"Der Blick über den fachspezifischen Tellerrand"
In Kürze beginnt der 21. IFAC-Weltkongress. Vom 12. bis 17. Juli treffen sich Expertinnen und Experten aus aller Welt erstmals virtuell. Klaus Janschek, General Chair IFAC 2020, berichtet, was die Teilnehmer unter dem diesjährigen Motto „Automatische Steuerung – Gesellschaftliche Herausforderungen meistern“ erwartet.
VDI: Warum lohnt es sich auch für Industriepartner sich zum IFAC-Kongress anzumelden?
Janschek: Das Besondere an IFAC – International Federation of Automatic Control – ist die fachliche Breite und die enge Verzahnung von Theorie und Anwendung. Rund zwei Drittel der 39 Technical Committees (TCs) sind Anwendungen zugeordnet, die in dieser Zusammensetzung auch das Programm des Weltkongresses prägen. Neben regelmäßigen spezifischen Fachkonferenzen der TCs bringt der dreijährliche Weltkongress eben die einzigartige Gelegenheit, einen Blick über den eigenen fachspezifischen Tellerrand zu werfen und Trends frühzeitig zu erkennen. Noch dazu bietet das breite Programm des Weltkongresses mit Plenarvorträgen, Tutorials über Workshops einen attraktiven Einstieg in hochaktuelle Themengebiete für F&E-Management bis hin zu Produktverantwortlichen.
Noch ein interessanter Aspekt: Suchen Sie Partner für international Forschungsprojekte, z.B. EU Horizon 2020? Beim IFAC 2020-Weltkongress trifft sich die Crème de la Crème. Über unsere Online-Kongressforen können Interessierte persönliche Kontakte knüpfen. IFAC präsentiert tatsächlich die weltweite Forschungsfamilie der Automatisierungs- und Regelungstechnik, von mehr als 4300 eingereichten Beiträgen wurden über ein aufwändiges Begutachtungsverfahren knapp 3000 für die Präsentation zugelassen.
VDI: Aufgrund der massiven Einschränkungen durch die Corona-Krise wurde der Kongress kurzerhand von Berlin ins Netz verlegt. Somit ist der IFAC in seiner 63-jährigen Geschichte erstmals virtuell.
Janschek: In der Tat ist dieser 21. IFAC-Weltkongress schon jetzt historisch zu nennen. Er ist erst zum zweiten Mal nach 1987 in Deutschland gelandet und es ist der 1. Virtuelle Weltkongress überhaupt.
Wir ,das IFAC 2020 Organisationsteam hatten uns seit mehr als sechs Jahren auf ein übliches Vorort Kongressformat mit 4000+ Teilnehmern vorbereitet und im März diesen Jahres dafür alles fix und fertig gehabt, von den Kongressräumen über das Catering bis zu den Hotelreservierungen. Dann waren wir urplötzlich gezwungen, ein komplett neues virtuelles Kongressformat mit völlig neuer Technik und Abläufen ohne „virtuelles“ Erfahrungswissen auf die Schiene setzen. Insofern blickt die Welt mit Spannung auf Deutschland, wie diese Premiere gelingt.
VDI: Diese Herausforderung ist eine ganz neue und besondere, aber passt zum Thema. Das diesjährige Motto ist „Automatisierungs- und Regelungstechnik – Gesellschaftliche Herausforderungen meistern“.
Janschek: Der Einfluss der Automatisierungs- und Regelungstechnik (A&R) wird ja vielfach missverstanden. Zum einen versteckt sie sich als „Hidden Technology“ in praktisch allen technischen Konsumprodukten und industriellen Prozessen, kein technischer Fortschritt ist ohne A&R denkbar. Zum anderen haftet der Automatisierung das Etikett des Jobvernichters an, wobei eben verkannt wird, dass durch neue Produkte unter Nutzung der „Hidden Technology“ erst wieder neue Jobs möglich werden.
