Gelingt die Mobilitätswende mit dem Corona-Konjunkturpaket?
Am 03. Juni hat sich der Koalitionsausschuss auf Eckpunkte eines Konjunkturpakets geeinigt. Um die Corona-Krise zu überwinden oder wenigstens abzuschwächen, wurden Maßnahmen in Höhe von rund 130 Milliarden Euro festgeschrieben. Laut Bundesfinanzministerium werden zur „Modernisierung des Landes" zahlreiche „Zukunftsinvestitionen und Investitionen in Klimatechnologien“ geplant. Eine große Rolle spielt auch der Mobilitätssektor. Im Eckpunktepapier ist von nachhaltiger Mobilität die Rede, sogar von einer Mobilitätswende. Die Fachbereiche der VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik bewerten, ob sich die geplanten Investitionen aus technischer Sicht sinnvoll einsetzen lassen.
Moderne Flugzeuge für weniger CO2-Emissionen
Die Corona-Krise hat die Luftfahrtindustrie, besonders im zivilen Bereich, stark getroffen und wird die gesamte Branche nachhaltig beeinflussen. Nicht nur die stark verminderte Wirtschaftsleistung wird zu tiefgreifenden Einschnitten und nicht absehbaren Veränderungen führen. In den kommenden Jahren wird sich auch das weltweite Reiseverhaltens in Kombination mit erforderlichen Infektionsschutzmaßnahmen für Flugreisende anpassen.
Als eine der führenden Nationen im Luftfahrtbereich muss Deutschland trotz oder vielmehr aufgrund der weltweiten Verzahnung auf die verschlechterte weltwirtschaftliche Lage reagieren. Es muss entsprechende Hilfsprogramme schnell, zielgerichtet und vor allem mit nachhaltiger Wirkung auf den Weg bringen.
Der Koalitionsausschuss hat beschlossen, moderne Flugzeuge neuester Bauart zu fördern, die bis zu 30 Prozent weniger CO2 und Lärm emittieren, und so eine beschleunigte Umstellung von Flugzeugflotten auf derartige Flugzeuge zu unterstützen. „Diese Entscheidung begrüßen wir“, so Marc Fette, Vorsitzender des Fachbeirats Luft- und Raumfahrttechnik sowie Chief Operating Officer der Composite Technology Center / CTC GmbH (an AIRBUS Company).
„Die geplante Unterstützung und Beschleunigung der Flottenmodernisierung durch den Einsatz von Luftfahrzeugen neuester Bauart ist einerseits ein guter Weg die deutsche sowie europäische Luftfahrtindustrie wirtschaftlich zu stärken, Arbeitsplätze zu sichern und die Wirtschaftskraft der zahlreichen Unternehmen in diesem Sektor zu beflügeln. Anderseits kann so ein signifikanter Beitrag zur Minimierung der Schadstoff- und Lärmemission von Flugzeugen erzielt werden, der kurz- bis mittelfristig zu einer ökologisch effizienteren und nachhaltigeren zivilen Luftfahrt führen wird“, so Fette.
Luftfahrt in der nationalen Wasserstoffstrategie
Neben der Flottenmodernisierung findet sich ein weiterer Passus zur Luftfahrt im Abschnitt zur nationalen Wasserstoffstrategie. Der direkte Einsatz von grünem Wasserstoff in Flugzeugantrieben soll ebenso gefördert werden wie die Entwicklung von Konzepten für „hybridelektrisches Fliegen“ (Kombination von Wasserstoff/Brennstoffzellen/Batterietechnologie).
„Mittel- bis langfristig kann die beschleunigte Initiierung und stringente Verfolgung einer nationalen Wasserstoffstrategie die Zukunftsfähigkeit und Nachhaltigkeit der zivilen Luftfahrt in Deutschland und auch Europa durch die Förderung des direkten Einsatzes von grünem Wasserstoff in Flugzeugantrieben und die Entwicklung von hybridelektrischen Antriebskonzepten steigern. Aufgrund der hohen Energiedichte des Wasserstoffs sind entsprechende Antriebssysteme besonders für größere Verkehrsflugzeuge interessant, obgleich ein erheblicher Forschungs- und Entwicklungsbedarf bei der Erarbeitung sicherer, effizienter und nachhaltiger Konzepte zur Bereitstellung, Speicherung und Nutzung existiert.“ erläutert Marc Fette.
„Darüber hinaus sollten die zuvor genannten Hilfs- und Förderaktivitäten unbedingt mit der zielgerichteten Unterstützung der Digitalisierung der gesamten Wertschöpfungskette und -ebenen in der Luftfahrt einhergehen, um die Innovationskraft dieses Industriesektors in Deutschland und nicht zuletzt in Europa zu erhalten und dessen zukünftige Wettbewerbsfähigkeit zu sichern", so Fette. Auf diese Art und Weise könne die nächste Generation von Flugzeugen und die Zukunft des Fliegens durch die Förderung von technischen Innovationen und unter Beachtung ökonomischer Effizienz und ökologischer Nachhaltigkeit wirksam durch die Bundesregierung eingeläutet und unterstützt werden.
