Ein Rahmen für Technikkompetenzen
Wer beurteilt eigentlich technische Kompetenzen? Wie sähe eine Richtschnur aus, die bei der Beurteilung hilft? Und wer braucht vorrangig diese Hilfe? Der VDI-Fachbeirat Technische Bildung hat sich daran gemacht, diese Fragen mithilfe ausgesuchter Expertinnen und Experten zu beantworten.
Bildungswissenschaftler, Fachdidaktiker, Lehrkräfte und Verbandsvertreter bündelten ihre Expertise in einem „Gemeinsamen Referenzrahmen Technik“ (GeRRT).
Gemeinsamer Technik-Kompetenzrahmen erlaubt die übergreifende Nutzung aus allen Bildungsbereichen
Dabei handelt es sich um ein System, das das Beurteilen von Technikkompetenzen nach Kriterien auf unterschiedlichen Niveaus unterstützt. Es unterscheidet drei Niveaustufen: A (elementar), B (erweitert) und C (komplex), wobei Stufe C das Niveau der Hochschulbildung betrifft und damit nicht relevant für die Allgemeinbildung und den Auftrag ist, den sich der Bund der Bildungsfachleute gegeben hat.
Wesentliche Kompetenzbereiche sind:
- Technik verstehen
- Technik nutzen
- Technik entwickeln
- Technik bewerten und
- Technik kommunizieren
Unterkategorien zeigen Detailkompetenzen, die für Technikmündigkeit entscheidend sind. Der Referenzrahmen kann von allen Akteuren und Verantwortlichen in Bildungsbereichen genutzt werden. Das reicht von Entwickeln von Curricula über das Ausrichten außerschulischer Lernangebote bis hin zu Kompetenzeinstufungen einzelner Personen.
Der Plan ist, technische Bildung zu stärken, auch indem sich die Bildungsforscher ein Bild vom Wissen der Gesellschaft über Technik verschaffen. „Es gab vorher keinen Referenzrahmen Technik“, sagt Gabriele Graube von der Technischen Universität Braunschweig, Erziehungswissenschaftlerin mit Schwerpunkt Technikbildung, und federführend am Referenzrahmen beteiligt. „Deutschland als Technologieführer und Exportweltmeister ist auf dem Auge der Technikbildung immer noch blind. Wir wissen nicht, was Otto Normalverbraucher und Lieschen Müller von Technik wissen und was sie können.“ Der Sprachenrahmen sei schon lange etabliert. „So etwas brauchen wir für Technik auch.“
Unser Wohlstand entspringt nahezu ausschließlich der technischen Kreativität unserer Menschen
Dass die Technik häufig in ihrem Wert immer noch nicht wahrgenommen wird, bestätigt Technikdidaktiker Andreas Hüttner von der Europa-Universität Flensburg. „Ihre Bedeutung für jeden einzelnen Menschen aber auch für unser demokratisches System, mit allen seinen Grundwerten, wird nicht nur nicht verstanden, sondern oftmals sogar bewusst negiert. Dabei ist unser Wohlstand nicht irgendwelchen sprudelnden Ölquellen oder anderen Bodenschätzen zu verdanken, sondern entspringt nahezu ausschließlich der technischen Kreativität unserer Menschen. Das ist unser größter Schatz.“ Den gelte es durch qualifizierte Bildungsangebote in allen Lebensphasen der Menschen zu erhalten und wenn möglich auszubauen, um auch international weiter konkurrenzfähig zu sein.
