Inkonsequenz bremst Recyclingbeton
Wiederverwertung scheint das Gebot der Stunde, doch Recyclingbeton wird in Deutschland nur in geringen Mengen eingesetzt. Woran liegt das und was müsste sich ändern?
Etwa 26 Milliarden Tonnen mineralische Materialien sind in Deutschland verbaut, davon 13,8 Milliarden Tonnen im Hochbau und 12,3 Milliarden Tonnen im Tiefbau. Jährlich fallen dabei 60 Millionen Tonnen an recyceltem Bauschutt durch Abbruch und Rückbau an. Aber lediglich etwa 0,6 Millionen Tonnen werden als Zuschlag zur Betonherstellung eingesetzt. Über Ursachen dafür sprachen wir mit Prof. Peter Jehle, der auch Gründer eines auf Abbruch, Rückbau, Altlasten und Gebäudeschadstoffe spezialisierten Ingenieurbüros ist.
Herr Prof. Jehle, warum steckt die Benutzung von Recyclingbeton in Deutschland noch in den Kinderschuhen?
Peter Jehle: Wir haben starke Gegenströmungen schon seit Mitte der 1980er-Jahre, als sich insbesondere die Erden-Stein-Industrie gegen den Einsatz von Recyclingbeton, aber auch Recyclinggranulat gewandt hat. Man hat ihm wenig Beständigkeit zugetraut und Unzuverlässigkeit zugewiesen. In jüngster Zeit kommt noch hinzu, dass bei mineralischen Abfällen bereits Recyclingquoten von 90 Prozent und mehr genannt werden. Dabei landet Betonbruch, der als Grundlage für die Herstellung von Recyclingbeton sehr gut geeignet wäre, im Straßenunterbau, in Verfüllungen oder in Baugruben, wird also nicht so hochwertig verwendet, wie es möglich wäre. Solche „Downcycling“-Anwendungen behindern die Innovation!
Wie könnte es besser gehen?
In den USA, Belgien oder der Schweiz werden bis zu 15 Prozent der Betonmengen als Recyclingbeton verbaut. Die Schweizer machen es uns beispielsweise vor, sie haben viel mehr experimentiert und einfach gesagt: Wir ersetzen Teile der natürlichen Rohstoffe durch Recyclingmaterial. Deshalb gibt es dort auch – je nachdem, welche Ansprüche wir an das Produkt stellen – ganz unterschiedliche Mischungsverhältnisse, die dazu führen, dass heute eigentlich nicht mehr gefragt wird „Ist das Recyclingbeton oder Beton aus natürlichen Gesteinskörnungen?“, sondern es wird nur noch die Qualität abgefragt.
Sollten wir die Schweiz also als Vorbild für uns nehmen?
Ich vergleiche gerne mit der Schweiz, weil die Normung inhaltlich in vielen Fällen identisch mit unserer ist. Ein Schweizer hat zu mir mal gesagt: In Deutschland sind die Transportkosten noch viel zu gering; man müsste das mit höheren Mautkosten belegen, dann würde man nicht so viel natürlichen Rohstoff spazieren fahren. Wir haben auch einfach „zu viele“ Ressourcen, noch sind ja tatsächlich riesige Lagerstätten vorhanden. Aber ich warne davor, die einfach auszubeuten und damit das Land unserer Kinder zu verkaufen.
Der Druck auf die Bauindustrie, mehr zu recyceln, wächst doch derzeit enorm. Beginnt da jetzt ein Umdenken?
Hauptsächlich werden noch die Bälle hin und her geschoben. Die Recyclingbetriebe fordern die Auftraggeber auf, Recyclingbeton in die Ausschreibungen mit aufzunehmen, die Bauherren mahnen zuverlässige Qualitäten an, die Lieferanten lehnen die Gewährleistung ab und so weiter. Das ist das Spiel, das bei uns getrieben wird: Auf der einen Seite bekommen die Recycler das Material dank der großen Nachfrage nach Verfüllung im Markt leicht unter, auf der anderen Seite haben bei uns Recyclingbetone den Ruf, etwas teurer zu sein.
Gibt es solche Probleme nur bei Projekten, bei denen die Beteiligten wenig Erfahrung haben?