Zu niedrige Kaufpreisgrenze für Innovationsprämie
Weniger positiv werden die Beschlüsse bezüglich der Antriebstechnologien im Automobil gesehen. „Mit dem Konjunkturpaket hat sich die große Koalition äußerst stark hinsichtlich der Förderung der Elektromobilität mit Batteriespeicherung ausgesprochen, statt langfristig auf mehrere Lösungen mit Technologieoffenheit zu setzen.“ so Ralf Marquard, Vorsitzender des VDI-Fachbeirats Antrieb und Energiemanagement sowie Geschäftsführer von LHP Europe.
Das Eckpunktepapier stellt batterieelektrische Antriebe per se als umweltfreundlichere Variante dar. „Hierbei wird nicht erkannt, dass bei unserem Strom-Mix in Deutschland heute und in den folgenden Jahren, die Elektrofahrzeuge zumindest die nächsten zehn Jahre hinsichtlich ihrer CO2-Emissionen mehr Schaden anrichten als die Verbrennungsmotoren. Dabei ist die CO2-Bilanz durch Herstellung der Batterien sowie die enormen CO2-Emissionen, hervorgerufen durch Schaffung einer gewaltigen Infrastruktur zur Bereitstellung von Ladesäulen, noch nicht mitgerechnet.“ sagt Ralf Marquard.
Prof. Dr.-Ing. Thomas von Unwerth, Mitglied des VDI-Fachbeirats Antrieb und Energiemanagement sowie Professor für Alternative Fahrzeugantriebe an der TU Chemnitz, ergänzt.: „Die begleitenden Maßnahmen für klima- und umweltfreundlichere Mobilität im Konjunkturpaket sind stark ausgerichtet auf Ladesäulen-Infrastruktur und Batteriezellfertigung. Brennstoffzellen und auch E-Fuels finden dabei keine Berücksichtigung, obwohl diese weitere wichtige Eckpfeiler für Nachhaltigkeit, Klimaschutz und die Zukunft unseres Wirtschaftsstandorts bilden und es auch eine separate Wasserstoffstrategie gibt. Ziel sollte eigentlich sein, mit diesem Konjunkturpaket nicht nur kurzfristig favorisierten Technologien zum Durchbruch zu verhelfen, sondern auch langfristig neue zukunftsfähige Wirtschaftszweige verbunden mit neuen Arbeitsplätzen zu schaffen.“
Langfristig gilt es Fahrzeugantriebe zu gestalten, die einerseits über den gesamten Lebenszyklus signifikante CO2-Absenkungen erzielen und andererseits vor allem in belasteten Städten die Schadstoffemissionen weiter absenken. Kurzfristig sind CO2-Emissionen jedoch nur mit einem Mix verschiedenster moderner Antriebsarten zu senken.
Dazu gehören auch Diesel und Benziner der neuesten Generation sowie die Brennstoffzelle. „Um den Erwerb von bereits in sehr kleinen Stückzahlen verfügbaren und deswegen noch teuren Brennstoffzellenfahrzeugen zu unterstützen, liegt die Kaufpreisgrenze für den Erhalt der Innovationsprämie bei 40.000 Euro zu niedrig.“ so Thomas von Unwerth.
Laut VDI-Statusreport Luftqualität und Fahrzeugantriebe können Elektromobilität und alternative Antriebsquellen wie Gas oder Brennstoffzellen einen Beitrag zur Senkung der Schadstoffemissionen vor Ort in den Belastungsgebieten leisten. Also wird sich im Straßenverkehr der Anteil der PKW und Lieferfahrzeuge mit elektrischen Antrieben stetig erhöhen. Diese werden vor allem mit Batterien zur Speicherung der elektrischen Energie ausgerüstet werden.
Für diesen Schritt sind signifikante Fortschritte im Ausbau der Ladeinfrastruktur nötig. Zudem muss die Energieerzeugung auf regenerative Energiequellen, wie Wasser-, Windkraft und Solaranlagen, deutlich erweitert werden. Und die Stromverteilung von der Erzeugung zu den Verbrauchern muss durch zusätzliche Trassen verbessert werden. Dies stellt eine große Herausforderung für Investitionsgeber und Genehmigungsbehörden dar.
Schnelle Umsetzung bei der Modernisierung des Schienennetzes
Beim Thema Bahntechnik hält sich der gefundene Kompromiss vergleichsweise bedeckt. Nur von einer Eigenkapitalerhöhung für die Deutsche Bahn ist die Rede. Das zur Verfügung gestellte Geld soll für die Modernisierung, den Ausbau und die Elektrifizierung des Schienennetzes und das Bahnsystem investiert werden.