Der Referenzrahmen biete ein Instrument, mit dessen Hilfe man einen IST-Stand an technischen Kompetenzen bei den Menschen aller Altersstufen und Bildungsgrade vergleichend erfassen kann, um ihn dann konkret mit einem SOLL-Stand vergleichbar zu machen. Hüttner: „Dieser aber muss so konkret wie möglich beschreibbar sein. Das ist die Voraussetzung, um gegebenenfalls notwendig werdende konkrete Maßnahmen zum Ausgleich einer wie immer gearteten Fehlentwicklung in unserer von Technik geprägten Gesellschaft ergreifen zu können.“
Technische Bildung muss verbindlicher Teil der Allgemeinbildung werden
Um in Bewerbungsprozessen für technische Berufe und Studiengänge das Kompetenzniveau technischer Bildung von Auszubildenden oder von Studierenden festzustellen und ihre Eignung einzuschätzen, kann der GeRRT eine Orientierung bilden. „Vorstellbar ist auch, dass er auf dem Arbeitsmarkt in einschlägigen Branchen und Tätigkeiten hilfreich ist, Arbeitskräfte mit unterschiedlicher beruflicher Ausbildung einzuordnen, ob sie die Voraussetzungen oder eine Eignung für eine neue und andere Tätigkeit in einem technischen Arbeitsumfeld haben“, sagt die ebenfalls am Referenzrahmen beteiligte Technikdidaktikerin Elke Hartmann von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Der GeRRT solle darüber hinaus Bildungspolitiker aufrütteln und Einsichten wecken, in der Allgemeinbildung die technische Bildung verbindlich für alle zu etablieren. „Das ist heute mehr als dringend für eine aufgeklärte Gesellschaft, die dem Klimawandel entgegenwirken, den Wohlstand für alle aber sichern soll, aber die Menschen nicht ausreichend motiviert, in technischen Berufsfeldern tätig zu werden.“
Wer an Bildung denkt, schießt meist der Begriff „Schule“ durch den Kopf. Die ist auch gemeint –aber nicht ausschließlich. „Der GeRRT geht weit darüber hinaus“, so Hüttner. „Er beschreibt technische Kompetenzen von Menschen generell, unabhängig von Institutionen. Damit macht er technische wie technikwissenschaftliche Fähigkeiten und Fertigkeiten von Menschen erfassbar, vergleichbar, beschreibbar, bewertbar … und das nicht nur in einem nationalen Kontext.“
Der Referenzrahmen ließe sich überall dort einsetzen, wo technische Kompetenzen notwendig sind, wo technisch gehandelt wird und wo Bewertungen in Zusammenhang mit Technik vorgenommen werden, also in Firmen, Schulen und Hochschulen, an außerschulischen Lernorten und in Ministerien, ergänzt Thomas Möllers, Fachleiter Technik an der Ernst Barlach Gesamtschule in Dinslaken, und Projektmitarbeiter. „Zunächst brauchen wir die gesellschaftliche Wahrnehmung, dass unsere Zivilisation ohne Technik nicht denkbar ist. Damit muss sich das Wissen verbinden, dass Technik nicht auf Bäumen wächst, sondern von Menschen für Menschen gemacht wird.“ Spätestens dann werde deutlich, dass in den Schulen flächendeckend technische Allgemeinbildung nötig sei. Möllers: „Der Status quo lässt sich nur aufrechterhalten, wenn wir technisch mündige Bürger haben, die zu einer aktiven Teilhabe und zum Mitwirken an unserer technischen Welt bereit sind.“
Digitalisierung sollte vor allem ein Thema des Technikunterrichts sein
Dazu bedarf es laut Ingelore Mammes, Schulforscherin an der Universität Duisburg-Essen, einheitliche Anstrengungen: „Der GeRRT bildet eine Grundlage für eine länderübergreifende Vergleichbarkeit der Technikkompetenzen von Individuen, die unterschiedliche Bildungsprozesse durchlaufen haben. Er kann aber auch eine Basis sein für Curriculumentwicklung, Lehrwerkserstellung oder für die Entwicklung von außerschulischen Lehr- und Lernkonzepten.“
Die Erziehungswissenschaftlerin Graube verweist darauf, dass es nicht nur um Quantität gehe. „Es geht gleichzeitig auch um besseren Technikunterricht. Technik ist kein Blaukittelfach mehr. Wir reden von Hochtechnologien in Deutschland. Dazu braucht es mehr als einen Bohrmaschinenführerschein. Mit der Digitalisierung stellen sich neue didaktische Herausforderungen in allen Bildungsbereichen. Digitalisierung sollte aber vor allem ein Thema des Technikunterrichts sein.“
Zur Weiterbildung in Unternehmen und in der Erwachsenenbildung gehören für Graube auch Fragen zum Platz des Einzelnen in der technisch aufgerüsteten und von ständigen Veränderungen betroffenen Welt. Dazu gehören Fragen nach sich wandelnden Arbeitsaufgaben, Kompetenzen und technischen Infrastrukturen. Das beträfe Pflegefachkräfte ebenso wie Transplantationsmediziner*innen, Softwareentwickler*innen und App-Nutzer*innen.