In meinem Büro bearbeiten wir in Nordrhein-Westfalen ein Vorhaben des Landschaftsverband Rheinland (LVR), in dem wir circa 35 000 Tonnen Material gewinnen. In der Ausschreibung haben wir einen Recycler als Entsorger vorgegeben und zuerst geplant, dass dieser daraus anschließend zusammen mit einem großen Zement- und Transportbetonhersteller Recyclingbeton aus unserem eigenen Material zurückliefert. Aber das scheitert einfach daran, dass einerseits der Recycler hinter vorgehaltener Hand sagt, dass er gar nicht die Fläche hat, das Material solange auf Halde zu legen, und andererseits der Betonhersteller zwar versichert, auch Betone liefern zu können, die die laut DAfStb-Richtlinie (Deutscher Ausschuss für Stahlbeton) zugelassene Qualität deutlich übertreffen, aber Kunden, die solches Material beziehen, die volle Gewährleistung übernehmen müssen. Ein privater Bauherr kann das Risiko vielleicht im Hinblick auf ein dadurch erreichbares grünes Siegel eingehen, aber einem öffentlichen Auftraggeber kann man das im Grunde nicht empfehlen.
Reichen die existierenden Normen und Vorschriften, um die nötige Qualität zu garantieren?
Die Standards sind noch nicht ausreichend. Das Land Berlin hat zum Beispiel jetzt über Merkblätter das Recyclen beziehungsweise das Wiederverwenden der Materialien verbindlich vorgeschrieben. Diesen Weg müssten wir bundesweit, ja vielleicht über unsere Grenzen hinaus gehen. Bei uns wird zwar beispielsweise über das Kreislaufwirtschaftsgesetz, die Abfallverordnungen, die Ersatzbaustoffverordnung oder die Gewerbeabfallverordnung das Recycling gefordert, aber nicht konsequent.
Ist die Trennung der Fraktionen beim Abbruch ausreichend?
Beim Abbruch hätten wir viele Möglichkeiten, die Stoffströme zu kanalisieren. Aber dort ist der Gesetzgeber mit der letzten großen Änderung der Musterbauverordnung dazu übergegangen, dass Abbrucharbeiten meist nicht mehr genehmigungspflichtig sind, und damit wurde das Instrument der Kontrolle aus der Hand gegeben. Die Politik wollte die Formalitäten vereinfachen und reduzieren. Aber gerade in sensiblen Bereichen darf man auf solche Steuerungselemente nicht verzichten, weil dadurch der Blick auf die eigentlichen Anforderungen, beispielsweise die Abfallsortierung, komplett verloren geht. Wenn es Genehmigungsverfahren gäbe, würde sich zeigen, dass manche Planer ihre Arbeit leichtfertig oder aus Unwissenheit mangelhaft erledigen. Und man könnte auf der Ausführungsseite bei der Industrie mangelnde Umsetzung der Vorgaben kontrollieren. Aber wenn es nur eine Anzeigepflicht gibt, reicht es am Schluss, zum Abfallkonzept eine Abfallbilanz einzureichen, die nicht viel mehr wert ist als das Papier, auf dem sie steht.
Sollten wir da wieder zur alten Regelung zurück?
Da wieder mehr Transparenz herzustellen könnte die Politik relativ schnell leisten. In dem Moment, wo die Antrags- und Genehmigungsunterlagen ein hohes Niveau abverlangen, ist auch der Planer und Bearbeiter gezwungen, sich kundig zu machen und sich fortzubilden. Das ist leider entfallen, das hat man komplett herausgenommen. Der Auftraggeber verweist auf den Unternehmer, der jedoch entgegnet, dass der Auftraggeber keine Vorgaben macht – das führt am Ende immer zu einer mangelhaften Sortierung und zu Downcycling. Hinzu kommt erschwerend, dass Schadstoffe, sofern sie nachgewiesen werden, eigentlich nicht in den Kreislauf zurückgeführt werden dürfen. Gerade die hydraulische Bindung bei Altlasten ist der Klassiker, was die Immobilisierung von Schadstoffen angeht. Diese Immobilisierung wäre auch bei der Herstellung von Recyclingbeton einfach möglich; einzelne Betonwerke haben die Zulassung, auch schadstoffbelastetes Material aufzuarbeiten.
Also sind wir da eher zu vorsichtig? Ziegel enthält auch immobilisierte Schadstoffe und hat trotzdem einen guten Ruf.