„Die Eigenkapitalerhöhung der Deutschen Bahn ist zu begrüßen. Die Modernisierung und der Ausbau des Schienennetzes ist notwendig und sollte schnell erfolgen, da die negativen Auswirkungen von Baustellen reduziert werden können, wenn – wie momentan – weniger Verkehr unterwegs ist.“ so Univ.-Prof. Dr.-Ing. Nils Nießen, Vorsitzender des VDI-Fachbeirats Bahntechnik und Professor für Schienenbahnwesen und Verkehrswirtschaft an der RWTH Aachen.
Infrastrukturverbesserungen und Modernisierung für die Schifffahrt
Im Eckpunktepapier des Koalitionsausschusses heißt es, dass man neben der Bahn auch die Schifffahrt als klimafreundliches Verkehrsmittel stärken, modernisieren und digitalisieren möchte.
„Der Schiffstransport spielt vor dem Hintergrund eines Industrie- und Handelsstandorts Deutschland eine zentrale Rolle, sowohl im See- als auch im Binnenverkehr. Es freut uns selbstverständlich, dass die maritime Industrie bei diesem Konjunkturprogramm berücksichtigt wurde. Bereits im Jahr 2018 machte der VDI-Fachbeirat Schiffbau- und Schiffstechnik in seiner Agenda deutlich, welches die wichtigsten Handlungsfelder für die Zukunft sind. Es gibt keine Divergenz zwischen Inhalten des Konjunkturpaketes und der Arbeit des VDI.“ so Peter Dibowski, stellvertretender Vorsitzender des VDI-Fachbeirats Schiffbau und Schiffstechnik und Vorstand (Ressort Wirtschaft) des VDI Hamburger Bezirksvereins.
Peter Dibowski findet aber auch mahnende Worte: „Natürlich ist es notwendig, die deutschen Wasserstraßen, die in die Jahre gekommen sind, zu modernisieren, zu sanieren und wo nötig Schleusen zu erneuern oder Hafenanlagen für die Zukunft fit zu machen. Geld dafür war auch schon in der Vergangenheit vorhanden und konnte nicht genutzt werden. Da wäre zum Beispiel die Bundesanstalt für Wasserbau. Diese konnte wegen fehlender Planungs- und Realisierungskapazitäten die notwendigen Maßnahmen nicht in der gewünschten Form umsetzen, weil einfach nicht genug Fachkräfte zur Verfügung standen. Die Frage bedeutet hier also nicht zuerst mehr Geld in den Topf zu werfen, sondern wo bekomme ich gute Fachkräfte für öffentliche Aufgaben her, die dann das Geld kurzfristig und sinnvoll verbauen? Wie motiviert man die notwendigen Fachkräfte für einen wichtigen öffentlichen Auftraggeber zu arbeiten?“
Probleme bei der Umsetzung sauberer Schifffahrt gibt es vermehrt. Dies gilt auch für das Thema Landstrom oder den Einsatz von Flüssigerdgas (LNG) als alternativen und emissionsärmeren Kraftstoff. Beides Themen, die durch das Konjunkturprogramm angegangen werden sollen. Peter Dibowski hierzu: „Geld kann helfen, die positiven Effekte etwa aus einem LNG-Antrieb zu beschleunigen, aber es müssen auch die formalen Voraussetzungen für den Einsatz hergestellt werden. Vorschriften sollen Sicherheit geben und nicht die Anwendung verhindern. Wenn hier kurzfristig geholfen werden soll, dann ist eine Überprüfung der bestehenden Vorgaben notwendig sowie deren zeitgemäße Anpassung. Mit vielen Expertinnen und Experten versucht hier der VDI im Rahmen der Erarbeitung einer VDI-Richtlinie einen Überblick zu bekommen, wie die Lage derzeit ist um daraus Vorschläge abzuleiten.“
Fazit zur Mobilität
Außer bei der einseitigen Förderung der batterieelektrischen Elektromobilität als Antriebstechnologie sieht der VDI über alle Verkehrsträger hinweg viel Positives im Konjunkturprogramm des Koalitionsausschusses. Ob jedoch die erhoffte Mobilitätswende damit eingeläutet ist, wird die Zukunft zeigen und hängt maßgeblich an der Verteilung der Gelder und der funktionierenden Umsetzung.
Autor: Simon Jäckel
Ansprechpartner im VDI:
Dipl-Ing. Simon Jäckel
E-Mail-Adresse: jaeckel@vdi.de
VDI-Publikationen zum Thema:
VDI-Statusreport Luftqualität und Fahrzeugantriebe
Flyer Fokusthema Zirkuläre Wertschöpfung - Antriebe für die Mobilität der Zukunft