Ingenieurinnen in Ost und West
Die Wende in Deutschland liegt nun 30 Jahre zurück; die vielfältigen Enttäuschungen und Brüche im Lebenslauf, die gerade die DDR-Ingenieurinnen in der Wendezeit erfahren haben, lassen sich heute mit einem gewissen Abstand betrachten und diskutieren. Wir sollten überlegen, was aus diesen Erfahrungen gelernt werden kann.
Die Situation von Frauen und damit auch Ingenieurinnen war in den beiden Teilen Deutschlands sehr unterschiedlich. Im Westen war das Leitbild der Hausfrauenehe und Zuverdienerin, auch gesetzlich, vorherrschend. Frauen, die sich für sogenannte Männerberufe, sei es in der Ausbildung oder im Studium, entschieden, wurden bestenfalls bestaunt, immer hinterfragt, oft als unnormal angesehen.
Sollten sie auch noch Kinder haben und ohne wirtschaftliche Not, das bedeutet mit einem Ehemann, weiterarbeiten, lernten sie den Begriff Rabenmutter sehr genau kennen. Zudem gab es wenig Kinderbetreuungseinrichtungen, grundsätzlich Halbtagsschulen ohne Essensangebot für die Kinder und wenige gesetzliche Erleichterungen für arbeitende Mütter – also eine fast strukturelle Unvereinbarkeit von Beruf und Familie.
Das war in der DDR anders, einmal aufgrund der sozialistischen Ideologie, mehr aber wegen des drastischen Arbeitskräftemangels, der sich aus den Fluchtbewegungen ergeben hatte. Dabei wurden die rechtliche Gleichstellung der Frau sowie die berufliche Integration von Frauen schon als faktische Gleichstellung betrachtet – eine Ansicht, die vielen Bürger*innen übernahmen. Arbeit war selbstverständlicher Bestandteil der Selbstdefinition und des Selbstbewusstseins der Frauen. Sie waren ökonomisch nicht von ihren Partnern abhängig.
Ebenso waren Kinder selbstverständlich für das Selbstbild von Frauen. Viele der Kolleginnen haben Kinder und diese Kinder sehr früh, oft im Studium, bekommen. Dennoch: Die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie war vorrangig Aufgabe der Frauen, die Identität von Männern wurde dadurch nicht verändert. Oder anders ausgedrückt: Diese „patriarchale Gleichberechtigung“ war für Frauen gemacht, aber nicht von Frauen erkämpft.
Keine gesetzliche Unterstützung für arbeitende Frauen mehr ab der Nachwendezeit
Der Anteil von Frauen in den Ingenieurberufen war mindestens doppelt so hoch wie im Westen. Die Ingenieurinnen sahen sich als Fachfrauen anerkannt und wertgeschätzt. Aber auch in der DDR existierten Frauen-Branchen und Männer-Branchen. Es gab Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen, und die Aufstiegschancen für Frauen waren auch in der DDR beschränkt, was sich mit der Doppelbelastung der Frauen durch Beruf und Familie zum Teil erklären lässt.
Die Nachwendezeit war nur elf Monate lang. In dieser Zeit fiel die „Frauenfrage“ unter den Tisch. Die entsprechenden Gesetze und Regelungen aus der Bundesrepublik wurden also fast unwidersprochen übernommen. Aufgegeben wurden unter anderem die folgenden Privilegien:
- der Anspruch auf Kinderbetreuung (der Versorgungsgrad betrug 90 Prozent)
- die umfangreiche Unterstützung beim Studium mit Kindern
- der Haushaltstag
- der erhöhte Urlaubsanspruch für Mütter
- die Freistellung zur Pflege kranker Kinder
- die freie Schwangerschaftsunterbrechung bis zur 12. Woche
- die kostenfreie Pille
Bei einigen dieser Punkte hat es Jahrzehnte gedauert, bis entsprechende Regelungen wieder erkämpft werden konnten.
Zweifel an fachlicher Kompetenz von Ingenieurinnen
Für viele Ingenieurinnen war die Wendezeit bitter: Da viele Industrien abgebaut wurden, kam es zu großen Entlassungswellen. Dabei wurde von den oft westdeutschen Managern selbstverständlich das ihnen bekannte Ernährermodell angewandt: Eher wurde dem Mann als der Frau ein Arbeitsplatz erhalten.
Zudem wurden gerade Ingenieurinnen in ihrer fachlichen Kompetenz angezweifelt. Auf dem Arbeitsamt „bot“ man ihnen oft eine Umschulung an, da es „Ingenieurinnen im Westen nicht gibt“. Das hat dazu geführt, dass der Anteil von Ingenieurinnen, die nach der Wende in den neuen Ländern im Beruf bleiben konnten, gering ist. Viele mussten unterqualifiziert arbeiten, wurden umgeschult oder gingen in westlichen Bundesländer, wenn sie noch jung genug waren.
Diese Erfahrungen haben sich dann auch schnell zu den jungen Frauen herumgesprochen. Die Anteile von Frauen in Ingenieurstudiengängen sind heute in den neuen Ländern genauso so hoch oder niedrig wie in den alten. Der Gender Pay Gap, den es in der DDR durchaus auch gab, wenn auch in geringerem Umfang, passt sich in den neuen Ländern dem Stand in den alten Ländern an.
Ingenieurinnen in den neuen Ländern stehen einer etwas feministischen Diskussion der Strukturen, die Ungleichheit begründen, immer noch sehr skeptisch gegenüber. Sie selbst oder auch ihre Elterngeneration haben aus ihrer Sicht schon Geschlechtergleichheit erlebt; es müssten nur die entsprechenden Rahmenbedingungen (wieder) geschaffen werden und dann kann dies auch wieder erreicht werden.
Allerdings werden derzeit viele mühsam erreichte Fortschritte nach der Wende in der Corona-Krise wieder aufgegeben. Die Soziologin Jutta Allmendinger befürchtet, dass die Gesellschaft hinsichtlich der Rolle der Frauen 30 Jahre zurückgeworfen wird, und sie meint sicher nicht in die DDR-Zeiten, sondern in die Zeiten des Hausfrauenmodells des Westens. Diesmal sollten wir gemeinsam dagegen an kämpfen.
Autorin: Burghilde Wieneke-Toutaoui
Ansprechpartnerin im VDI:
Tina Schaafs
VDI-Netzwerk Frauen im Ingenieurberuf
E-Mail-Adresse: schaafs@vdi.de