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Bericht der Veranstaltung: Vor Ort: 2-tägige Exkursion -"Stuttgart 21" am 24./25.09.2024

Exkursion zum Bahnprojekt „Stuttgart 21“ der Deutschen Bahn AG sowie HLRS und Institut ILEK der Universität Stuttgart

Bild: VDI-BB / Wolfgang Feldwisch

Vor Ort: 2-tägige Exkursion -"Stuttgart 21" am 24.-25.09.024

Der VDI-AK Besichtigungen hat eine zweitägige Exkursion vom 24.-25.09.2024 nach Stuttgart organisiert.  

Für diese zwei Tage standen drei Besichtigungen auf dem Programm. Am Tag 1 war die Besichtigung des Bahnprojektes „Stuttgart 21“ (als Teil des Bahnprojektes Stuttgart – Ulm) organisiert. Am Tag 2 wurden das Höchstleistungsrechenzentrum (HLRS) und das Institut Leichtbau Entwerfen und Konstruieren (ILEK) der Universität Stuttgart besichtigt.

Das Bahnprojekt „Stuttgart 21“

Regierungsbaumeister David Bösinger (Leiter Ausstellung, Besucherdienst und Pressestelle) führte zunächst im InfoTurmStuttgart (ITS) in die Geschichte des Verkehrs- und Städtebauprojekts „Stuttgart 21“ ein, mit dessen Bau im Jahr 2010 nach über 15-jähriger Planung begonnen wurde. Ziel ist die  schnelle Verbindung zwischen Stuttgart und Ulm als Fortsetzung der seit dem 11.12.2022 in Betrieb befindlichen Schnellfahrstrecke Mannheim–Stuttgart.

Mit einer kompletten Neuordnung des Bahnknotens Stuttgart ersetzt das Projekt den bisherigen oberirdischen 17-gleisigen Kopfbahnhof durch einen unterirdischen, achtgleisigen und gegenüber den bisherigen Anlagen um 90 Grad gedrehten, Durchgangsbahnhof. Mit vier neuen Bahnhöfen, 16 Tunnel mit 59 km Länge, 44 Brücken und 57 km neue Bahnstrecken bindet der neue Eisenbahnknoten den Flughafen und die Landesmesse nahtlos an die Schnellfahrstrecke Wendlingen–Ulm an. Auf den freiwerdenden Gleisflächen soll ein neuer Stadtteil Stuttgart Rosenstein entstehen.

Nach öffentlichen Protesten gegen Planung und Bau des Projektes fanden vom 22.10.-27. 11.2010 acht vom CDU-Politiker Heiner Geißler moderierte „Schlichtungsgespräche“ zwischen Vertretern von Projektbefürwortern und -gegnern statt. In einer Volksabstimmung am 27.11.2011haben sich 58,5% der teilnehmenden Bürger Baden-Württembergs für den Weiterbau des Bahnhofs in Stuttgart ausgesprochen.

Der VDI-Teilnahmekreis konnte bei der Besichtigung der Großbaustelle nur staunen, welchen Mut die Architekten, Bauherren, Ingenieure, Handwerker für dieses gigantische Projekt aufbringen müssen, denn das Projekt ist keine Blaupause. Hochachtung für die weitgehend fertiggestellten Rohbauleistungen der imposanten Bahnhofshalle, des konstruktiven Ingenieurbaus und die Dimension des Projektes.

Außergewöhnlich sind die 28 Kelchstützen aus Beton, die am Boden noch schmal sich nach oben aufweitend miteinander verbunden das Dach der Halle formen und über 200 m² große Lichtaugen das Tageslicht auf die Bahnsteige fallen lassen. Jede der dreidimensional gekrümmten Kelchstützen werden über 1.000 m² Fläche aufwendig geschalt und mit 350 Tonnen Stahl bewehrt, die sich auf 22.000 einzeln vermessene Stahlstreben verteilen. Dieser komplexe Herstellungsprozess ist nur durch dreidimensionale digitale Planung mit „Building Information Modeling“ (BIM) beherrschbar.

Mit dem Ziel der Erhöhung von Kapazität und Pünktlichkeit soll mit dem Pilotprojekt „Digitaler Knoten Stuttgart“ (als erster digitaler Bahn-Knoten in Deutschland) die Steuerung und Fahrwegsicherung aller Züge ausschließlich digital ohne ortsfeste Signale mit dem europäischen Zugbeeinflussungssystem ETCS erfolgen. Gelingt dieses Projekt, ist auch das Ergebnis genial und wegweisend für zukünftige Projekte.

Die Präsentation des Bahnprojektes, die Erläuterungen der Herausforderungen in der täglichen Arbeit und dem Zusammenwirken aller Gewerke erklären ansatzweise Gründe für die Erhöhung der Kosten des Projektes von 4,5 Mrd. € auf vsl. 11 Mrd. €.

Nach mehreren Verschiebungen ist die komplexe Inbetriebnahme des Projekts zum Fahrplanwechsel im Dezember 2026 (bis auf den digitalen Konten) vorgesehen.

