Daten als zentrales Handelsgut
Die Bedeutung von Daten als Rohstoff für die zukünftige Entwicklung innovativer Technologien und Dienstleistungen wird in den kommenden Jahren weiter stark ansteigen. Wer „technologisch souverän“ sein möchte, muss daher den Wert eigener Daten (er-)kennen und zumindest in der Lage sein, sie nur bewusst für - oder ohne - einen klaren Gegenwert preiszugeben oder zu teilen.
Dieser Wert wird jedoch von Endanwendern und Unternehmen zum Teil stark unterschiedlich eingeschätzt. So geben Endanwender in sozialen Medien häufig umfangreiche persönliche Daten für einen vergleichsweise geringen Gegenwert preis, während sie in anderen Bereichen viel bewusster mit ihren Daten umgehen, wie zum Beispiel die Datenschutzdiskussionen um die Corona-Warn-App zeigen. Hier könnte eine einheitliche „Preisbildung“ für personenbezogene Daten Abhilfe schaffen.
Weitgehend unter dem Ausschluss der breiten Öffentlichkeit hat diese Preisbildung bereits begonnen und mehrere Unternehmen haben sich am Markt als sogenannte Datenbroker etabliert, die Daten sammeln, anreichern und weiterverkaufen. Nach Recherchen des MDR wird ein einzelner Datensatz, je nach Filterkriterien und der Art der Anreicherung, zu einem Preis zwischen 6.5 Cent und 1,65 Euro gehandelt . Schon 2014 wurde damit ein Umsatz von 610 Millionen Euro erzielt. Neben diesen expliziten Datenbrokern sammeln viele andere Unternehmen Daten ihrer Kunden, um sie selbst, zum Beispiel beim Verkauf von Werbung, zu nutzen. ( „Datenbroker - ein skrupelloses Geschäft“, Beitrag auf mdr.de, 2019, https://www.mdr.de/datenspuren/datenbroker-daten-handel-100.html
Vielfach fehlt es Konsumenten und Unternehmen aber noch am notwendigen Bewusstsein dafür, was mit der Anreicherung und Analyse von Daten möglich ist – und warum die Hoheit darüber ein kritischer Wettbewerbsfaktor ist. Denn derartige Daten können in vielen Fällen entscheidende Impulse etwa für die Produktentwicklung auf Basis von Kundenbedürfnissen, oder auch die Grundlage für ganz neue Geschäftsmodelle liefern. Es steht zu befürchten, dass der Zugang zu solchen Daten in den kommenden Jahren zunehmend von wenigen großen Spielern kontrolliert werden wird, die ausschließlich ihre eigenen Interessen mit der Kontrolle über diese Daten verfolgen.
Für deutsche Unternehmen wird es daher zunehmend wichtiger sich nicht in die Rolle eines reinen Datenkonsumenten drängen zu lassen, der hoffen muss, dass er von Dritten geeignete Daten kaufen kann. Vielmehr hat Deutschland aufgrund seiner bestehenden industriellen Strukturen und internationalen Verknüpfungen die (vielleicht einmalige) Chance, beim neuen Rohstoff „Daten“ seiner Position als Exportweltmeister eine ganz neue, zukunftsgerichtete Komponente hinzuzufügen. Die Quelle, in Form vielfältiger Daten ist vorhanden. Aktuell fehlt es noch an geeigneten Strukturen und Voraussetzungen, diesen Rohstoff so zu fördern, aufzubereiten und am Markt abzusetzen, dass sich daraus eine starke, offene und transparente Datenökonomie „Made in Germany“ entwickeln kann.
Unternehmen werden ihre Daten insbesondere dann in der Breite als handelbares, intangibles Wirtschaftsgut ansehen und behandeln, wenn zwei zentrale Voraussetzungen erfüllt sind:
- Es bildet sich ein breites Verständnis dafür, welchen Wert Daten, insbesondere im Kontext ihrer Anreicherung und Veredelung mit Daten aus weiteren Quellen, haben. Daten-Inhaber werden zu mündigen Marktteilnehmern, die Daten-Kosten und Daten-Nutzen bewerten können.
- Es bildet sich ein allgemein akzeptierter Mechanismus zur Preisbildung, der den Besonderheiten von Daten als Handelsgut Rechnung
trägt. Geeignete, vertrauenswürdige und zugängliche Handelsplätze bzw. Austausch-Verfahren etablieren sich, damit Daten sicher und transparent gehandelt werden können.
Es ist zu erwarten, dass diese Voraussetzungen in naher Zukunft erfüllt sein werden. Mit dem Datenhandel wird viel Geld zu verdienen sein, und eine zentrale Rolle bei Gestaltung und Betrieb von Handelsplatz und Bewertungsmechanismus versprechen eine prädestinierte Position
zur Wertabschöpfung. Denn hier werden die Regeln aufgestellt, nach denen in Zukunft Daten ihren Wert bekommen. Wer die entscheidenden Schnittstellen und Algorithmen entwickelt und es schafft, eine kritische Masse an Industrie-Teilnehmern auf seiner Plattform zu versammeln, bestimmt in Zukunft, wer welche Daten wie und zu welchem Preis kaufen und verkaufen kann oder eben nicht. Eine enorm mächtige Position, wie sie heute schon von einzelnen Unternehmen im Bereich der B2C-Plattformen gehalten wird. Bedauerlicherweise stammen diese allesamt nicht aus Deutschland.
Für die technologische Souveränität des Daten-Wirtschafts-Standorts Deutschland ist es deshalb von größtem Interesse, bei der Entwicklung dieser Grundlagen einer neuen Daten-Ökonomie nicht nur mitzuwirken, sondern vielmehr eine führende Rolle einzunehmen. Diese Entwicklung sollte sich nach marktwirtschaftlichen Prinzipien vollziehen. Übermäßige staatliche Eingriffe erscheinen nicht sinnvoll. Wohl aber muss überlegt werden, wie die Etablierung einer starken Daten-Wirtschafts-Ökonomie in Deutschland geeignet unterstützt werden kann. Dazu können progressive Vorhaben auf der Ebene innovativer Start-Ups entscheidend beitragen, wie dies aktuell beispielsweise schon durch das RWTH Spin-Off Senseering demonstriert wird. Ebenso wichtig ist aber auch die Mitwirkung von KMU und großen Unternehmen, um ein starkes Daten-Ökosystem zu entwickeln. Auch politische Initiativen wie das BMWi-Rahmenprogramm „Smarte Datenwirtschaft“ sind ein wichtiger Bestandteil dieses Prozesses.
Eine mittelfristige Abhängigkeit von internationalen Plattform-Orchestratoren, die in Zukunft darüber bestimmen, was unsere Daten wert sind, und welchen „Entwicklungs-Rohstoff“ wir überhaupt bekommen können, sollte im Interesse der Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland jedenfalls unbedingt vermieden werden.
Autor: Christian Gülpen, Bereichsleiter Digitalisierung / Industrie 4.0, Institut für Technologie- und Innovationsmanagement der RWTH Aachen
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