Ich begrüße ausdrücklich, dass der Bundesverkehrsminister hoch- und vollautomatisiertes Fahren in festgelegten Betriebsbereichen zulassen will.
Deutschland fährt sicher an die Spitze des autonomen Fahrens
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer will Deutschland zur Nummer eins beim autonomen Fahren machen. In einem Gesetzentwurf hat er dafür Regeln erarbeitet. Jetzt müssen Bundestag und Bundesrat das Werk absegnen. Wie bewertet Jürgen Bönninger, Geschäftsführer der FSD Fahrzeugsystemdaten GmbH, den Entwurf?
Den Begriff „autonom“ hört Jürgen Bönninger nicht gerne. Er sei irreführend, wird er nicht müde zu betonen, und beschreibe menschliche Fähigkeiten. Diese seien allein dem Menschen vorbehalten, nicht jedoch programmierten Maschinen. „Kein Auto wird jemals denken, sagen und entsprechend handeln: ‚So, es ist Sonntagvormittag, dann fahr‘ ich jetzt mal zum Gottesdienst in die Kirche‘“. Bönninger spricht daher lieber von „hoch- und vollautomatisierten Fahrfunktionen bzw. Fahrzeugen“, so wie es am runden Tisch des Bundesverkehrsministers beschlossen und im Straßenverkehrsgesetz manifestiert sei.
Vorreiterrolle bei Level 4
Doch auch das Bundesverkehrsministerium verkürzt in seinem Gesetzentwurf zum „autonomen Fahren“, der im letzten Monat das Kabinett passiert hat. „Deutschland wird als erstes Land weltweit autonome Fahrzeuge aus den Forschungslaboren auf die Straße holen“, jubelte Andreas Scheuer. Der Entwurf geht jetzt in den Bundestag und Bundesrat zu weiteren Beratungen. Der Minister ist optimistisch: „Wir werden auch hier zu wegweisenden Einigungen kommen, damit Deutschland weiterhin international die Nummer eins beim autonomen Fahren bleibt.“
Die Branche – von Automobilherstellern bis hin zu Zulieferern – ist hocherfreut über den Vorstoß. Mit der geplanten Gesetzgebung könne Deutschland international eine Vorreiterrolle bei Level-4-Funktionen einnehmen, erklärte Bosch-Produktbereichsleiter autonomes Fahren, Stephan Hönle. Johan Jungwirth vom Zulieferer Mobileye, einer Intel-Tochter, ist überzeugt, dass mit dem Gesetz Lizenzen und Zulassungen möglich seien, und kündigte an, baldmöglichst eine Flotte von Robotertaxis hierzulande fahren zu lassen.
Denn genau darum geht es Andreas Scheuer: Level 4, die vorletzte Stufe auf dem Weg zum selbstfahrenden Auto nach der amerikanischen Society of Automotive Engineers (SAE), steht für hochautomatisiert. Fahrzeuge bringen selbstständig Waren von der Produktion zum Verteilzentrum oder Busse und Taxis transportieren ihre Fahrgäste sicher und bedarfsgenau. So zumindest definiert der Verkehrsminister diese Stufe, wie er den VDI nachrichten vor wenigen Wochen verriet.
Sicherheit ist Trumpf in Deutschland
Und Bönninger? „Ich begrüße ausdrücklich, dass der Bundesverkehrsminister hoch- und vollautomatisiertes Fahren in festgelegten Betriebsbereichen zulassen will“, erklärt der Experte. Automatisierung und Vernetzung von Fahrzeugen seien auch in Deutschland Treiber der Mobilität von morgen. Damit könnten künftig attraktive Angebote gemacht werden, die einen wesentlichen Teil zur nachhaltigen Verkehrswende beitragen.
Wesentlich ist jedoch, dass diese Technologie sicher ist. Bei den Bestrebungen, entsprechende Bedingungen zu schaffen, ist Deutschland tatsächlich die Nummer eins.
In verschiedenen Regionen der Welt würden bereits vollautomatisierte Fahrzeuge im Straßenverkehr erprobt, allen voran in den USA. Aber gerade dort scheinen Bönninger die Rahmenbedingungen für eine sichere Handhabbarkeit dieser Technologie unzureichend zu sein.