Das Höchstleistungsrechenzentrums (HLRS)

Am Tag 2 begrüßte uns auf dem Universitätsgelände in Stuttgart Dr. Uwe Wössner, Leiter der Abteilung Visualisierung. Er führte kompetent in die Grundlagen und hochkomplexen Leistungen des HLRS ein. Es bietet mit dem weltweit schnellsten Supercomputer „Hawk“ Lösungen für Wissenschaft, Industrie und Gesellschaft mit Hoch- und Höchstleistungsrechnen in folgenden Bereichen an:

  • Mit einer Spitzenleistung von 26 Petaflops (1 Billiarde Gleitkommaoperationen pro Sekunde) optimiert der „Hawk“ komplexe rechenintensive Simulationen. Mithilfe der vorhandenen HPC-Ressourcen (High Performance Computing) können Wissenschaftler an den Grenzen der Wissenschaft forschen.
  • Künstliche Intelligenz (KI) entwickelt sich rasant zu einer transformativen Technologie, die Wissenschaft, Technik, Industrie, die öffentliche Verwaltung und viele andere Bereiche der Gesellschaft beeinflusst. Mit der leistungsstarken Computerinfrastruktur und technischem Fachwissen werden Anwendungen wie generative KI, Deep Learning, große Sprachmodelle und Grundlagenmodelle unterstützt. Die Forscher des HLSR arbeiten an einer besseren Integration von KI, Simulation, Cloud Computing und anderen fortschrittlichen Rechentechnologien in effizienten Workflows (Arbeitsabläufe, bei denen die richtigen Personen zur richtigen Zeit mit den richtigen Daten versorgt werden, um die Automatisierung von Geschäftsprozessen und deutliche Effizienzsteigerungen als auch kürzere Durchlaufzeiten zu erreichen).
  • Die Visualisierungsabteilung des HLRS bietet über leistungsstarke Virtual-Reality- und Augmented-Reality-Tools die Umwandlung abstrakter Datensätze in immersive digitale Umgebungen an (komplettes Eintauchen des Betrachters in die Scheinwelt). Im VR-Lab Simulation („Cave“) wurden mit modernster interaktiver Visualisierungstechnik u.a. die Daten aller Gebäude der Stadt Stuttgart auf spektakuläre Weise zum dreidimensionalen Leben erweckt. Auch die Kelchstützen des neuen Hauptbahnhofs konnten dreidimensional im virtuellen Raum „durchfahren“ werden. Eindrucksvoll wurden die Anwendungsfälle und die Potentiale der interaktiven Visualisierungsmöglichkeiten für Architekten, Stadtplaner, Ingenieure, Produktanbieter, Mediziner usw. für ihre spezifische Arbeit anschaulich vorgestellt.

Das Institut Leichtbau, Entwerfen und Konstruieren (ILEK)

Dipl.-Ing. Markus Nitzlader, Wiss. Mitarbeiter am Institut, stellte zunächst die namhaften ehem. Institutsleiter vor:

  • Fritz Leonhardt, Spannbeton-„Papst“ und Erbauer des ersten Fernsehturms aus Spannbeton 1956 in Stuttgart
  • Frei Otto, Begründer seilverspannter Zeltdächer und Erbauer des Daches des Olympiastadions in München 1972
  • Jörg Schlaich, Pionier des integralen und semiintegralen Brückenbaues sowie Werner Sobek, Visionär des nachhaltigen Bauens,

alles außergewöhnliche Bauingenieure.

Beeindruckend war dann seine Vorstellung des weltweit ersten „Adaptiven Hochhauses“, eines Prototyps im Rahmen des von der „Deutschen Forschungsgemeinschaft“ (DFG) geförderten Sonderforschungsbereichs 1244 „Adaptive Hüllen und Strukturen für die gebaute Umwelt von morgen“.

Zum einen erkennen in die Tragstruktur und Fassade integrierten „aktive Elemente“ über Sensoren in Sekundenbruchteilen auf das Gebäude einwirkende Kräfte und die damit verbundenen Verformungen. Mit Hilfe von „Hydraulikaktoren“ („Muskeln“) wird gezielt eine Gegenkraft erzeugt, womit dem Gebäude die Möglichkeit geben wird, selbständig z.B. auf äußere Einwirkungen wie Wind oder Erdbeben zu reagieren.

Zum anderen geht es um Untersuchungen der aktiven Anpassungen von Gebäuden an wechselnde Umwelteinflüsse unter realen Bedingungen im Maßstab 1:1. So können neue Fassadenelemente z.B. den Licht- und Energieeintrag in das Gebäude, den Luftaustausch, sowie den Wärmedurchgang aktiv beeinflussen. Zudem werden bauphysikalische und komfortbezogene Anforderungen an das Innere des Gebäudes mit stadtraumbezogenen Funktionalitäten wie Regenwasser- und Temperaturmanagement kombiniert. Ziel sind neue Arten von Gebäudehüllen, die gezielt auf veränderliche Umweltbedingungen und sich ändernde Nutzeranforderungen reagieren können.

Die vorgestellten Ansätze mit mikro- und raumklimatischer Wirksamkeit die Energie-, Material-, CO²- und Emissionsbilanz von Tragwerken und Fassaden während des gesamten Lebenszyklus des Gebäudes durch Adaptivität zu optimieren, waren für alle Teilnehmer, gerade auch vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen an das Bauwesen, extrem spannend und informativ.

Unser Fazit

Die zweitägige Exkursion der Ingenieurgruppe des VDI nach Stuttgart erforderte vorab erheblichen Organisationsaufwand. Und tatsächlich war alles für sich genommen und in seiner Gesamtheit sehr gut präsentiert und miteinander verknüpft und somit eine einmalige Reise in die Zukunft. Die verschiedenen Disziplinen so kennenzulernen, war ein voller Erfolg, der noch lange nachklingen wird. 

Alle Vortragenden haben die komplexen Themen umfassend und klar adressiert.

Verbunden mit herzlichem Dank wünschen wir allen Vortragenden für ihre weitere wichtige Arbeit ungebrochenen Forschungsdrang, viel Kraft und vollen Erfolg.

 

Organisation, Federführung, Bericht:

Wolfgang Feldwisch

AK Besichtigungen

 

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