Um auf das Motto des 21. Weltkongresses einzugehen: bei den gesellschaftlichen Herausforderungen spielt die A&R eine Schlüsselrolle. Ob Klima, Energie, Wasser, Verkehr, Gesundheit bis hin zur Digitalen Transformation, alle diese können nur mit Hilfe von Technik und damit mit Hilfe von A&R gelöst werden. Insofern ist für unsere A&R-Community eine natürliche Nähe zu all diesen Herausforderungen gegeben. Dass sich allerdings in unserem vor mehr als sechs Jahren gewählten Motto eine derartige Zuspitzung der Herausforderungen Gesundheit und Digitale Transformation ergeben wird, war nie und nimmer zu erwarten. Im Übrigen wird es beim Weltkongress eine spezielle Plenarsitzung mit hochrangigen internationalen Fachleuten zum Thema COVID-19 mit Bezug zu A&R geben. Kann man aktueller auf gesellschaftliche Herausforderungen Bezug nehmen?
VDI: An wen richtet sich der Kongress in erster Linie und welche Fokusthemen setzt IFAC 2020?
Janschek: Die Automatisierungs- und Regelungstechnik besitzt traditionell einen hohen Anwendungsbezug, wobei sich die technischen Lösungen aus einer direkten Transformation von theoretischen Ansätzen speisen. In dieser Kombination stellt IFAC 2020 einen einzigartigen Treffpunkt von Universitäten, Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Industrie dar. Neben den arrivierten WissenschaftlerInnen (der Kongress ist ein „must-go“) ist es ein spezielles Highlight für den wissenschaftlichen Nachwuchs sich selbst zu präsentieren, von anderen zu lernen und Netzwerke zu knüpfen. Ich kann das aus eigener Erfahrung bestätigen, meine Teilnahme als junger Raumfahrtingenieur beim letzten 10. IFAC-Weltkongress 1987 in München hat meine weitere Berufstätigkeit ungeheuer motiviert und positiv beeinflusst.
Gerade die Automatisierungs- und Regelungstechnik in Deutschland ist international bekannt für die enge Verzahnung mit der Industrie und hier setzt die IFAC-Community in uns große Erwartungen. Wir werden dazu beispielsweise einen Industrial Afternoon mit hochrangigen Industrievertretern anbieten (14. Juli). Jeder der fünf Kongresstage, 13.-17. Juli ist einem gesellschaftlichen Schwerpunktthema gewidmet, also Artificial Intelligence and Control, Digitalization, Industry 4.0 & the Changing Working World, Mobility and Transportation, Sustainable Green Energy & Resource Supply sowie Quality of Life & Health Care. Sie sehen, alles Themen aus unserem täglichen Lebensumfeld, allgegenwärtige gesellschaftliche Herausforderungen mit hohem Anwendungsbezug.
VDI: Was sind die größten Herausforderungen bei einer digitalen Umsetzung und wie konnten Sie diese meistern?
Janschek: Diese Frage orientiert sich an den Erwartungen an eine aktive Kongressteilnahme. Um heutzutage topaktuelle Informationen im Wissenschaftsbereich zu bekommen, nutzt man am besten das Internet und durchsucht elektronische Datenbanken. Und dennoch ist das nicht das alleinige Mittel um wissenschaftlichen Fortschritt zu erzielen. Ein wichtiger Aspekt ist die persönliche Präsentation in Form von Kongressvorträgen. Dabei werden wissenschaftliche Arbeiten in einer lebendigeren Form präsentiert, als es mit einem detailliert und stringent geschriebenen wissenschaftlichen Aufsatz möglich ist, grundlegende Gedanken, Lösungsansätze und öffentliche Diskussion im Fachkollegium ermöglichen neue und vielleicht auch unerwartete Zugänge für eigene weiterführende Arbeiten. Ein weiterer Aspekt ist der persönliche Kontakt, das Networking, persönliches Kennenlernen, die Verabredung von gemeinsamen Forschungsprojekten und Austauschmöglichkeiten für den wissenschaftlichen Nachwuchs und vieles mehr.
