Künstliche Intelligenz: Von „Unterstützer“ bis „Denker“
Heute erzeugt nahezu jeder technische Vorgang Daten. Tools der künstlichen Intelligenz erkennen darin wichtige Trends. Welche Anwendungen gibt es – und wie unterscheiden sich schwache und starke künstliche Intelligenz voneinander?
Künstliche Intelligenz (KI) erweitert die Möglichkeiten technischer Systeme, Aufgaben selbst zu lösen. Grundlage sind große Datenmengen („Big Data“) als Basis für Algorithmen. Beim maschinellen Lernen nutzen Systeme Beispiele, um später Muster oder Gesetzmäßigkeiten in unbekannten Datensätzen zu erkennen. Schwache KI entwickelt Lösungen für konkrete Fragestellungen, aber nicht darüber hinaus. Im Unterschied dazu soll starke KI Denkmuster von Menschen nachbilden und sogar übertreffen. Ein Blick auf aktuelle Projekte.
Intelligente Navigation
Zu den Aufgaben schwacher KI-Tools gehört schon heute, bei Navigationssystemen optimale Strecken zu ermitteln. Fahrer wünschen sich Informationen über Staus, Unfälle, Wetterkapriolen oder temporäre Geschwindigkeitsbegrenzungen. Neue Herausforderungen kommen bei der Elektromobilität hinzu – ein aggressiver Fahrstil verkürzt die Reichweite deutlich. Und wer Strecken mit vielen Höhenmetern umfährt, schont seine Batterien ebenfalls. Solche Aufgaben übernehmen heute KI-Algorithmen. Sie kommunizieren mit Cloud-Servern im Hintergrund.
Von KI-Tools profitieren nicht nur Fahrer, sondern auch Anbieter von Navigationssystemen wie TomTom, Here oder Google. Sie erstellen mit Laserscannern und 3-D-Kameras präzise Abbildungen der Umgebung. Kein Mensch könnte derart große Datenmengen analysieren, selbstlernende Bilderkennungsalgorithmen aber schon.
Zeichen- und Texterkennung
Von der Straße ins Archiv: Die automatische Texterkennung (OCR, Optical Character Recognition) funktioniert für moderne Schrifttypen bereits gut. Texte außerhalb dieser typographischen Norm machen jedoch Probleme.
Forscher der Julius-Maximilians-Universität Würzburg zeigten im Rahmen eines Modellprojekts, wie schwache KI dabei hilft, alte Schriften zu digitalisieren. Gängige OCR-Systeme haben Schwierigkeiten, bei alten Lettern ein e vom c oder ein v vom r zu unterscheiden. Anhand von Testdaten „lernte“ die Software OCR4all, solche Unterschiede zu erkennen. In einer Fallstudie mit sechs historischen Drucken konnte die Fehlerquote von 3,9 auf 1,7 Prozent gesenkt werden.
Automatische Übersetzungen
Schwache künstliche Intelligenz revolutioniert auch maschinelle Übersetzungen, etwa beim deutschen Technologieunternehmen DeepL. In den letzten Jahren haben die Entwickler mehr als eine Milliarde hochqualitativer Übersetzungen zusammengetragen – als Basis, um ihr System zu trainieren.
DeepL selbst läuft auf einem Supercomputer in Island, der 5,1 PetaFLOPS, also 5,1 x 1015 Operationen pro Sekunde ausführen kann. Neuronale Netzwerke auf dem Rechner schauen sich viele Übersetzungen an und lernen selbständig, wie man grammatikalisch korrekt übersetzt und gute Formulierungen wählt. Für User ist die Sache denkbar einfach. Sie kopieren Content in ein Webformular und erhalten nach wenigen Sekunden ihren Übersetzungsvorschlag.
Bildanalysen in der Medizin
Um große Datenmengen geht es nicht nur bei Texten, sondern auch bei ärztlichen Untersuchungen. Mikroskope, Magnetresonanz- oder Computertomographen liefern im Rahmen der Diagnostik viel Bildmaterial. Beispielsweise werden Hornhautzellen des Auges in mikroskopischen Aufnahmen manuell gezählt, um Erkrankungen zu erkennen. Nur routinierte Augenärzte können solche Fotos richtig auswerten, sie brauchen aber Zeit. Unerfahrenen Kollegen passieren eher Fehler.
Ein Fall für die Technik: Freiburger Wissenschaftlern ist es gelungen, solche Aufgaben an KI-Systeme zu „delirieren“. Ihr Tool U-Net wurde mit Testdaten „trainiert“ und hat selbstlernende Eigenschaften, wie eine Studie mit 385 mikroskopischen Aufnahmen gesunder und kranker Augen gezeigt hat. Die Bilder waren bewusst zum Teil in schlechter Qualität. Trotzdem schnitt U-Net ähnlich gut ab wie erfahrene Augenärzte. Die Ergebnisse lagen nach wenigen Sekunden vor, während Behandler mehrere Minuten benötigten.
Starke KI – vom Wunsch zur Wirklichkeit
Während die bislang vorgestellten Tools aus dem Bereich der schwachen KI kommen und nur spezifische Fragestellungen bearbeiten, ahmt starke KI kognitive menschliche Fähigkeiten nach. Anwendungen sollen logische Denkvorgänge simulieren, Entscheidungen selbst in unklaren Situationen treffen und mit Anwendern kommunizieren.
Was nach Science-Fiction klingt, könnte bald Realität werden, etwa im Bereich der Pflege. Unsere Gesellschaft altert, und Fachkräfte fehlen. Andere Industrienationen klagen über ähnliche Probleme. Deshalb arbeiten japanische Ingenieure seit Jahren an Pflegerobotern. Frühe Entwicklungen kamen aus dem Bereich der schwachen KI. Sie erinnerten an die Einnahme von Medikamenten, halfen beim Telefonieren oder lasen Texte vor.
Starke KI-Systeme erkennen Stürze und helfen Senioren beim Aufstehen. Sie können auch über Wearables Vitalparameter auswerten und selbstständig Ärzte verständigen. Derzeit laufen mehrere Studien. Experten rechnen in weniger als zehn Jahren mit praxistauglichen Pflege-Hominiden.
Text: Michael van den Heuvel