Fernwärme über die Flusswärmepumpe
Rheinwasser als Wärmequelle – das Mannheimer Energieunternehmen MVV nutzt eben diese Energie durch den Bau einer Flusswärmepumpe. Wie sie funktioniert und wie die Versorgung von Haushalten aussieht, ordnet VDI-Experte Markus Blesl ein.
Klimaneutrale Wärme erzeugen zählt zu den größten Herausforderungen unserer Zeit. Es existieren bereits Möglichkeiten, grüne Wärme zu gewinnen, zum Beispiel mithilfe von Biogas oder Solarthermie. Eine weitere Option sind Flusswärmepumpen.
Wie funktionieren Flusswärmepumpen?
„Flusswärmepumpen entziehen Wärme aus einem nahegelegenen Fließgewässer und heben diese durch den Einsatz von in der Regel elektrischer Arbeit auf ein nutzbares Temperaturniveau an. In ihrer Funktionalität unterscheiden sie sich dabei nicht von herkömmlichen Wärmepumpen, wie sie beispielsweise im Gebäudebereich anzutreffen sind“, erklärt Markus Blesl, Abteilungsleiter Systemanalytische Methoden und Wärmemarkt am Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung der Universität Stuttgart.
Doch nicht nur in Mannheim entsteht eine Flusswärmepumpe. An verschiedenen Standorten in Deutschland wird das System im Rahmen des Reallabors der Energiewende „Großwärmepumpen in Fernwärmenetzen“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gefördert. Ab 2023 soll das Flusswasser des Rheins in Mannheim als klimaneutrale Wärmequelle verwendet werden, um Fernwärme zu erzeugen.
Welche Vor- und Nachteile haben Flusswärmepumpen?
Wasser als Wärmequelle bietet gegenüber anderen Medien zum Entzug von Wärme Vorteile, so Blesl. „Im Vergleich zur Umgebungsluft als Wärmequelle, wie sie häufig von Wärmepumpen im häuslichen Bereich genutzt wird, besitzt Wasser eine etwa viermal höhere spezifische Wärmekapazität. Bei gleichem Massenstrom und gleicher Abkühlung kann eine Flusswärmepumpe somit eine viermal höhere Leistung erzielen.“
Zudem ließe sich der Betrieb an stark regulierten Standorten einsetzen, da die Dimensionierung von Wärmetauschern deutlich kleiner ausfalle als bei Luftwärmepumpen. Die Schallemission lässt sich durch ausbleibende Ventilatoren zur Umgebungsluft ebenfalls deutlich reduzieren.
„Vorteile eines Flusses als Fließgewässer bieten darüber hinaus das Potenzial, eine gleichmäßige Wärmeleistung zu entziehen, da ein konstanter Strom an Frischwasser auf die Wärmetauscher trifft. Dies ist insbesondere gegenüber Wärmepumpen, die auf stehenden Gewässern ohne Umwälzung, Grundwasser oder Erdsonden als Wärmequelle zurückgreifen, von Vorteil, da diese in ihrer maximal zu entziehender Wärmemenge an die meist langsame Regeneration der Umgebung gebunden sind“, führt der VDI-Experte aus.
Gegenüber der Luftwärmepumpe ergibt sich ein weiterer Vorteil in kalten Jahreszeiten mit Umgebungstemperaturen unter 0 °C. Hier kann die Flusswärmepumpe aufgrund der höheren und im Tagesverlauf recht konstanten Temperatur des Wassers eine höhere Effizienz aufweisen.
Hitzewellen sind kritisch für das Ökosystem Wasser
Hitzewellen suchen auch Deutschland heim. „Für das Ökosystem Gewässer sind die langanhaltenden Hitzeperioden kritisch. Diese Problematik wird durch den Klimawandel weiter verstärkt und Fischbestände, wie beispielsweise die Forelle in der Donau sind aufgrund des ausbleibenden Sauerstoffs bei zu hoher Wassertemperatur gefährdet. Hier können große Flusswärmepumpen positive Effekte haben“, sagt Markus Blesl.
Ein Nachteil der Flusswärmepumpe ist in der kostenintensiveren Erschließung des Fließgewässers zu sehen, dessen Wärmetauscher in Abhängigkeit der Wasserbeschaffenheit in regelmäßigen Abständen gereinigt werden müssen.
Wie umfassend kann die Versorgung durch Fernwärme aussehen?
MVV installiert eine der größten Flusswärmepumpen Europas am Rhein. Das Unternehmen spricht selbst von einer Versorgung von 50.000 Haushalten.
„Für die Fernwärmeversorgung in Mannheim sind Flusswärmepumpen neben der langfristigen Nutzung der Abwärme aus der thermischen Abfallbehandlung, der Tiefengeothermie und Biomasse ein wichtiger Baustein eines regenerativen Wärmeerzeugungsportfolios. Die erste Flusswärmepumpe, die die MVV als Teil des Reallabors im GKM errichten wird, hat eine Leistung von ca. 20 MWth und deckt rechnerisch ab der Inbetriebnahme Ende 2023 den Wärmebedarf von ca. 3.500 Haushalten“, ordnet Blesl ein.
