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VDI-Studie

Ist Deutschland noch Erfinderland?

Bild: Alexander Spatari via Getty Images

Die Bevölkerung ist sich einig: 97,8 % sehen die Wichtigkeit technischer Innovationen für den Erfolg Deutschlands. Doch: Um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands steht es kritisch. Dies sind Ergebnisse einer Kurzstudie des VDI und VDI/VDE Technik + Innovation. Grundlage ist eine repräsentative Befragung der deutschen Bevölkerung mit ergänzenden Interviews von Expertinnen und Experten aus den Bereichen Technik-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften.

Fast die Hälfte der Befragten (45,8 Prozent) hält Deutschland für nicht oder für weniger wettbewerbsfähig. Nur 9 Prozent sind der Meinung, Deutschland sei aktuell bei der Entwicklung neuer Technologien sehr wettbewerbsfähig. Deutlich wird dies beim Blick auf den Leitsektor der deutschen Industrie: der Automobilindustrie. Diese Branche steht in den kommenden 10 bis 15 Jahren vor einem Bedeutungsverlust, zumindest wenn es nach der Einschätzung der Befragten geht. Eine Mehrheit von 55 Prozent glaubt (eher) nicht daran, dass auch in 10 oder 15 Jahren noch die besten Autos der Welt aus Deutschland kommen. Nur 12 Prozent beantworten die Frage mit „ja“, 33 Prozent mit „eher ja“.

Diese Sichtweise spiegelt sich auch beim Blick auf die „Stärken und Schwächen“ Deutschlands wider. Stark sind vor allem die traditionellen Werte. 76 Prozent sind der Meinung, dass „Made in Germany“ Technologien hervorbringt, die besonders langlebig und zuverlässig sind. 78 Prozent meinen, hier entwickelte Technologien seien im Vergleich zur weltweiten Konkurrenz besonders sicher und vertrauenswürdig. Besonders häufig wurde in den Antworten auf die Attribute „Qualität“, „Genauigkeit“, „Sicherheit“ und „Nachhaltigkeit“ verwiesen. Weniger stark schneidet Deutschland in den Augen der Bevölkerung allerdings bei der Innovationshöhe neuer Technologien ab. Jede und jeder Zweite glaubt (eher) nicht daran, dass Deutschland im internationalen Vergleich besonders innovative Produkte und Dienstleistungen entwickelt.

„Wenn wir die globale Industrie anschauen, gibt es weltweit kaum ein Produktionsverfahren, das Sie aufrechterhalten können, wenn Sie nicht deutsche Produkte oder Komponenten verwenden. Das wird auch in Zukunft so sein.“

Prof. Günther Schuh, RWTH Aachen

Auffällig ist, dass die befragten Expertinnen und Experten durchweg eine deutlich positivere Perspektive einnehmen als die Teilnehmenden der Umfrage. Die Expertinnen und Experten sehen für die Wettbewerbsfähigkeit des Innovationssystems und die Sicherung von Wertschöpfung in Deutschland durchaus Herausforderungen. Dennoch schätzen sie die Ausgangslage des Innovationsstandorts und dessen Zukunftsaussichten deutlich positiver ein.

Sie verweisen auf die Leistungsfähigkeit des Innovationsstandorts, insbesondere bezogen auf die Innovationshöhe und die Geschwindigkeit etwa in Schlüsselbranchen wie dem Maschinenbau. Die skeptische Meinung der Bevölkerung ordnen sie ein: Anders als in manchen Ländern, z. B. den USA, findet ein Großteil des Innovationsgeschehens hierzulande nicht im Segment der Endkundinnen und Endkunden (B2C), sondern im Bereich Business-to-Business (B2B) statt. Damit könnte die Wahrnehmung einseitig von B2C-Märkten und seinen Konsumgütern geprägt sein. Die deutsche Innovationskraft wird womöglich schlichtweg nicht von der Bevölkerung gesehen.

Die Ergebnisse der bevölkerungsrepräsentativen Befragung zeigen, dass sich die Menschen hierzulande nicht nur der ökonomischen Relevanz, sondern auch der sozialen Bedeutung von technischem Fortschritt bewusst sind. Vier von fünf Deutschen glauben, dass technische Innovationen nicht nur für den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg des Landes, sondern auch für die Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen wichtig sind. Zu diesen Lösungen sollen auch Ingenieurinnen und Ingenieuren beitragen – mit mehr und besseren Technologien. Insbesondere fordern die Befragten dies bei den Anwendungsbereichen Energieversorgung, Gesundheit und Pflege, Klimaanpassung und Mobilität ein.

„Ich werde immer wieder mit dem Bild konfrontiert, dass die Beschäftigten in Deutschland angeblich Angst vor Digitalisierung und Veränderungen haben. Das lässt sich aus der Empirie aber nicht belegen.“

Prof. Sabine Pfeiffer, FAU Erlangen-Nürnberg

Die Deutschen messen dabei dem technischen Fortschritt nicht nur eine hohe allgemeine gesellschaftliche Relevanz bei. Auch bezogen auf die eigene Zukunft herrscht in der Bevölkerung eine aufgeschlossene und positive Haltung gegenüber den Folgen von Innovationen. Jede und jeder Dritte ist sogar davon überzeugt, dass technische Innovationen für die Schaffung neuer Arbeitsplätze in Deutschland sehr wichtig sind. Darüber hinaus nehmen 84,2 Prozent der Befragten den technologischen Fortschritt als Chance für ihre persönliche Zukunft wahr.

Das Gesamtbild zeigt, dass die Stärkung des Innovations- und Wertschöpfungsstandorts Deutschlands nach Meinung der Bevölkerung höchste Relevanz hat. Gelingen kann dies mit einer gemeinsamen Anstrengung. Entscheiderinnen und Entscheider in Politik wie Unternehmen – und auch die Bevölkerung selbst – müssen nach Auffassung der Deutschen dazu beitragen. 94 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass Zulassungs- und Genehmigungsverfahren vereinfacht und beschleunigt werden müssten, um Deutschland wieder in eine wettbewerbsfähige Position zu bringen. Unternehmen, so sehen es 90 Prozent, sollten sich verstärkt mit europäischen Partnern zusammentun, um die technologische Eigenständigkeit Europas zu stärken. Die Bevölkerung sieht sich auch selbst in der Verantwortung: 90 Prozent sagen, die Deutschen müssten aufgeschlossener gegenüber Innovationen sein.

Politischen Entscheiderinnen und Entscheidern verdeutlichen diese Ergebnisse vor allem, wie groß die Erwartungen der Deutschen an gute Politikgestaltung sind. Die Befragung zeigt aber auch: Wenn der Staat die Innovationskraft von Industrie und Wissenschaft stärkt und so dazu beiträgt, dass Wirtschaft und Gesellschaft auf einen konsequenten Transformationspfad einschwenken, haben Regierungen und Parlamente die Bevölkerung an ihrer Seite.

Alle Ergebnisse sind in der Kurzstudie „Wie denkt Deutschland über Innovationen und Wertschöpfung?“ abrufbar.

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Ansprechpartner:
Maximilian Stindt
Referent Public Affairs und Stakeholder Management
E-Mail: maximilian.stindt@vdi.de

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