Technik, Mensch, Gesellschaft und Natur sind über das menschliche Handeln untrennbar verbunden
Fünf technische Kompetenzbereiche werden in einem „Rahmen“ definiert. Werden dadurch nicht andere Fachbereiche, mit denen Technik zunehmend kommunizieren sollte, wie Psychologie, Ökonomie, Soziologie, Umwelt ausgeschlossen? Gabriele Graube verneint das vehement: „Ganz im Gegenteil. Es wird niemand ausgeschlossen. Es ist eher die Einladung, Schnittmengen wahrzunehmen und zu nutzen. Technik wird als soziotechnisches Konstrukt verstanden, das heißt Technik, Mensch, Gesellschaft und Natur sind über das menschliche Handeln untrennbar verbunden. Daher setzen wir bei den Kompetenzen ganz bewusst nicht nur auf ein enges Fachverständnis.“
Für die GeRRT-Gruppe ist in den Kompetenzstufen von A1 bis B2 ein Mensch dann kompetenter, wenn er nicht nur technische Prinzipien und Lösungsvarianten beherrscht, sondern diese auch in einen sozialen und humanen Kontext einordnen und sein Handeln mit einem gesellschaftlichen Bezug bewerten kann. Hüttner: „Auch die technische Kreativität eines Menschen als Voraussetzung für gezielte Innovation ist für uns ein wichtiges Kriterium der Einordnung in die vier Kompetenzstufen.“ Möllers betont die Zweckorientierung von Technik, die eindimensionales Denken und Handeln nahezu verbietet: „Technisches Handeln ist immer ein Handeln im Zielkonflikt verschiedener Zielperspektiven. Was ökonomisch hohe Gewinne verspricht, ist womöglich ökologisch oder human nicht vertretbar und nicht nachhaltig.“
Spaß am Lernen statt Pauken
Schön und gut. Aber Technikinteresse und Technikverstehen setzen Spaß am Lernen voraus. Und das wird hierzulande häufig mit dem Negativbegriff „Pauken“ gleichgesetzt. Möllers kontert: „Wir brauchen ein ganzheitliches Verständnis von Lernen. Lernen sollte mit Kopf, Herz und Hand stattfinden, dann stellt sich die Lernfreude von selbst ein. Nichts motiviert Schülerinnen und Schüler mehr, als eigene Ideen (Kopf) mit viel Engagement und Durchhaltevermögen (Herz) in eine fertige technische Lösung umzusetzen (Hand).“
Das trifft bei Elke Hartmann auf ungeteilte Zustimmung: „Technik versteht man nur durch Hand- und Kopfarbeit, das Herz gewinnt man durch praktisches Lernen, bei dem die Lehrkraft dafür sorgt, dass ein vorzeigbares analoges oder digitales Ergebnis am Ende steht. Spaß kommt auch durch Erfolg, wobei Lernen ruhig anstrengend sein darf. Auch das müssen Schülerinnen und Schüler erfahren. Nicht jede Schülerin und jeden Schüler kann man für Technik interessieren, auch nicht für eine Fremdsprache, ebenso trifft das auf alle anderen Schulfächer auch zu.“ Neben der Schule sollte sich auch die Wirtschaft einbringen, indem sie den Schülerinnen und Schülern ihre Welt der Technik öffne.
An den Hochschulen könne von einer generellen Abneigung gegenüber Lernprozessen nicht die Rede sein, fügt Ingelore Mammes an: „An den Universitäten wird durchgängig ein konstruktivistisches Lehr-Lernverständnis zugrunde gelegt. Alle gängigen Lerntheorien widersprechen einer Vorstellung vom Lernen als ,Pauken‘.“
Der Referenzrahmen Technik ist eine Grundlage und muss an die verschiedenen Nutzerkreise angepasst werden
Wie geht es weiter? „Der Referenzrahmen ist noch kein Instrument zur Umsetzung in Schulen und anderen Einrichtungen, er ist auch nicht für eine Evaluation von Kompetenzen geeignet“, betont Elke Hartmann. Für die Umsetzung in konkreten Bildungsprozessen mit spezifischen Abschlüssen bedürfe es einer entsprechenden Aufgabenkultur. „Bis dahin ist es noch ein gutes Stück Arbeit und ein längerer Weg.“ Technikdidaktiker Hüttner hofft, dass es künftig bei der Umsetzung des Referenzrahmens in Schulen, Unternehmen und bei anderen Partnern begleitende Unterstützung gibt. Zunächst handele es sich aber um ein Grundsatzpapier. Wichtig sei, den Entwicklungsprozess dynamisch zu halten. „Eine Überarbeitung der Vorlage auf Basis der Hinweise der Nutzer und damit die Herstellung einer breiten gesellschaftlichen Akzeptanz sollten folgen. Dann hat sich die jahrelange Arbeit an dem Referenzrahmen Technik für mich und sicher auch alle anderen Mitwirkenden gelohnt.“
Autor: Wolfgang Schmitz
Ansprechpartner
Dr. Thomas Kiefer
Internationale Berufspolitik und Technische Bildung
E-Mail-Adresse: kiefer@vdi.de