Corona und der Öffentliche Verkehr
Der Öffentliche Verkehr (ÖV) konnte bis zum Beginn der COVID-19-Pandemie kontinuierlich steigende Fahrgastzahlen verzeichnen. Während im öffentlichen Straßenpersonenverkehr 2019 im Vergleich zum Jahr 2009 etwa 5 % mehr Fahrgäste befördert wurden, wiesen der Personennah- und -fernverkehr auf der Schiene im gleichen Zeitraum sogar Steigerungen um ca. 23 % bzw. 26 % auf. Diese Entwicklung wurde jedoch durch die seit Frühjahr 2020 anhaltende COVID-19-Pandemie rasant ausgebremst.
Entwicklung der allgemeinen Mobilität und der Fahrgastzahlen im ÖV
Zur Eindämmung der Pandemie wurden im Frühjahr 2020 durch die Bundesregierung vielfältige Maßnahmen veranlasst. In der Folge reduzierte sich die Mobilität. Im April 2020 wurden beispielsweise im Vergleich zum Vorjahr etwa 40 Prozent weniger Wege zurückgelegt. Dieser Rückgang betraf jedoch nicht alle Verkehrsmittel gleichermaßen. So brach die Nachfrage im ÖV deutlich stärker ein als dies beim motorisierten Individualverkehr der Fall war.
Während die Mobilität in den Sommermonaten 2020 aufgrund der bundesweiten Lockerungen wieder das Vorjahresniveau erreichte bzw. dieses sogar leicht übertraf, war im zweiten Lockdown abermals eine Reduzierung der Mobilität um bis zu 35 % zu beobachten. Aufgrund der seit Mai 2021 stark sinkenden Inzidenzen normalisierte sich die Mobilität in den Sommermonaten 2021 wieder.
Veränderung des Mobilitätsverhaltens infolge der COVID-19-Pandemie
Die COVID-19-Pandemie hat unseren Alltag grundlegend verändert, was neben einer geringeren Mobilität auch an Veränderungen des allgemeinen Mobilitätsverhaltens festzustellen ist:
- Das Arbeiten im Homeoffice ist für viele Arbeitnehmer zur Normalität geworden, sodass ein signifikanter Anteil an Wegen im Berufsverkehr entfallen ist.
- Die Häufigkeit von Geschäftsreisen hat sich während der Pandemie deutlich verringert, da ein Großteil der Präsenztermine durch digitale Formate ersetzt wurde.
- Die Gefahr einer Ansteckung mit COVID-19 in den Verkehrsmitteln des ÖV wird von der Bevölkerung als besonders hoch eingeschätzt.
- Ein stark ausgedünntes Freizeitangebot hat zu einer Reduzierung der Gesamtmobilität beigetragen.
Mittel- und langfristige Folgen der COVID-19-Pandemie
Eine sehr wichtige Frage für den Verkehrssektor ist, welche mittel- bis langfristigen Folgen die COVID-19-Pandemie auf den Verkehrsmarkt hat. Von besonderem Interesse ist dabei, ob die Nutzung des ÖV wieder das Vorkrisenniveau erreichen kann oder ob Nutzer dem ÖV dauerhaft verloren gehen.
Die Verkehrsmittelwahl ist dabei in der Regel durch Routinen geprägt und erfolgt nicht täglich neu. Daher gilt es, wieder langfristiges Vertrauen in die Sicherheit des ÖV aufzubauen. Insbesondere die mit einer Nutzung des ÖV verbundene Ansteckungsgefahr stellt einen wesentlichen Grund für die Nichtnutzung des ÖV in Zeiten der Pandemie dar. Grundsätzlich ist zu erwarten, dass die empfundene Sicherheit der Fahrgäste für die ÖV-Nutzung maßgeblich ist und diese somit an die allgemeine Pandemielage gekoppelt ist.
Während vor der COVID-19-Pandemie vom Homeoffice nur eingeschränkt Gebrauch gemacht wurde, haben sich während der Pandemie einige Vorbehalte dagegen als unbegründet herausgestellt, sodass langfristige Veränderungen der Arbeitswelt zu erwarten sind. Diese Entwicklungen werden einen Rückgang der täglichen Pendlerzahlen bewirken und somit den ÖV langfristig nachteilig beeinflussen.
In Bezug auf Geschäftsreisen ist jedoch damit zu rechnen, dass ein Großteil der weggefallenen Reisen mittelfristig wieder mit dem Schienenpersonenfernverkehr zurückgelegt wird. Die aktuellen Entwicklungen werden sich jedoch nicht vollständig umkehren, da das Homeoffice und Videokonferenzen einige Reisen nachhaltig ersetzen werden.
Handlungsempfehlungen
Es gilt nun, Rahmenbedingungen zu schaffen, um die Fahrgäste des ÖV kurzfristig zurückzugewinnen. Zunächst ist hierfür das Vertrauen in die Sicherheit des ÖV wiederherzustellen. Aufgrund der aufgezeigten Veränderungen der Arbeitswelt gilt es, flexiblere Tarifangebote für Berufspendler zu entwickeln. Beispielsweise könnte die Einführung für nutzungsabhängige Zeitfahrkarten eine sinnvolle Angebotserweiterung darstellen.
Ausblick
In der aktuellen Situation ist ungewiss, wie nachhaltig die Ansteckungsangst der Fahrgäste ist und dadurch das Mobilitätsverhalten im ÖV wie aufgezeigt negativ beeinflusst wird. Es bleibt zu hoffen, dass diese Entwicklung wieder hin zu einem positiven Wachstum umgekehrt werden kann. Um diese Trendwende zu erreichen, ist es gerade jetzt wichtig, Investitionen in den ÖV anzustoßen, den Infrastrukturausbau zu forcieren und die Fahrzeugflotten zu modernisieren.
Autoren:
Dr.-Ing. Bastian Kogel (RWTH Aachen),
Dr.-Ing. Andreas Pfeifer (RWTH Aachen),
Dipl.-Ing. Simon Jäckel
Eine deutlich ausführlichere Version mit zahlreichen Abbildungen erscheint in Heft 3/2021 der ATZextra für die VDI-FVT. Diese kann als kostenfreie Mitgliederleistung in MeinVDI ausgewählt werden.
Ansprechpartner:
Dipl.-Ing. Simon Jäckel
VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik (VDI-FVT)
E-Mail-Adresse: jaeckel@vdi.de