Da gebe ich Ihnen völlig recht. Wir haben im Tongestein in den feinkörnigen Fraktionen geogene Schadstoffe als Hintergrundwerte, teilweise weit über den Grenzwerten, die ansonsten vorgegeben sind, aber diese Schadstoffe sind eben durch den Ziegelbrand nicht mobil. Auch beim Beton müsste einfach mal untersucht werden, inwieweit dort die Schadstoffe zu immobilisieren sind. Dies würde schon einen riesigen Berg an Bedenken im Vorfeld abbauen, der immer wieder dazu führt, dass Recycling abgelehnt wird, weil wir einfach zu vorsichtig sind.
Wo lassen sich Verbesserungen erreichen?
Zunächst müsste die Industrie ohne Vorbehalte aufzeigen, was sie tatsächlich leisten kann, und darauf hinwirken, dass dies in der Regelsetzung umgesetzt wird. Und die Politik müsste strikte Vorgaben machen, wie mit den Materialien umzugehen ist. Wir haben in anderen Industriebereichen – Kunststoffe, Papier, Glas etc. – relativ strikte Vorgaben, um den Kreislauf zu schließen. Das fehlt uns im Grunde bei den mineralischen Baustoffen. Derzeit läuft die Normungsroadmap Circular Economy, in der es auch eine Arbeitsgruppe „Bauwerke & Kommunen“ gibt. Alle großen Regelsetzer – DIN, DKE und VDI – haben sich hier zusammengetan und wollen bis Ende des Jahres ein Dokument liefern, das ein starkes Signal auch nach Berlin geben wird.
Wäre es eine zu starke Gängelung, wenn bei Neubauten die Verwendung von Recyclingmaterial verbindlich gefordert würde?
Das wäre schon der richtige Weg, um den Markt zu schaffen. Wir können sicher nicht unsere natürlichen Rohstoffe durch solches „Urban Mining“ komplett ersetzen, aber nach und nach einzelne Produkte substituieren. Die Frage ist nur, wer es dann wirklich macht. Wir haben schon die Vorgabe, dass öffentliche Auftraggeber Recyclingkörnungen einsetzen sollen. Aber da herrscht oft die Meinung vor: Warum soll ich mir ein schlechteres Produkt herholen, wenn ein natürliches Produkt verfügbar ist? Hier wird nicht nach der Eigenschaft oder der vergleichbaren Leistungsfähigkeit gefragt.
Trotz aller Hemmnisse: Gibt es Gründe, optimistisch zu sein?
Ich habe schon die Hoffnung, dass wir weiterkommen, schon weil wir jetzt vermehrt über Recyclingbeton sprechen. Jahrelang hieß es oft, die Elastizitätsmodule von Recyclingbeton sind zu schlecht, aber es gibt genügend Bauteile ohne Biegebeanspruchung, wo nur Druck benötigt wird, und da lässt sich Recyclingbeton durchaus einsetzen. An hochbelasteten Knoten, an Stützen oder Decken benötigen wir höhere Qualitäten als im Deckenfeld; Betone unterschiedlicher Qualitäten werden eingesetzt und das ist alles „nass in nass“ möglich. „Wenn es bei Abbrucharbeiten Genehmigungsverfahren gäbe, würde sich zeigen, dass manche Planer ihre Arbeit leichtfertig oder aus Unwissenheit mangelhaft erledigen.“
Das Interview ist im Bauingenieur 4/2022 erschienen.
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Das Interview führte Dr. Karlhorst Klotz, Redaktion Bauingenieur.
Über Prof. Jehle:
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Peter Jehle hat konstruktiven Ingenieurbau an der Universität Stuttgart studiert und dort 1989 promoviert. 1995 gründete er das Ingenieurbüro für Projektplanung und Projektsteuerung ipp in Hügelsheim/Baden-Baden, in dem er seither tätig ist. Seit 2001 ist er Professor für Bauverfahrenstechnik am Institut für Baubetriebswesen der TU Dresden. Er arbeitet in zahlreichen Fachgremien und Verbänden mit, darunter in Richtlinienausschüssen des VDI und beim DIN, und ist stellvertretender Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Bauwerke & Kommune“ der Normungsroadmap Circular Economy von DIN, DKE und VDI.
Fachlicher Ansprechpartner im VDI:
Dipl.-Ing. (FH) Frank Jansen
VDI-Gesellschaft Bauen und Gebäudetechnik
E-Mail: jansen_f@vdi.de