Die Zukunft des Autos: Service statt Status?
Elektromobilität, autonomes Fahren und Shared Economy sind Zukunftstrends und werden unser Verhalten grundlegend ändern. Künftig geht es mehr um Mobilitätsservices zu Lande, zu Wasser und in der Luft, weniger um den Verkauf von Autos. Stehen bald keine eigenen Fahrzeuge mehr vor der eigenen Haustüre?
Beim Blick in die Zukunft rechnen manche Ingenieure mit der gemächlichen Migration neuer Technologien. Das könnte so aussehen: Hersteller erweitern bekannte Funktionen ihrer Autos Schritt für Schritt, beispielsweise um Tools für mehr Sicherheit, mehr Hilfe bei der Parkplatzsuche oder mehr Komfort. Ihre Fahrzeuge gewinnen kontinuierlich, aber langsam an Autonomie. Ob Stufe fünf der Automatisierung je erreicht wird, bleibt fraglich, falls sich die Verantwortlichkeiten an der Schnittstelle zwischen Mensch oder Maschine nicht klären lassen.
Es gibt aber auch radikale, disruptive Szenarien. Beim sogenannten Top-Down-Ansatz offerieren große Firmenkonglomerate „Mobility as a Service“. Dazu zählen autonome Fahrzeuge, aber auch weitere Transportleistungen per Schiff oder Flugzeug. Intermodale Verkehrskonzepte ersetzen bisherige Insellösungen. Und logistische Services werden zum Geschäftsmodell, nicht mehr der Verkauf von Fahrzeugen.
Elektromobilität allein löst keine Probleme
Welche Folgen hat der Paradigmenwechsel speziell für die Automobilindustrie? Elektromobilität bietet aktuell – vom ökologischen Aspekt durch den Einsatz regenerativer Energien abgesehen – keine Vorteile. Gesetzliche Einschränkungen bei Verbrennungsmotoren führen zum starken Interesse an neuen Technologien dieses Bereichs. Die größte Herausforderung, immer mehr Personen ohne Verzögerung zu transportieren, lösen Elektroautos erstmal nicht. Zusammen mit dem autonomen Fahren und mit Shared Economy ergeben sich aber innovative Ansätze.
Das eigene Fahrzeug – bald ein Relikt früherer Zeiten?
Wie könnte das aussehen? Ein Mobilitätsprovider bietet Personentransporte zu Lande, zu Wasser und in der Luft an. Er koordiniert über Cloudtechnologien und über künstliche Intelligenz seine Ressourcen. Aus dem eigenen Terminkalender werden Orte und Uhrzeiten erfasst. Zur richtigen Zeit steht das autonom gesteuerte Fahrzeug vor der Haustüre, und zwar als deutlich verschleißfreieres Elektromobil, verglichen mit Verbrennungsmotoren. Wartezeiten oder die nervenaufreibende Suche nach Parkplätzen wären plötzlich Geschichte.
Mobilitätsservices könnten zu grundlegenden Änderungen im gesellschaftlichen Verhalten führen. Es geht nicht mehr um die persönliche Differenzierung nach Fahrzeugtypen, sondern um schnelle, problemlose Transporte zwischen verschiedenen Orten. Mobilität und Logistik rücken als Business Case in den Fokus, die Hardware verliert stark an Relevanz. Wir erwerben Leistungen, aber nicht wie bisher Autos. Schon jetzt stehen Fahrzeuge mehr als 90 Prozent ihrer Zeit ungenutzt in der Garage oder am Parkplatz. Auch dafür zahlen Konsumenten indirekt.
Autos als Statusobjekte von gestern
Bei neuen Business Cases geht es um mehr als nur um den Weg zwischen zwei Orten. Künftige Ausrichtungen heißen nicht mehr „Freude am Fahren“, sondern „Spaß während des Transports.“ Denn interessante Lebenswelten, die man sich zu Hause vielleicht nicht leisten kann, machen jede Reise zum Erlebnis. Devices erkennen ihre Fahrgäste biometrisch, konfigurieren den Sitz und bieten ihnen personifizierte Services per Cloud an – vom Entertainment bis zu Kommunikationstools, um mobil zu arbeiten. Plötzlich wird die Technik an Bord von autonomen Fahrzeugen zum Gewinn, nicht mehr das Auto selbst. Das Geschäftsmodell hat sich gewandelt. Wer noch ein eigenes Fahrzeug besitzt, präsentiert sich als rückständig, wie zu Zeiten der Smartphones mit einem normalen Mobiltelefon.