Wie können diese Aspekte in einer digitalen Umsetzung in der virtuellen Welt berücksichtigt werden? In der Tat sind dies Herausforderungen, denen wir uns unvermittelt seit 10 Wochen stellen mussten. Glücklicherweise stehen uns heute leistungsfähige Videokonferenzsysteme zur Verfügung, allerdings ist es auch hier schwierig den Wald vor lauter Bäumen zu sehen. Mit die größte Herausforderung war es, innerhalb kürzester Zeit die für uns „richtige“ Kombination von Technologien zu finden, ein technisches Konzept aufzustellen und die richtigen Technikpartner zu finden. Unsere Ansprüche sind hoch: wir wollen möglichst alle Elemente eines Vorort-Kongresses auch in der virtuellen Lösung IFAC-V 2020 anbieten, also z.B. Live Streaming von Plenarvorträgen, interaktive Diskussion bis hin zu Social Events wie einem virtuellen Quiz mit simultaner Teilnahme aus allen fünf Kontinenten. Diese Live Elemente sind absolute Neuheit bei einem wissenschaftlichen Kongress mit dieser weltweiten Reichweite und Gleichzeitigkeit.
Es ist also vieles machbar mit digitalen Technologien, und die Konferenzlandschaft wird sich dadurch fundamental ändern. Auch dies wird im Rahmen des Weltkongresses intensiv diskutiert werden, unsere internationale Community wartet gespannt auf unsere Erfahrungen. In jedem Fall ermöglichen virtuelle Konferenzangebote einen niederschwelligen Zugang und unmittelbare Teilhabe für neue Teilnehmerkreise wie Studenten, Industrie, aber natürlich und gerade in Entwicklungsländer. Auch das ist ja eine unserer aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen für die der 21. IFAC Weltkongress Antworten bietet.
VDI: Haben sich die inhaltlichen Akzente durch die Verlagerung ins Virtuelle geändert?
Janschek: Das wissenschaftliche Programm haben wir unverändert aus der ursprünglichen Kongressplanung übernommen. Neu ist allerdings die Corona Session am 14. Juli sowie die Virtual Social Events mit drei virtuellen Weltpremieren: das 1. IFAC Control Orchestra, ein unterhaltsames Control-and-the-Universe Quiz und eine außergewöhnliche Fotosouveniraktion.
VDI: Was finden Sie besonders spannend?
Janschek: Besonders spannend sind natürlich die wissenschaftlichen Beiträge, 740 Vortragsstunden per Video on-demand, da gibt es für jedes Fachgebiet Neues vom Feinsten, das 40-Stunden-Liveprogramm mit hochrangig besetzten Plenar- und Semiplenarvorträgen, die hochaktuelle Corona Session, dann natürlich die Panel Discussions und ja, ganz besonders gespannt bin ich auf den mehrsprachigen Girls in Control Workshop, das wird was ganz besonderes für unsere zukünftigen Nachwuchswissenschaftlerinnen!
VDI: Kann man sich noch anmelden?
Janschek: Ja natürlich, Anmeldungen sind jetzt sogar noch günstiger möglich für Zugang zu allen Veranstaltungen, ein Normalticket kostet 80 Euro und ein Studententicket kostet 40 Euro, siehe www.ifac2020.org.
Fachliche Ansprechpartnerin:
Dr.-Ing. Dagmar Dirzus
VDI/VDE-Gesellschaft Mess- und Automatisierungstechnik
Telefon: +49 211 6214-145
E-Mail-Adresse: dirzus@vdi.de
Organisatorische Ansprechpartnerin:
Silke Nienhausen
Veranstaltungsmanagement IFAC
Telefon: +49 211 6214-8634
E-Mail-Adresse: nienhausen@vdi.de