Das sei auch für Europa problematisch. „Wenn sich schwere Unfälle mit diesen Fahrzeugen häufen, so wie es in den letzten Jahren zu beobachteten war, schadet dies auch hier der öffentlichen Akzeptanz dieser neuen Technologie“, erklärt der FSD-Geschäftsführer. „Damit drohen uns Ingenieuren herbe Rückschläge bei der Entwicklung und Realisierung.“ Zugleich motiviere das aber auch Ingenieure, an der Schaffung der Rahmenbedingungen für eine sichere Handhabung dieser zukunftsweisenden Technologie mitzuwirken.
KI darf nichts selbstständig verändern
Bönninger jedenfalls mischt sich ein. So sehr er sich über den Gesetzentwurf freut, so wünscht er sich doch noch einige Ergänzungen. Was ihm beispielsweise zu kurz kommt, ist die Validierung der Leistungsfähigkeit hoch- und vollautomatisierter Fahrzeuge – vergleichbar dem lebenslangen Lernen eines Fahrers nach dem Fahrerlaubniserwerb: „So wie ein Fahrer, der eventuell (Minus-)Punkte in Flensburg sammelt, gegebenenfalls zur Nachschulung muss oder sogar die Fahrerlaubnis abgeben muss, so muss von einer neutralen Stelle ein Update verlangt oder eine Deaktivierung oder aber der Widerruf der Betriebserlaubnis durch die zuständige Behörde veranlasst werden können, wenn sie sicherheits- oder umweltrelevante Gefährdungen feststellen.“
Damit warnt Bönninger davor, Funktionen, die das autonome Fahren verändern oder verbessern, selbstständig von KI erledigen zu lassen. Jede Änderung am System sollte vom Kraftfahrt-Bundesamt genehmigt werden. Er muss das wissen, denn Bönninger ist nicht nur ein amtlich anerkannter Sachverständiger. Seine Firma FSD Fahrzeugsystemdaten mit Sitz in Dresden ist quasi Deutschland oberste Autoprüfer. Sie hat jenen grauen Kasten entwickelt, mit dem Mitarbeiter von TÜV und Dekra Automobile auf Herz und Nieren testen.
Halter und Nutzer als Souverän der Daten
Für lobenswert hält der Experte auch die Vorschläge der Bundesjustizministerin in puncto Mobilitätsdaten. Denn sie benennt den Halter bzw. Nutzer des Fahrzeugs klar als Souverän der Daten, die in hoch- und vollautomatisierten Fahrzeugen anfallen. Christine Lambrecht hatte den Gesetzentwurf zunächst abgelehnt. Erst nachdem ein Passus mit Zugriffsmöglichkeiten von Sicherheitsbehörden auf die Mobilitätsdaten zurückgezogen wurde, konnte der Entwurf das Kabinett passieren.
Bönninger begrüßt, dass die Bundesjustizministerin Leitlinien aufgestellt habe, die es Nutzern und Nutzerinnen ermöglichen, ihre Rechte – vor allem bei Verkehrsverstößen und Unfällen – wahrzunehmen. In einem Vorschlag aus dem Hause Lambrecht werde die jüngst veröffentlichte Datenstrategie der Bundesregierung umgesetzt. Danach, so beschreibt es Bönninger, sollen anonymisierte Daten über sichere standardisierte Schnittstellen und Formate auch für Gemeinwohlzwecke verfügbar sein. Der VDI-Experte ist überzeugt: „Sollten die Vorschläge der Bundesjustizministerin bei der Gesetzesinitiative jedoch keinen Niederschlag finden, laufen wir mittelfristig Gefahr, nach Dieselgate in ein Datengate zu schlittern.“
Doch Bönninger bleibt Optimist: Er ist überzeugt: Das hohe Niveau, das die Justizministerin fordert, werde Fahrzeuge aus Deutschland und Europa zu „Exportschlagern machen“. Bleibt abzuwarten, welche dieser Vorschläge noch in das künftige Gesetz zum autonomen Fahren wandern.
Autorin: Regine Bönsch