Digitalisierung hebt Ressourceneffizienz auf neue Stufe
Woher wissen Unternehmen, an welchen Stellen sie wie viel Material und Energie einsetzen? Das notwendige Wissen ist häufig im Unternehmen verteilt zu finden. Die Lösung: digitale Anwendungen. Sie helfen, relevante Daten und Informationen zu sammeln und gezielt auszuwerten. Mit dieser Basis können Unternehmen ihre Potenziale erkennen und Ressourcen nachhaltig effizienter einsetzen.
Wer im eigenen Unternehmen Ressourcen effizienter einsetzen möchte, kann heute auf eine Vielzahl an digitalen Lösungen zurückgreifen, um das Ziel zu erreichen. Die Digitalisierung bietet einen vielfältigen Werkzeugkasten für verschiedene Anwendungsfälle und Branchen. Wei Min Wang, Experte für Ressourceneffizienz und Digitalisierung beim VDI Zentrum Ressourceneffizienz, erklärt die Details.
VDI: Herr Wang, welchen Beitrag kann die Digitalisierung zur Ressourceneffizienz leisten?
Wei Min Wang: Digitale Lösungen schaffen die technische Grundlage zur nachhaltigen Steigerung der Ressourceneffizienz. Sie machen es möglich, Prozesse in Unternehmen systematisch zu erfassen und zu analysieren. Ein tiefgreifendes Verständnis der betrieblichen Wertschöpfungsprozesse ist die wichtigste Voraussetzung, um im eigenen Unternehmen Ressourcen effizienter einsetzen zu können.
Aus meiner Sicht gibt es vier grobe Entwicklungsstufen, die erläutern, wie die Digitalisierung Unternehmen aus dem Produktionsumfeld bei einer nachhaltigen Transformation unterstützen kann:
- Mit Hilfe digitaler Sensoren und betrieblicher Informationssysteme können Unternehmen eigene Prozesse systematisch beobachten und messen. Die gesammelten Daten bilden die Grundlage für weitere Digitalisierungsmaßnahmen. Das entspricht der ersten Entwicklungsstufe.
- Dem schließt sich die Zweite an: Auf Basis der gesammelten Daten sind Analysen möglich, die zu einem besseren Verständnis der eigenen Prozessabläufe führen. Fehlerquellen können so systematisch identifiziert und Verbesserungsmaßnahmen abgeleitet werden. Mit dem gewonnenen Wissen lassen sich Prozesse kontinuierlich optimieren.
- In der dritten Entwicklungsstufe werden digitale Anwendungen mit künstlicher Intelligenz kombiniert. So eröffnen sich Unternehmen noch größere Effizienzpotenziale: Intelligente Steuerungssysteme können Fehler in Produktionsprozessen in Echtzeit erkennen und automatisiert Gegenmaßnahmen ergreifen, um die Verschwendung von Materialien und Energie zu minimieren. Darüber hinaus erlernen diese Systeme mittels Machine Learning aus den verarbeiteten Daten der Störfälle neue Muster, die sie künftig vorhersagen und vermeiden können.
- Die vierte Stufe beschreibt aktuell eher eine Zukunftsvision, in der alle Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette durchgängig digitalisiert sind. Konzepte wie digitale Produktpässe und digitale Zwillinge werden mittels offener Datenräume mit einheitlichen, branchenübergreifenden Datenaustausch-Standards umgesetzt, sodass relevante Lebenszyklusdaten von Produkten transparent zwischen allen Beteiligten in der Wertschöpfungskette ausgetauscht werden können. Neben den datentechnischen Grundlagen sind zu diesem Zeitpunkt auch rechtliche Rahmenbedingungen für den sicheren Datenaustausch geschaffen. Daraus kann ein digitales Ökosystem entstehen, in dem wir eine effiziente Kreislaufwirtschaft etablieren.
VDI: Wo würden Sie deutsche Unternehmen aktuell einstufen?
Wei Min Wang: Betrachtet man kleine und mittlere Unternehmen (KMU), würde ich die meisten auf den Stufen eins bis zwei einordnen. Es gibt durchaus Firmen, die bereits fortgeschrittener sind und digitale Lösungen und KI erfolgreich einsetzen, um den Ressourcenverbrauch zu optimieren. Dazu gehören viele Mitglieder des Industrie-Clubs Ressourceneffizienz, einer bundesweiten und branchenübergreifenden Unternehmensplattform, organisiert und initiiert durch das VDI Zentrum Ressourceneffizienz (VDI ZRE) im Auftrag des Bundesumweltministeriums (BMUV).
