engineering-Unternehmen. Und wir waren über das große Interesse an autonomen Systemen in den Prozessindustrien überrascht. Etwa 110 Veranstaltungsteilnehmer haben mit Vertretern aus dem GMA-Vorstand in drei Gruppen verschiedene Aspekte diskutiert.
Zur Effizienz durch autonome Systeme wurden in der Diskussion verschiedene Themengebiete angesprochen. Die Anwender können sich beispielsweise vorstellen, dem Anlagenfahrer bei Störungen im Betrieb durch autonome Assistenzsysteme Hinweise zu geben, wie er das Problem in der Produktion beseitigen kann. Lösungsvorschläge basieren dabei auf entsprechenden Störungslösungen aus der Vergangenheit. Und als Perspektive: Klare Muster und ein historischer Datenbestand über Möglichkeiten der Störungsbehebung könnten dazu führen, dass das System die Störung autonom behebt.
Weitere Möglichkeiten der Effizienzsteigerung sahen die Veranstaltungsteilnehmer darin, die Produktionsdaten eines Batchbetriebs zu verknüpfen, um den Golden Batch zu ermitteln – unabhängig von den Erfahrungen der Anlagenfahrer. Die Analyse großer Datenmengen aus einer Produktion durch Künstliche Intelligenz wurde ebenfalls thematisiert. Sie soll Anomalien im Prozess früh erkennen und sich anbahnende Störungen und Produktionsausfälle vermeiden.
Paradebeispiel ist hier auch die Korrelation vollkommen unterschiedlicher Daten, etwa Geräusche und Schwingungen, deren Veränderung auf sich anbahnende Probleme hinweisen. Und natürlich war auch der demographische Wandel ein Diskussionsthema. KI als Basis autonomer Systeme kann auch hier unterstützen und Know-how-Verlust vermeiden, wenn diesen Systemen das Wissen erfahrener Anlagenfahrer antrainiert wird. Die Beispiele zeigen, dass in autonomen Systemen viel Effizienzpotenzial steckt, das aktuell jedoch nur unscharf kalkuliert werden kann.
VDI: Und wie kommen wir in der Implementierung weiter, um die Fragen von Effizienz und Wirtschaftlichkeit definitiv zu beantworten?
Roos: Wir werden Autonomie in den Anlagen nur schrittweise implementieren. Diese Schritte müssen in sich wirtschaftlich sein, denn kein Unternehmen wird in Richtung KI und autonome Systeme gehen, wenn diese Schritte nicht Geld verdienen oder sparen. Zudem gibt es in den Unternehmen noch eine gehörige Portion Skepsis. Hier gilt es, Vertrauen aufzubauen, indem der Nutzen in den kleinen Einzelschritten nachgewiesen wird: Dass autonome Systeme Ressourcen sparen, Ausfälle vermeiden, Stillstände verkürzen, Kosten sparen und die Arbeit im Unternehmen attraktiver machen.
VDI: Verlassen wir die Industrie und betrachten noch kurz das intensiv diskutierte Thema des autonomen Fahrens? Sind Ihre bisherigen Ausführungen darauf übertragbar?
Roos: Ja, die Ausführungen sind prinzipiell übertragbar, wenn man dies volkswirtschaftlich betrachtet. Eine Ertrags- und Aufwandsanalyse ist hier aber noch schwieriger. Denn wie bewertet man zum Beispiel den Tod eines Menschen im Straßenverkehr, der durch autonomes Fahren hätte vermieden werden können? Sicherlich unbestritten ist, dass die einzelnen Schritte in Richtung autonomes Fahren, wie z.B. Spurhalteassistenten oder Abstandskontrolle die Verkehrssicherheit erhöhen.
Trotzdem gibt es nach wie vor viele unfallbedingte Staus, beispielsweise durch überhöhte Geschwindigkeit oder Unachtsamkeit. Ich bin überzeugt, dass sich diese nach wie vor unbefriedigende Situation durch die nächsten Schritte in Richtung autonomes Fahren deutlich verbessern wird. Diese Schritte sind zum Beispiel die autonome Anpassung der Geschwindigkeit an Vorgaben, autonomes Setzen von Fahrtrichtungsanzeigern oder die Kommunikation mit Verkehrssteuerungseinrichtungen.
Die Folge sind flüssigere Verkehrsströme, weniger Unfälle und damit einhergehend weniger Staus, was auch die Emissionen reduzieren wird. Hier ist aber noch viel Überzeugungsarbeit für mehr Akzeptanz bei allen Verkehrsteilnehmern zu leisten. Und es wird eine intensive Debatte über die Bevormundung von Bürgerinnen und Bürgern durch den Zwang zum autonomen Fahren geben. Das ist übrigens eine weitere Hürde im Implementierungsprozess. Und die lässt sich ebenfalls nur unzureichend in Aufwands- und Nutzenberechnungen abbilden.
Das Interview führte Dr. Dagmar Dirzus
Redaktion: Thomas Kresser
Alle Interviews zur Serie finden Sie auf unserer Themenspecial-Seite: "KI und autonome Systeme - 10 offene Fragen".
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