Die MVV möchte bis zum Jahr 2030 vollständig auf grüne Wärmeerzeuger umstellen und geht davon aus, dass Flusswärmepumpen im MVV-Fernwärmenetz, langfristig ca. 15-30 % der Wärmebereitstellung übernehmen können, weiß der Experte. „Das entspräche rund 25.000-50.000 Haushalten und ließe sich mit einer Leistung von ca. 100-200 MWth erreichen.“
In welchem Ausmaß Flusswärmepumpen tatsächlich gebaut werden und zum Einsatz kommen, hängt von der Wirtschaftlichkeit von Flusswärmepumpen – und damit stark vom Strompreis inklusive Abgaben und Umlagen – im Vergleich zu den Kosten und der Verfügbarkeit anderer Wärmeerzeugungsoptionen ab, gibt der Energieexperte zu bedenken.
Das größte Kraftwerk dieser Art steht übrigens in Schweden und erzeugt 180 MW thermische Leistung, durch die Nutzung von Meerwasser. „Leistungen dieser Art sind auch an größeren Flüssen in Deutschland denkbar“, so Blesl.
Weitere Flußwärmepumpen am Rhein
Ob perspektivisch weitere Flusswärmepumpen am Rhein entstehen, hänge in erster Linie von den ökonomischen Rahmenbedingungen ab. „Aus technischer Sicht ist eine thermische Nutzung des Rheins, auch in großem Stil, durchaus denkbar. Zum Vergleich: Würde man 2 % der durchschnittlichen Wassermenge des Rheins bei Köln um 1 °C abkühlen, könnte man daraus bereits 400 MW thermische Leistung durch Flusswärmepumpen bereitstellen.“
Über das Projekt Reallabor Großwärmepumpe
Mehrere Energieversorger und wissenschaftliche Institute erforschen im Rahmen des mehrjährigen, durch das Bundeswirtschaftsministerium geförderten Projekts „Reallabor Großwärmepumpe“ die Potenziale und Anwendungsbedingungen von Großwärmepumpen in Fernwärmenetzen. An Kraftwerksstandorten in Berlin, Stuttgart, Mannheim und Rosenheim werden dazu Großwärmepumpen errichtet und im Realbetrieb getestet. „Das Gesamtprojektvolumen beträgt 45 Millionen Euro. 21 Millionen Euro entfallen auf die Förderung durch das BMWi, 24 Millionen Euro werden von den Partnern erbracht, die somit alle erheblich in die Energiewende investieren“, weiß der VDI-Experte.
Ziel ist neben der Praxiserfahrung, Herausforderungen des regulatorischen Lernens zu erfassen und positive Beispiele und Betriebserfahrungen an die Fernwärmebranche weiterzugeben.
VDI 4646 für die Planung und Bewertung von Wärmepumpenanlagen
Der Einsatz von Wärmepumpen mit größeren Leistungen in Gewerbe und Industrie kann zum Erreichen der Klimaschutzziele beitragen. „Die Vorteile hinsichtlich Energie- und Kosteneinsparung sowie einer deutlichen Reduktion der Treibhausgasemissionen in der Fernwärmeversorgung, dem Gewerbe und Industrie werden sowohl den Anwendern als auch der Politik immer mehr bewusst.“
Die Richtlinie VDI 4646 "Anwendung von Großwärmepumpen" soll die Planung und Bewertung von Wärmepumpenanlagen für nicht standardisierte Anwendungsfälle im Gewerbe, in der Industrie und in der leitungsgebundenen Wärmeversorgung von Quartieren unterstützen. Nicht standardisierte Anwendungsfälle zeichnen sich durch eine große Leistung (> 100 kWth) aus. Wärmepumpen für Gewerbe, Industrie, Quartiere und Nicht-Wohngebäuden sowie Kälteanlagen, die eine Nutzung der warmen und kalten Seite als Ziel haben, sind Inhalt dieser Richtlinie.
Zukunft von grüner Wärme
Markus Blesl von der Universität Stuttgart sieht in elektrischen Wärmepumpen eine Schlüsseltechnologie für die Bereitstellung von grüner Wärme. Für eine Dekarbonisierung der Wärmebereitstellung sei es jedoch wichtig, dass der eingesetzte Strom aus emissionsarmen Energiequellen gewonnen wird. „Zusätzlich ist es von entscheidendem Vorteil, Wärmepumpen vom direkten Wärmeverbrauch entkoppelt betreiben zu können. Dies ist in der Bereitstellung von Fernwärme durch die thermische Trägheit des Wärmenetzes oder die Nutzung eines thermischen Speichers bereits heute zumeist der Fall.“
Dadurch bieten große Wärmepumpen die essenzielle Möglichkeit, Lastspitzen im elektrischen Netz durch die volatile Einspeisung von erneuerbaren Energien abzufedern und das Netz zu stabilisieren und erhöhen somit das Ausbaupotenzial von erneuerbaren Energien wie Fotovoltaik und Windkraft signifikant. „Insbesondere in der Fernwärmeversorgung in den Ballungszentren Deutschlands, in denen andere Wärmequellen ausgeschöpft, nicht vorhanden, oder aufgrund von Platzmangel und Lärmschutz nicht nutzbar sind, ist die Nutzung der Flusswärme sogar alternativlos“, sagt Blesl gegenüber vdi.de.
Autorin: Sarah Janczura
Fachlicher Ansprechpartner:
Dr.-Ing. Jochen Theloke
VDI-Gesellschaft Energie und Umwelt
Telefon: +49 211 6214-369
E-Mail: theloke@vdi.de