Bezieht man die großen Unternehmen mit ein, ist die Bandbreite etwas größer. Diese haben in der Regel eine größere Finanzkraft und können mehr Kapazitäten für die Digitalisierung aufbringen. Hier bewegen sich die meisten Unternehmen auf den Entwicklungsstufen zwei und drei. Einige große Unternehmen entwickeln bereits Lösungen, die für die wertschöpfungs-übergreifenden Szenarien auf Stufe vier notwendig sind. Vor dem Hintergrund der kommenden europäischen Regularien sind insbesondere Anwendungen im Zusammenhang mit dem digitalen Produktpass im Fokus dieser Unternehmen.
Mit Blick auf KMU des verarbeitenden Gewerbes, die in der Regel material- und energieintensiv sind, besteht durchaus noch Potenzial, digitale Tools einzusetzen, um den Betrieb nachhaltig und zukunftsfähig zu gestalten. Laut Daten des Statistischen Bundesamtes machen die Material- und Energiekosten hier bis zu 41 Prozent des Bruttoproduktionswertes aus. Daher lohnt es sich für diese Unternehmen – auch aus wirtschaftlicher Sicht – einen genaueren Blick auf die eigenen Wertschöpfungsprozesse zu werfen. Genau mit solchen Unternehmen arbeiten wir beim VDI ZRE zusammen und beraten, wie sie mittels Digitalisierung das Ziel „Ressourceneffizienz“ erreichen können.
VDI: Welche Hürden gibt es derzeit noch?
Wei Min Wang: Aus meiner Sicht haben die meisten Unternehmen den Willen zur Innovation, weil sie klar erkennen, dass sie nur so wettbewerbsfähig bleiben. Leider scheitern viele unternehmensinterne Vorhaben an praktischen Hürden – unter anderem mangels personeller Kapazitäten und entsprechender Finanzkraft. Sie brauchen daher sowohl fachliche als auch finanzielle Unterstützung, um eine nachhaltige und digitale Transformation umzusetzen.
Damit sie nicht an wirtschaftlichen Hürden scheitern, können Unternehmen auf nationale und europäische Förderprogramme zurückgreifen, die unter anderem in der Förderdatenbank des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) zu finden sind. Inhaltliche Unterstützung beim Einstieg in die Ressourceneffizienz durch Digitalisierung bieten Organisation wie das VDI Zentrum Ressourceneffizienz (VDI ZRE), Mittelstandszentren, regionale Effizienzagenturen oder auch die Industrie- und Handelskammern (IHK).
VDI: Welchen Vorteil haben Unternehmen, wenn sie auf Ressourceneffizienz durch Digitalisierung setzen?
Wei Min Wang: Ressourceneffizienz beschert Unternehmen einen klaren Wettbewerbsvorteil. Schließlich lassen sich so Kosten sparen. Das gilt vor allem für Unternehmen, die viel Material und Energie in der Produktion einsetzen. Wichtig ist, dass die Betriebe zu Beginn eine strukturierte interne Analyse durchführen und einen wirtschaftlich relevanten Anwendungsfall, beziehungsweise Business Case, identifizieren. In der Praxis entscheidet die Rentabilität einer Maßnahme darüber, ob sie durchgeführt wird oder nicht. Ein Business Case schafft auch eine gemeinsame Basis im Unternehmen, um klar zu kommunizieren, welche Wirkungsziele verfolgt werden, welche Bereiche einbezogen werden und welche Änderungen sich vor allem auch für Mitarbeitende ergeben. Die Einbindung der Mitarbeitenden ist besonders wichtig. Schließlich können solche Projekte nur gelingen, wenn alle Beteiligten gern daran mitarbeiten und auch für das eigene Arbeitsumfeld einen Vorteil sehen.
VDI: Welche Schwierigkeiten sehen Sie noch beim Einsatz digitaler Anwendungen?
Wei Min Wang: Bei aller Euphorie, die wir gerade in Verbindung mit digitalen Anwendungen erleben, dürfen wir nicht vergessen: Diese Technologien haben einen beachtlichen ökologischen Fußabdruck. Aus einem Arbeitspapier der Organization for Economic Cooperation and Development (OECD) aus dem Jahr 2022 geht unter anderem hervor, dass 2015 weltweit bis zu 20 Megatonnen Treibhausgase durch den Bau von Rechenzentren ausgestoßen wurden. Ihr Betrieb macht etwa ein Prozent des jährlichen globalen Energieverbrauchs aus und verursacht schätzungsweise bis zu 700 Tonnen an Treibhausgasemissionen. Am Produktlebensende gehen auf das Konto der Informations- und Kommunikationstechnologien bis zu 25 Prozent des weltweiten Elektronikschrottaufkommens, dessen Recycling und Wiederverwendung sich immer noch schwierig gestaltet. Es gilt also, sehr genau hinzuschauen, welche tatsächlichen Vorteile und Verbesserungen sich erreichen lassen. Denn der Einsatz digitaler Anwendungen sollte die erzielten Vorteile nicht direkt wieder aufheben.
Fachlicher Ansprechpartner:
Wei Min Wang
ZRE-Experte für Digitalisierung
E-Mail: wang@vdi.de