In anderen Branchen hat das Prinzip längst Einzug gehalten: Billigflieger oder Premium-Fluglinien verwenden oft die gleichen Flugzeugtypen, bieten aber ganz unterschiedliche Dienstleistungen an. Kunden führen Statussymbole wie First-Class-Reisen an. Mehr Funktionalität kostet auch mehr Geld.
Die Autoindustrie wird vorangetrieben
Das klingt nach viel Zukunftsmusik, könnte aber schon in weniger als zehn Jahren Realität werden. Weltweit entwickeln Ingenieure Technologien rund um das autonome Fahren und um die Elektromobilität. Sobald Mobilitätsservices als Showcase bereitgestellt werden, kommt es zum disruptiven Wandel im Markt. Das kann keine Firma aus den Bereichen Automotive, Infrastruktur oder Unterhaltungselektronik alleine leisten. Verschiedene Größen der Branche sind als Konsortium sehr wohl in der Lage, neue Welten zu gestalten. Die Automobilindustrie wird von der treibenden Kraft früherer Zeiten zur Getriebenen.
Große Player stehen in den Startlöchern
In Nordamerika gilt Tesla als wichtigster Konstrukteur, um Devices zu herzustellen. Bekannte Modellreihen eignen sich weniger, hier sind neue Entwicklungen gefragt. Apple wird die Erlebniswelt bereitstellen, um Passagiere nach allen Regeln der Kunst zu unterhalten. Amazon arbeitet heute schon an „ride on demand“, also Transporten auf Abruf. Der Konzern gilt als größter und erfahrenster Logistiker beim Gütertransport. Und Siemens ist ein möglicher Akteur bei Infrastrukturen oder bei Produktionsstraßen für Devices. Aus allen Daten zieht Google Rückschlüsse, um dem Passagier mit seinen Bedürfnissen möglichst passgenaue Angebote anzubieten.
Ähnliche Trends gibt es auch in Asien. Neue Geschäftsmodelle könnten von BWD (Devices), Huawei (Unterhaltung bzw. Kommunikation), Alibaba (Logistik) bzw. Baidu (Big Data/Smart Data) kommen. Im Unterschied zu Nordamerika sind Konglomerate aus China deutlich gefährlicher: Zwei Milliarden Konsumenten müssen Tag für Tag befördert werden. Geld kommt von der Regierung, der nötige Druck ebenfalls. Was im asiatischen Markt funktioniert, lässt sich später auf andere Wirtschaftsräume übertragen. Zu Beginn stehen Ideen und Konzepte, aber keine Technologien. Die Hardware inklusive Fahrzeug orientiert sich am Leistungsangebot.
Wertschöpfung neu gedacht
Mobilitätsservices werden als neues Geschäftsmodell Reisen je zurückgelegtem Kilometer wesentlich günstiger machen als bisher Autonome Devices, die als Teil von „Shared Economy“-Modellen unterwegs sind. Sie haben im Idealfall eine 80-prozentige Auslastung. Das Spektrum an Möglichkeiten ist damit noch nicht ausgeschöpft. Vielleicht bieten neue Provider Mobilität sogar kostenlos an, um an Daten ihrer Fahrgäste zu kommen. Dann werden Angebote rund um Lifestyle und Unterhaltung nach Maß zum Geschäftsmodell.
Dieser Trend ist nicht mehr zu stoppen. Letztlich werden Wünsche von Kunden, aber keine regulatorischen Vorgaben, den Markt steuern. Ihre Wertschöpfung generiert sich nicht mehr aus der Produktion unterschiedlicher Fahrzeuge, sondern aus einer Servicewelt inklusive Entertainment.
Autor: Michael van den Heuvel
Redaktionelle Bearbeitung: Thomas Kresser